Die deutschen Kfz-Haftpflichtversicherer betreiben Volksverdummung. Mit zunehmendem wirtschaftlichem Erfolg. Stichworte sind Autounfall, Schadenregulierung, GDV-Zentralruf, Schuldfrage, Augenhöhe, Regulierungsvorgabe sowie Rechtsrat/Rechtsanwalt, Mietwagen, Reparatur und Gutachten.
Erleidet jemand einen Schaden, ist er so zu stellen, als sei der Schaden nicht geschehen. Das ergibt sich aus den Grundsätzen des Schadenersatzrechts. Es stellt sich jedoch die Frage:
„Wie läuft eine Schadenregulierung aus Sicht des Unfallopfers auf eine für vollständigen Ersatz empfehlenswerte Weise ab?“
1. Ein Unfall mit erheblichem Blechschaden (geschätzte Kosten mindestens 1000 Euro) passiert, die Daten der Beteiligten (Name, Adresse, Fahrzeug inkl. Kennzeichen) werden ausgetauscht, der Schädiger teilt dem Geschädigten noch den Namen seines Haftpflichtversicherers mit. Danach geht man seiner Wege, denn mehr muss und sollte vor Ort nicht passieren.
2. Der Schädiger meldet den Schaden umgehend seinem Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer.
3. Der Geschädigte nimmt Kontakt zu einem Fachanwalt für Verkehrsrecht auf, außerdem zu einer selbst gewählten Reparaturwerkstatt und zu einem Sachverständigen seines Vertrauens sowie zu einem naheliegenden Mietwagenunternehmen. Das alles mit dem Ziel, den Schaden schätzen, reparieren und regulieren zu lassen und währenddessen zu den notwendigen Kosten mobil zu bleiben. Die Dienstleister helfen ihm, fachlich und rechtlich auf Augenhöhe mit dem Haftpflichtversicherer des Unfallgegners zu agieren und keine finanziellen oder sonst wie materiellen Verluste zu erleiden (Siehe oben: „als wäre der Schaden nicht geschehen“, oder wie der Gesetzgeber in § 249 BGB formuliert, „…den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.“).
4. Nach Schätzung der Kosten und Reparatur des Schadens sendet der Rechtsanwalt die Schadenabrechnung an den Gegnerversicherer und der erstattet die Kosten der erforderlichen und transparent dargestellten Maßnahmen zur Wiederherstellung des vorherigen Zustandes.
Die Realität sieht leider immer häufiger so aus:
1. Unfall .. wie oben
2. Geschädigter fragt den Schädiger noch am Unfallort eindringlich nach den Kontaktdaten des Haftpflichtversicherers. Bestenfalls möchte er die kleine Versichertenkarte überreicht bekommen mit Versicherungsscheinnummer und Kontakt-Telefonnummer des Versicherers seines Unfallgegners. Er möchte den gegnerischen Versicherer am liebsten selbst noch vom Unfallort aus oder spätestens nach Heimkehr anrufen und den Schaden als Geschädigter „melden“. Der Versicherer soll das unbedingt schnell erfahren und mit seiner Regulierung beginnen, damit der Geschädigte wieder ruhig schlafen kann.
Oder der Schädiger ruft sofort den Versicherer an und der lässt sich noch am Unfallort den Geschädigten ans Telefon geben. Und wenn letzteres nicht mehr gelingt, telefoniert der Versicherer mit Ausdauer hinter dem Geschädigten her.
3. Der gegnerische Versicherer ist hocherfreut über diesen frühen Kontakt. Er wird von nun an alles tun, um die Höhe des Schadens auf ein Minimum zu drücken. In gewissen Grenzen ist das legitim, doch die Grenzen werden oftmals überschritten (siehe z.B. AG Coburg, Urteil vom 14.07.2017 – 15 C 696/17: „Das Gericht nimmt aus einer Vielzahl hier geführter ähnlich gelagerter Rechtsstreitigkeiten irritiert zur Kenntnis, dass allgemeine Schadenersatzgrundsätze bei der beklagten Haftpflichtversicherung entweder unbekannt sind oder zu Lasten eines Unfallgeschädigten negiert werden…“).
