Rechtszeitschrift MRW

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 13-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 13-22

Landgericht Berlin 41 S 49/21 vom 21.03.2022, Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO
(Vorinstanz Amtsgericht Berlin-Mitte 4 C 46/21 vom 10.06.2021)

1. Die Auffassung der Beklagten ist zurückzuweisen, das Gericht müsse die Rückgriffsmöglichkeit der Geschädigten auf ein verfügbares Fuhrparkfahrzeug prüfen.
2. Die erstinstanzliche Schätzung erforderlicher Mietwagenkosten mittels Werten aus der Schwacke-Liste ist nicht zu beanstanden.
3. Eine generelle Erkundigungspflicht des Geschädigten gibt es nicht, in dem zu entscheidenden Fall mangels erheblicher Preisüberhöhung ebenso wenig.
4. Der Abzug von 10 Prozent wegen ersparter Eigenaufwendungen entfällt bei klassenkleinerer Anmietung.
5. Kosten der Ausrüstung des Ersatzwagens mit Winterreifen sind schadenersatzrechtlich erstattungsfähig.

Zusammenfassung: Das Landgericht Berlin bestätigt beschlussweise die erstinstanzliche Auffassung, dass der Geschädigte nichts dazu vortragen musste, inwieweit ihm auch an anderes Fuhrparkfahrzeug zur Verfügung gestanden hätte. Der Normaltarif kann mittels Schwacke-Liste geschätzt werden, Nebenkosten kommen hinzu und ein Eigenersparnisabzug entfällt bei klassenkleinerer Anmietung.

Bedeutung für die Praxis: Zunächst behauptete der Versicherer ins Blaue hinein, dass der Geschädigte, ein Gewerbebetrieb, den Ersatzwagen nicht hätte anmieten dürfen, weil er sicherlich auch auf ein anderes Fahrzeug des eigenen Fuhrparks hätte zugreifen können. Den Antrag auf Beweisaufnahme hatte das Erstgericht abgelehnt, da die Beklagte zu ihrer Behauptung keinerlei Anhaltspunkte vorgetragen hatte. Ohne solche Anhaltspunkte – die laut BGH auch in dem Hinweis der Beklagten auf die schiere Größe des Unternehmens liegen könnten – ist dem Vorbringen nicht zu folgen, eine solche Klärung herbeizuführen. Das Berufungsgericht gibt in dem Beschluss an, das genauso zu sehen.
Die Kammer sieht auch keine Grundlage, die erstinstanzliche Schätzung mittels Schwacke abzuändern. Dazu verweist sie zunächst auf das Kammergericht und korrigiert die Auffassung, das Kammergericht würde das Mischmodell verlangen. Des weiteren habe die Beklagte keinen konkreten Sachvortrag gegen die Anwendbarkeit der Schwacke-Liste im konkreten Fall gehalten. Daher müsse ihr Vortrag dazu auch nicht berücksichtigt werden. 
Wenig überzeugend ist die Auffassung der Kammer, unter welchen Umständen die Beklagte einen konkreten Sachvortrag gegen die Anwendung der Schätzgrundlage gehalten hätte. Zitat: „Die Anwendung der Listen durch den Tatrichter begegnet also nur dann Bedenken, wenn die Parteien deutlich günstigere bzw. ungünstigere Angebote anderer Anbieter für den konkreten Zeitraum am Ort der Anmietung aufzeigen.“, mit Verweis auf den BGH. Dass das nicht richtig sein kann, zeigt das Beispiel Wohnungsmietmarkt (zugegeben kein Schadenrecht, aber doch zutreffend). Niemand wird die Richtigkeit eines Wohnungsmietspiegels deshalb anzweifeln, weil ein Mieter behauptet, die statistischen Größen wie der Mittelwert seien falsch, wie man an drei Beispielen tatsächlicher niedrigerer Angebote sehen könne. Und so ist es auch hier: Das arithmetische Mittel setzt sich aus niedrigen und hohen Werten zusammen und kann durch die Vorlage dreier niedriger Beispiele nicht ernsthaft angezweifelt werden.
Anders wäre es gewesen, wenn die Beklagte selbst dem Geschädigten ein solches Beispiel als vergleichbares Angebot wahrhaftig und rechtzeitig unterbreitet hätte. Dann liefe die Diskussion jedoch über die Schadenminderungs-Obliegenheit des Geschädigten und nicht über die Frage der Erforderlichkeit der Höhe der Schadenersatzforderung.

