Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 49/25

Landgericht Bonn 8 S 62/25 vom 11.11.2025 (Beschluss)
(Vorinstanz Amtsgericht Bonn 111 C 44/25 vom 26.06.2025)
- Die Kammer weist die gegen die Anwendung der Werte der Schwacke-Liste zur Schätzung von Mietwagenkosten nach einem Unfall gerichtete Berufung der gegnerischen Haftpflichtversicherung beschlussweise zurück. Gegen die Schätzung allein auf der Basis der Schwacke-Liste bestehen keine grundsätzlichen Bedenken (BGH).
- Die Verwendbarkeit der Werte der Fraunhofer-Liste und des Mischmodells wird hingegen abgelehnt, weil die Erhebungsmethode der Fraunhofer-Liste bei der Eingruppierung der Erhebungsergebnisse in Mietwagenklassen beliebig ist.
- Der Vortrag der Klägerin ist dahingehend nachvollziehbar, dass auf Internetplattformen erhobene Mietwagenpreise, die nicht über die Detailinformationen zu den konkreten Fahrzeugen verfügen, nicht in Mietwagenklassen nach Schwacke einsortiert werden können.
- Im Rahmen der Schätzung der erforderlichen Kosten ist ein Aufschlag für unfallbedingte Mehrleistungen des Vermieters gerechtfertigt, die aus Sicht des/der Geschädigten nach § 249 BGB erforderlich gewesen sind.
- Mietvertraglich vereinbarte Nebenleistungen sind ebenso Teil der erforderlichen Ersatzleistungen, sofern der Geschädigte einen konkreten Schadenersatzanspruch darauf hat, wie hier für eine Reduzierung seiner Haftung für Schäden am Mietfahrzeug und die Ausrüstung des Fahrzeuges mit Winterreifen.
Zusammenfassung:
Eine der Berufungskammern des Landgerichtes in Bonn bekräftigt seine Abkehr von der Verwendung der Fraunhofer-Liste durch einen 522er-Beschluss. Seitdem die Kammer darauf aufmerksam gemacht wurde, wie Fraunhofer die Einsortierung der auf Internetplattformen gefundenen Internetpreise in seine Tabellen nach Schwacke-Mietwagenklassen vornimmt, hat sie erkannt, dass dies gar nicht möglich ist. Denn den Internetseiten fehlen schlicht die Informationen dazu. Auf den Grundbetrag nach Schwacke kommen ein unfallbedingter Aufschlag und Nebenkosten hinzu.
Bedeutung für die Praxis:
Die Versicherer scheinen derzeit intensiv darum bemüht, die Richter am Landgericht in Bonn davon zu überzeugen, dass ihre Ablehnung der Fraunhofer-Liste der falsche Weg ist. So haben sie es in dem Verfahren, über das hier berichtet wird, mit dem Argument versucht, dass es sich lediglich um Ungenauigkeiten handeln würde, die mal nach oben und mal nach unten ausschlagen würden. Einerseits haben sie damit zugegeben – wie es auch schon im Fraunhofer-Vorwort nachzulesen ist -, dass eine konkrete Zuordnung Internet -> Schwacke unmöglich ist. Anderseits konnten sie die Kammer damit in wohl mehreren kürzlich geführten Verfahren nicht überzeugen. Denn eine Erklärung für den Unterschied der Fraunhofer-Werte zu den sehr viel höheren Internetpreisen, die die Klägerin mit eigenen Screenshots und einem Parteigutachten des BAV aufgezeigt hat, ergab sich daraus nicht.
Versicherer versuchen nun wohl Plan B. Sie haben es geschafft, einen Arbeitskreis des kommenden Verkehrsgerichtstages (VGT 2026) mit dem Thema „Schadenersatz bei unfallbedingtem Ausfall eines Fahrzeuges“ zu organisieren. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft und die HUK Coburg spielen hier, wie es heißt, eine Rolle. Es steht zu vermuten, dass man, bevor die Stimmung bei den Gerichten vollends gegen Fraunhofer kippt, die Axt an die Grundsätze legen will. Dazu hat man einen bekannt/berüchtigten Leiter des Arbeitskreises etablieren können: Richter a.D. Scholten, ehemaliger Vorsitzender des 1. Zivilsenates des OLG Düsseldorf, der hiermit eingeordnet sein soll: https://www.bav.de/vermietung-nach-unfall/fraunhofer-marktpreisspiegel/das-imperium-will-zurueckschlagen/ Scholten griff das Landgericht Bonn direkt an, nachdem dort die Fraunhofer-Methode durchleuchtet und deren Ungeeignetheit erkannt wurde, Zitat Scholten in zfs 3/24: „Wenn weitere Gerichte dem Bonner Beispiel folgen, wird auch dieses Bundesland bald wiederum den kleinteiligen und kaum mehr überschaubaren Flickenteppich in der Rechtsprechungspraxis der Instanzgerichte haben, den es eigentlich zu überwinden gilt. Es geht eben nicht nur darum, was der Richter in seinem eigenen Bezirk – zumeist, wie auch hier, ohne sachverständige Beratung – für eine sachgerechte Schätzgrundlage hält, sondern auch darum, den an der Unfallregulierung beteiligten Personen und Instanzen Orientierung zu geben. Die aber geht, wie sich in einer Untersuchung zur Spruchpraxis der Land- und Amtsgerichte im OLG-Bezirk Düsseldorf zeigen ließ (Scholten, DAR 2014, 72 ff.), verloren, wenn sich jeder Spruchkörper nach gusto entscheidet.“
Dem Einzelrichter in Bonn wollte er gar (verbal) an den Kragen, denn der hätte nach seiner Auffassung nicht allein, sondern nur in Form einer Vorlage an die Kammer und dann in Kammerbesetzung entscheiden dürfen, Zitat: „…eine solche Vorlage rechtfertigen. Es ist bedauerlich, dass auch klare Verletzungen der gesetzlichen Vorlegungspflicht durch das Prozessrecht nicht wirksam sanktioniert werden“.
Inzwischen sind es seit den Einlassungen des Herrn Scholten aber die in Berufungsentscheidungen tätigen 5. Kammer (unter Vorsitz des Präsidenten) und die 8. Kammer (unter Vorsitz der Vizepräsidentin), die das genauso sehen und es liegen weitere erstinstanzliche Entscheidungen mit demselben Ergebnis vor.
Dieser ehemalige Richter wird nun den oben genannten Arbeitskreis IV. des VGT 2026 leiten. Man wundert sich und darf gespannt sein, was dabei herauskommt. Anwälte und vermietende Betriebe sind gefordert, in Goslar mitzudiskutieren und über die Entschließungen des Arbeitskreises IV mit abzustimmen.
Die Schädiger-Seite hat die Berufung gegen die amtsgerichtliche Entscheidung des Amtsgerichts Bonn zurückgenommen.