4. Noch bevor feststeht, dass der eigene Versicherungsnehmer den Schaden allein verursacht hat und der Versicherer den Schaden vollständig regulieren wird müssen, wird er dem Geschädigten (für das Ergebnis am Ende bedeutsame) Vorgaben machen. Das wird er als telefonisches und später auch schriftliches Informations- und Hilfsangebot verpacken. So wird dem Unfallopfer ein dem Versicherer geneigter Schadengutachter anempfohlen, der sogleich, unproblematisch und kostenlos Kontakt aufnehmen und den Schaden besichtigen und nach Vorgaben des Versicherers mit dem Ziel einer Minimalkalkulation beziffern kann. Es wird auch empfohlen, das Fahrzeug direkt abholen und für den Geschädigten kostenlos repariert und gereinigt wieder vor die Tür stellen zu lassen. Ein Ersatzwagen ist natürlich auch dabei und einen Anwalt braucht es nicht, denn die Sache sei ja übersichtlich, Personenschäden seien zum Glück nicht zu beklagen und überhaupt kümmere man sich rührend um alles, damit der arme Geschädigte nach diesem Missgeschick unbesorgt und zufrieden in die Zukunft schauen kann. Wozu also der Anwalt?
5. Das sind die ersten Warnschüsse noch im Telefonat am Unfallort oder im anschließenden Schreiben: Die Kosten des Sachverständigen werden mit erfundenen Maximalbeträgen gedeckelt, ebenso die Kosten für den Mietwagen. Es wird die Vermittlung von Dienstleistern angeboten bzw. deren Kontaktdaten mit der Aufforderung mitgeteilt, sich dorthin zu wenden. Jedenfalls werde nicht mehr bezahlt, als die angegebenen Preise. Damit sind alles entscheidende Pflöcke eingerammt, die dann später von den Gerichten auch bestätigt werden. Denn der Geschädigte wird von nun an als hinlänglich informiert darüber angesehen, dass ihm durch Vermittlung des gegnerischen Versicherers Schadenersatzleistungen unter Marktpreisen zugänglich waren. Lehnt er das ab, verstößt er gegen seine Pflicht, den Schaden gering zu halten. Damit wird es schwierig, die üblichen Marktpreise zum Beispiel für den Mietwagen abzurechnen.
6. Warum den Anwalt von Anfang an? Wird später doch ein Anwalt benötigt, weil der Versicherer nun nicht mehr so freundlich ist, alles zu regulieren, wird dieser keine Freude daran haben, die Reste des Falles zusammenzukehren. Denn sein Honorar für die fast gleiche Arbeit ist durch seine späte Einschaltung auf ein Minimum geschrumpft. Ein guter Fachanwalt ist dann vielleicht schwieriger zu bekommen. Auch kann er so spät beauftragt nicht mehr alles erreichen. Teile des Schadens sind auf dem falschen Weg im Sand versickert.
Hilfreich ist es zu wissen, dass der Bundesgerichthof in einem Urteil aus 2019 zu dem Ergebnis kam, dass ein Geschädigter angesichts des Regulierungsverhaltens mancher Versicherer berechtigte Zweifel daran haben darf, dass der Versicherer ohne weiteres seiner Schadenersatzpflicht korrekt nachkomme. Diesem Urteil zufolge ist die Einschaltung eines Rechtsanwalts von Anfang an daher erforderlich (BGH, Urteil vom 29.10.2019 – VI ZR 45/19).
Das Oberlandesgericht Frankfurt urteilt, der ewige Streit um die berechtigte Schadenhöhe lasse „es geradezu als fahrlässig erscheinen, einen Schaden ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts abzuwickeln.“ (OLG Frankfurt, Urteil vom 1.12.2014 – 22 U 171/13).
Ergebnis
Der Geschädigte kann sich nach einem solchen von ihm selbst aus Unwissenheit und Verunsicherung eingeleiteten Kontakt mit dem gegnerischen Versicherer sehr häufig nicht mehr frei entscheiden, wo und für welchen Marktpreis er den ihm entstandenen Schaden beheben lässt. Er erzeugt selbst das Risiko, Kosten zu erzeugen, die der Versicherer letztlich nicht bezahlen muss. Er fällt auf den noch immer guten Leumund der Versicherer und auf die Professionalität der Schadenregulierung herein, die doch nur ein Ziel hat, ihm so wenig wie möglich für den erlittenen Schaden zu erstatten.
(Einschränkung: Es ist nicht für jeden Fall auszuschließen, dass der Geschädigte zufrieden auf die Schadenregulierung zurückblickt, ggf. auch berechtigt oder weil er nicht weiß, was ihm zum vollständig regulierten Schaden fehlt. Nicht jeder Fall ist gleich und auch nicht jeder Versicherer ist gleich.)
Ergo, der betroffene Leser kann kann selbst entscheiden, ob er rechtzeitig die notwendigen Weichen stellen oder zur leichten Beute werden will. Diese Entscheidung kann ihm aber niemand abnehmen.