 

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 12-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 12-22

Landgericht Frankfurt/Main 2-01 S 122/21 vom 18.03.2022
(Vorinstanz Amtsgericht Frankfurt/Main 32 C 1491/21 vom 12.07.2021)

1. Die Schätzung der als erforderlich nach § 249 BGB anzusehenden Mietwagenkosten zur Wiederherstellung des Zustandes, als wäre der Unfall nicht eingetreten, erfolgt anhand des Mittelwertes der Listen von Schwacke und Fraunhofer.
2. Auf den Grundbetrag des Normaltarifes ist ein unfallbedingter Aufschlag in Höhe von 10 Prozent erstattungsfähig aufgrund der erforderlichen Finanzierung der Mietwagenkosten durch den Autovermieter.
3. Wegen ersparter Eigenkosten erfolgt ein Abzug auf den Grundbetrag von 5 Prozent, der bei klassenkleinerer Anmietung entfallen würde.
4. Kosten erforderlicher Nebenleistungen für die reduzierung der Haftung des Mieters für Schäden am Mietwagen sowie für Winterreifen-Ausrüstung und Zusatzfahrer sind ebenso schadenersatzrechtlich erstattungsfähig.

Zusammenfassung: Das Landgericht Frankfurt am Main hebt eine erstinstanzliche Entscheidung auf und spricht weiteren Schadenersatz bzgl. Mietwagenkosten zu. Das Berufungsgericht schätzt mit Fracke, gibt den Aufschlag und hält auch die Kosten für Kasko, Winterreifen und Zusatzfahrer für erstattungsfähig. Der Eigenersparnis-Abzug wird mit 5 Prozent festgelegt.

