Oberlandesgericht Naumburg 9 U 3/17 vom 15.06.2017
1. Der Geschädigte war berechtigt, für eine lange Ausfallzeit einen Ersatzwagen anzumieten und die Mietwagenkosten vom gegnerischen Haftpflichtversicherer ersetzt zu verlangen.
2. Es obliegt dem Versicherer, nach dem hier erfolgten zeitnahen und mehrfachen Warnhinweis zu mangelnden Möglichkeiten der Reparaturfinanzierung kurzfristig zu reagieren und so die Ausfallzeit zu minimieren.
3. Der Haftpflichtversicherer kann in der Regel nicht vom Geschädigten verlangen, die Schadenkosten selbst vorzufinanzieren oder mit der eigenen Vollkaskoversicherung zur regulieren.
4. Der Geschädigte kann bei drei Tagen Reparaturdauer keinen günstigen degressiven Mietwagentarif wählen, wenn die Ausfallzeit von 65 Tagen zu Beginn unbekannt ist.
5. Die Eignung der Schwackeliste als Schätzgrundlage, auf die sich der Kläger beruft, ist höchstrichterlich anerkannt.
6. Von der Beklagten vorgelegte Vergleichsangebote erschüttern die Anwendbarkeit der Schwackeliste nicht.
Zusammenfassung: Das OLG Naumburg spricht dem Geschädigten restliche Mietwagenkosten für 65 Tage Ausfallzeit zu. Das Gericht weist den Vorwurf des Haftpflichtversicherers gegen den Geschädigten zurück, er habe seine Schadenminderungspflicht verletzt, da er hätte die Reparatur vorfinanzieren oder seine Vollkaskoversicherung in Anspruch nehmen müssen, um eine lange Ausfalldauer von 65 Tagen und hohe Mietwagenkosten zu vermeiden. Die Höhe der Mietwagenkosten wird nicht beanstandet und dabei darauf verwiesen, dass die Schwackeliste höchstrichterlich anerkannt sei.
Bedeutung für die Praxis: Vielfach erfordert es einigen Mut beim Geschädigten, seinem Anwalt und dem Vermieter, den Geschädigten auch für eine lange Ausfalldauer mobil zu halten und die Miete nicht abzubrechen, da mit der Summe des Schadenersatzes das Risiko zu steigen scheint, auf Kosten sitzen zu bleiben. Der Geschädigte hat grundsätzlich das Recht auf einen Mietwagen. Doch wenn mangels eindeutiger Aussagen des Versicherers und Möglichkeiten der Vorfinanzierung die Reparatur nicht beginnen kann, wird allzu oft zum Nachteil des Geschädigten auf die weitere Vermietung verzichtet.
Dass das nicht richtig ist, zeigt dieses Urteil. Voraussetzung ist die eindeutige Warnung an den eintrittspflichtigen Versicherer, dass die Kosten steigen werden, wenn er sich nicht bekennt oder einen Vorschuss leistet. Für einen sofortigen Beginn der Reparatur ist der Geschädigte nicht verpflichtet, seine Vollkaskoversicherung in Anspruch zu nehmen, denn diese Versicherungsleistung hat er sich selbst erkauft und muss sie mithin nicht dafür einsetzen, für den Schädiger zu sparen. Auch sei die Pflicht zur Vorfinanzierung durch den Geschädigten nicht die Regel, sondern eine Ausnahme und der eintrittspflichtige Versicherer könne nicht lediglich mit Nichtwissen bestreiten, dass der Geschädigte zur Vorfinanzierung nicht ohne Weiteres in der Lage war. Zur Höhe der Mietwagenkosten ist der Beklagtenvortrag widersprüchlich, jedenfalls sind die Gesamtkosten der Mietwagenabrechnung inklusive Nebenleistungen nicht überhöht und auch nicht nach dem von der Beklagten favorisierten Fraunhofer-Mietpreisspiegel zu regulieren.
Einerseits begründet die Haftpflichtversicherung ihr Nichtreagieren mit dem Umstand, dass der Versicherungsnehmer und Unfallgegner den Unfall nicht gemeldet habe, somit die Haftung für sie unklar sei und sie keine Kostenübernahme erklären sowie keinen Vorschuss auf Gutachtenbasis für einen Reparaturbeginn zahlen könne. Andererseits wirft sie dem Geschädigten im Mietwagenprozess um 65 Tage Ausfalldauer sodann vor, er hätte die Reparaturkosten vorfinanzieren müssen, um die Ausfallzeit zu reduzieren. Das erscheint provokant, denn so verlangt der Prozessgegner vom Geschädigten die Vorfinanzierung per Kredit, obwohl dieser ja annehmen muss, dass der Versicherer entstehende Kosten nicht ausgleichen wird. Und das alles, um für den Schädiger zu sparen und das Nichtregulieren durch den Versicherer für diesen nicht zu teuer werden zu lassen. Das Urteil zeigt deutlich, wie Haftpflichtversicherer Schadenregulierung begreifen. Sachbearbeiter scheinen nur § 254 BGB und das Wort Schadenminderungspflicht zu kennen. Wer in einem Haftpflichtfall ohne Anwalt Kraft der eigenen Wassersuppe handelt, wird sich regelmäßig mit weniger Schadenersatz begnügen müssen, als ihm zusteht.
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