Bedeutung für die Praxis: Das erstinstanzliche Urteil wird abgeändert und die Beklagte zur Zahlung eines Restbetrages verurteilt, der höher ist, als der bisher von der Beklagten außergerichtlich erstattete Betrag. Umgekehrt zeigt das, dass die Beklagte vorgerichtlich noch nicht einmal die Hälfte von FRACKE erstattet hat. Daraus lässt sich zwanglos schließen, dass diejenigen Gerichte, die sich vom Wechsel ihrer Schwacke-Linie zur Fracke-Linie eine Befriedung des Mietwagenstreits zumindest für ihr Gericht versprochen hatten (jüngst nun also auch das LG Köln), dem Irrtum erlegen sind, dass die überwiegende Zahl der Versicherer vernunftbegabt und kompromissbereit sind. Solange man die Chance sieht, die Schadenersatzleistungen noch weiter zu drücken, wird man diese ergreifen wollen. Wer auf der Klägerseite auf berechtigte Ansprüche nicht verzichten kann, wird weiter bei Gericht klagen müssen, auch wenn er keine Unfallersatztarife oder sonst überzogene Forderungen erhebt.
Das Gericht stützt sich bei seinen Schätzungen des Mischmodells auf die Listen von Schwacke und Fraunhofer. Die DAT-Liste wird nicht angewendet. Vermutlich wird das als zu kompliziert angesehen. Sehr interessant ist die im Urteil nachzulesende Passage zum Fraunhofer-Vorwort in Bezug auf die Kosten der Winterreifen. Das Gericht erkannte, dass zwei dortige Erklärungen im Widerspruch zueinander stehen. Einerseits haben man bei der Erhebung „jahreszeitlich angepasste“ Bereifung bereits berücksichtigt, also in den Preis inkludiert. An anderer Stelle steht im Vorwort jedoch, dass Nebenkosten wie auch Winterreifen nicht im erhobenen Preis einberechnet seien. In 2018 ist es dann bei Fraunhofer wohl aufgefallen, dass das nicht so gut aussieht, da hat man dann das „Winterreifen“ bei den Preiskriterien, die nicht berücksichtigt seien, gestrichen. Es handelt sich hier um einen der Kritikpunkte an der Erhebung, den nun erstmals ein Gericht aufgegriffen hat.
Die von der Klägerin in das Verfahren eingebrachte Schätzgrundlage von DAT spielte insgesamt im Verfahren keine entscheidende Rolle und wurde in den Urteilsgründen nicht erwähnt.
Die Anwendung eines prozentualen Abzuges wegen ersparter Eigenkosten lediglich auf den Grundpreis und nicht auf den Gesamt-Forderungsbetrag ist logisch und zu begrüßen, wenngleich in dieser Frage einige anderen Berufungsgerichte anders vorgehen, weil es OLG Celle und OLG Düsseldorf falsch vorgeben.
Hervorzuheben ist letztendlich in Bezug auf dieses Urteil, dass die Herangehensweise des Gerichtes stimmig ist. Zunächst wird die Erforderlichkeit der zur Erstattung verlangten Mietwagenforderungen (inklusive möglicherweise erforderlichem Aufschlag für unfallbedingte Mehrleistungen) geprüft. Sofern die Forderungen über den erforderlichen Betrag hinausgehen, sind Mehraufwendungen lediglich dann vom Haftpflichtversicherer zu zahlen, sofern der Geschädigte nachweisen kann, dass er nicht gegen die Schadenminderungspflicht verstoßen hat. Das kann er nur, wenn er sich nach günstigeren Angeboten umgesehen hat und solche nicht bekommen konnte. Das würde als Unfallersatztarif gewertet und er müsste nachweisen, dass es für ihn keine anderen Anmietmöglichkeiten gegeben hat. Mit dieser Sichtweise wird vermieden, dass Gerichte widersprüchlich urteilen. Widersprüchlich ist es, wenn zunächst eine vom BGH so nicht gesehene allgemeine Erkundigungspflicht postuliert wird, gegen die der Geschädigte verstoßen habe und im zweiten Schritt mittels Prüfung der Erforderlichkeit die erhobene Schadenersatzforderung dann doch vollständig zugesprochen wird.

 

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 11-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 11-22

LG Nürnberg-Fürth 8 O 4294/20 vom 16.09.2021

1. Der Mieter hat für die Herbeiführung von zwei Schadenereignissen, verursacht binnen drei Miettagen, aufzukommen.
2. Im ersten Schadenfall hat er lediglich die Selbstbeteiligung zu tragen, da er den Schaden umgehend an den Vermieter gemeldet hat.
3. Im zweiten Schadenfall wird der Forderung der Vermieterin in Höhe von 70 % des Gesamtschadens aufgrund der gerichtlich festgestellten grob fahrlässigen Herbeiführung des Schadens stattgegeben.
4. Die Verletzung der in den Mietbedingungen hinterlegten Polizeiklausel ist kein Grund für eine höhere Schadenhaftung des Mieters.

Zusammenfassung: Das Landgericht Nürnberg verurteilt den Mieter nach zwei Schadenereignissen zur Zahlung der von der Vermieterin geforderten Kostenbeteiligung am Gesamtschaden. Allerdings hat der Verursacher in einem Fall lediglich die vertraglich vereinbarte Selbstbeteiligung aus der Haftungsreduzierung zu tragen und im anderen Fall wegen grober Fahrlässigkeit den vom Vermieter geforderten Anteil am Gesamtschaden. Die Verletzung der Polizeiklausel hat für den Mieter keine negativen Konsequenzen.

Bedeutung für die Praxis: Schäden an Mietfahrzeugen sind Alltag für Autovermieter. In der Regel sind die Folgen für Mieter durch vertragliche Vereinbarungen reduziert auf eine Selbstbeteiligung einer Haftungsreduzierung (SB), deren Kosten als Teil des Mietzinses bei hoher SB oft im Grundpreis enthalten sind und bei niedriger SB zusätzlich pro Tag berechnet werden. Auf diese Weise werden Risiken der Mieter eingehegt, mit einem teuren Mietwagen zu fahren und bei Schäden hohe Summen als Schadenersatz aufbringen zu müssen. Vermieter übernehmen also einen großen Teil des Schadenrisikos. Im Gegenzug – wie bei einer Kasko des eigenen Fahrzeuges – ist die Risikoübernahme auf fahrlässig verursachte Beschädigungen begrenzt. Wer dagegen nicht lediglich fahrlässig, sondern vorsätzlich einen Schaden an einem Mietfahrzeug verursacht, kann sich nicht erfolgreich auf die Haftungsreduzierung berufen. Auch bei grob fahrlässig herbeigeführten Schäden haftet der Mieter zumindest teilweise im Rahmen der Schwere seines Verschuldens.
Und so wurde der erste Unfall wohl als fahrlässig herbeigeführt bewertet. Der Mieter kam auch seiner in den Mietbedingungen verankerten Pflicht nach, den Schaden sofort beim Vermieter zu melden. Die Klägerin hatte ihm in einem umgehend geführten Telefonat mitgeteilt, er könne weiterfahren und es dabei versäumt, ihn auf das Hinzuziehen der Polizei aufmerksam zu machen. Im Ergebnis ist die Forderung gegen den Mieter aus Schaden Nr. 1 auf die Selbstbeteiligung begrenzt. Aus welchen Gründen es die Vermieterin allerdings unterlassen hat, dafür zu sorgen, dass die Polizei am Unfallort erscheint und die Hintergründe der Schadenverursachung aufklärt, erschließt sich nicht. Denn der Sinn der Polizeiklausel liegt darin, herauszufinden, ob zumindest eine grob fahrlässige Verursachung vorliegt oder z.B. ob der Mieter tatsächlich der Fahrer war, ob gar unter Alkohol- oder Drogeneinfluss gefahren wurde, zu hohe Geschwindigkeit die Ursache sein könnte usw.
Im zweiten Schadenfall hat der Mieter in einem Parkhaus einen Schaden lediglich am Mietfahrzeug verursacht. Hier sieht das Gericht das Vorliegen grober Fahrlässigkeit als gegeben an, da der Mieter mit einem ihm fremden Fahrzeug im beengten Parkhaus hätte besonders aufmerksam und vorsichtig fahren müssen. Auf dieser Basis wird dem Autovermieter der von ihm geforderte 70-Prozent-Anteil am Gesamtschaden zugesprochen. Dass der Schädiger den Autovermieter allerdings nicht sofort über die Beschädigung informierte und auch hier wieder nicht die Polizei rief, wirkt sich nach Ansicht des Gerichts nicht nachteilig für ihn aus. Das verwundert sehr. Das Gericht – es rühmt sich an mehreren Stellen des Urteils, besonders erfahren in verkehrsrechtlichen Angelegenheiten zu sein – scheint den Hintergrund der Sofortkontakt-Klausel und der Polizeiklausel nicht zu kennen, obwohl der BGH hierzu bereits mehrfach entschieden hat. Sind bestimmte Obliegenheiten an den Mieter für den Schadenfall in den Mietbedingungen formuliert, entspricht das einer nachvollziehbaren Interessenlage des Autovermieters. Es liegt darin keine Benachteiligung des Mieters, etwa weil Unzumutbares von ihm gefordert wird. Denn der Vermieter muss sich vor unberechtigten Schadenaufwendungen schützen können, die etwa nur deshalb entstanden sind, weil Mieter sich mit dem Eigentum des Vermieters auf gefährliche Weise im Straßenverkehr bewegen, Schäden alkoholbedingt geschehen usw. Die Begründung des Landgerichts, der Schaden sei ja bereits entstanden und ein Fremdschaden nicht vorliegend, daher müsse die Polizei nicht gerufen werden, ist völlig unverständlich und kann als seltene Mindermeinung in der Rechtsprechung angesehen werden.

 

 

 

 

 

Vorschau Titelblatt MRW 1-2022

Hier geben wir eine Vorschau auf das Titelblatt der ersten Ausgabe der MRW Mietwagenrechtswissen 2022…

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In kurz und praktisch befassen wir uns mit der Frage, wie mit der Tatsache umzugehen ist, dass Fraunhofer im Jahr 2021 zumeist lediglich in 7 Mietwagengruppen Werte anbietet.

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 10-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 10-22

Amtsgericht Bonn 103 C 120/21 vom 15.12.2021

1. Die Formulierungen der Abtretung der Schadenersatzforderungen sind hinreichend bestimmt und eine Rückabtretungs-Regelung braucht es nicht für eine dem Transparenzgebot entsprechende Ausgestaltung der Abtretung.
2. Sofern die Beklagte – wie hier – den Geschädigten lediglich ein Formschreiben übersendet und daher kein annahmefähiges Angebot unterbreitet, verstoßen die Geschädigten bei freier Wahl eines Mietfahrzeuges nicht gegen die Obliegenheit, den Schaden möglichst gering zu halten.
3. Den Behauptungen der Beklagten zu erfolgter Unterbreitung telefonischer Mietwagen-Direktvermittlungsangebote war mangels konkretem Vortrag der Beklagten nicht nachzugehen.
4. Die erforderlichen Kosten der Ersatzmobilität werden anhand des Mittelwertes der Listen, unfallbedingtem Aufschlag und Kosten erforderlicher Nebenleistungen geschätzt.

Zusammenfassung: Das Amtsgericht Bonn akzeptiert eine Abtretung von Schadenersatzforderungen als Grundlage der Aktivlegitimation, auch wenn diese keine Regelung der Rückabtretung enthält. Die Auffassung der beklagten Haftpflichtversicherung wird zurückgewiesen, die Geschädigten hätten übermittelte Mietwagenhinweise beachten müssen. Sie haben – anders als es die Beklagte vorträgt – den Schaden nicht unrechtmäßig vergrößert. Denn die „Angebote“ der Beklagten genügten nicht den Anforderungen, denen sie aus Sicht der Geschädigten entsprechen müssten. Ein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB liegt daher nicht vor. Die erforderlichen Kosten werden nach § 249 BGB mit Fracke, Aufschlag und Nebenkosten geschätzt.

Bedeutung für die Praxis: In der Rechtsprechung setzt sich immer mehr die Überzeugung durch, dass die Anforderungen an die Formulierungen von Abtretungsvereinbarungen jedenfalls nicht so weit gehen können, den Geschädigten vor dem Hintergrund der Transparenzanforderungen im Abtretungstext Selbstverständlichkeiten wie Rückabtretungsregelungen mitteilen zu müssen. In Bezug auf Mietpreisvorgaben der gegnerischen Versicherer an Geschädigte ist zumindest die grundlegende Anforderung zu stellen, dass neben dem genannten Preis auch die angebotene Leistung konkret erkennbar wird. Dazu gehört das konkrete Fahrzeug, das gleichwertig im Vergleich zum beschädigten Fahrzeug sein muss (also z.B. keine Einteilung nach KW, sondern konkretes Fahrzeug, dass der berechtigten Mietwagenklasse entspricht). Dazu gehören auch klare Angaben, wann und wo zu welchen Bedingungen das Fahrzeug verfügbar ist und welche Leistungen konkret dazugehören. Der Versicherer muss darlegen, was genau (Konkretheit und Umfang des Angebotes vor dem Maßstab des Schadenrechts „als wäre der Unfall nicht geschehen“) wann genau (wann telefoniert, wann geschrieben und wann daher dem Geschädigten vorliegend; „early bird“ oder „Zweiter Sieger“?) wem genau (Empfänger/Gesprächspartner ist der/die Geschädigte oder Dritte aus Familie, Werkstattmitarbeiter usw.?) von wem mitgeteilt wurde (entsprechend der Beweislast, die beim gegnerischen Versicherer liegt). Zum Inhalt des angeblich mit dem Geschädigten geführten Telefonates ist eine Beweisaufnahme abzulehnen, da diesbezüglich vorliegender Prozessvortrag der Beklagten unzureichend ist.

Zitiervorschlag: „Ohne konkretes Angebot kein Bindung an den Direktvermittlungspreis“

„Es kann dahinstehen ob im Schadensfall XXX dem Fahrer des Fahrzeugs des Geschädigten telefonisch am 07.09.2020 mitgeteilt worden ist, dass ein Mietpreis von 62.00 € kalendertäglich erreicht werden könne. Eine Zeugenvernehmung erfolgt zum einen nicht, da dies zu einer unzulässigen Ausforschung führen würde. Es wird nicht dargelegt, wer dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs was wann genau gesagt haben soll. Die allgemeine Behauptung der Versicherung des Unfallgegners, dass man ein Ersatzfahrzeug zum Preis von 62,00 EUR pro Tag erhalten könne, musste den Geschädigten auch nicht zu Marktrecherchen veranlassen und ihn auch nicht davon überzeugen, dass die Preise der Klägerin überhöht wären. (…)

Die Beklagte hat den Geschädigten kein auf sie zugeschnittenes Angebot unterbreitet, sondern ein  Formschreiben mit einer Preisaufstellung für verschiedene Klassen übersandt. Die führt nicht dazu, dass die Geschädigten hätten erkennen müssen, dass die Preise der Klägerin überhöht gewesen wären. Der Geschädigte erhält nur eine Information zu anderen Angeboten, ohne dass er diese direkt vergleichen kann. Hinzu kommt, dass eine Vergleichbarkeit auch aufgrund der unterschiedlichen angegebenen Fahrzeugklassen dem Verbraucher nicht möglich ist. Die Beklagte orientiert sich insoweit nicht an der auch in den Übersichtswerken genutzten Fahrzeugklassen, sondern bildet Klassen nach kw-Werten ohne andere Faktoren wie Preis, Ausstattung etc. zu berücksichtigen. Dadurch ist eine Vergleichbarkeit für den Verbraucher, der den Preis einer Ersatzanmietung ermitteln will, nicht ohne Schwierigkeiten und detaillierte Kenntnis der genannten Automodelle möglich.“ (Amtsgericht Bonn 103 C 120/21 vom 15.12.2021)
(Fettdruck durch den Autor)

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 9-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 9-22

Amtsgericht Marienberg 4 C 351/21 vom 16.02.2022

1. Ein Verstoß des Geschädigten gegen die Obliegenheit, den Schaden gering zu halten, liegt nicht vor.
2. Die Beklagte ist ihrer Beweislast nicht nachgekommen, dass sie dem Geschädigten überhaupt ein Angebot unterbreitet hat.
3. Auf die Frage, ob das angebliche Angebot hinreichend konkret gewesen wäre, kommt es daher nicht mehr an.
4. Die Formulierungen im Formular zur Abtretung der Ersatzforderungen an die Klägerin sind hinreichend bestimmt und darüber hinaus rechtskonform.
5. Die Schätzung der erforderlichen Kosten anhand der regionalen Marktlage erfolgt anhand des Mittelwertes der Listen von Schwacke und Fraunhofer.
6. Die Kosten erforderlicher Nebenleistungen für Haftungsreduzierung sowie Zustellung und Abholung des Ersatzfahrzeuges sind vom Schädiger zu erstatten.

Zusammenfassung: Das Amtsgericht in Marienberg weist den Vorwurf der Beklagten zurück, der Geschädigte hätte gegen seine Schadenminderungspflicht verstoßen, weil er ein Direktvermittlungsangebot der Beklagten erhalten und ausgeschlagen habe. Die Aktivlegitimation der Klägerin wird bestätigt. Die erforderlichen Kosten für den Mietwagen werden nach Fracke, die der Nebenleistungen nach Schwacke bemessen.

Bedeutung für die Praxis: Die Behauptung des KH-Versicherers, er habe die Geschädigte angerufen und ein Angebot unterbreitet, ließ sich nicht bestätigen. Das Gericht befragte die Geschädigte dazu und die konnte nachvollziehbar ausschließen, von der Beklagten angerufen worden zu sein. Die Situation stellte sich für das Gericht so dar: Die Beklagte lässt schriftlich ausrichten, ein telefonisches Angebot an die Geschädigte in Höhe von 28 Euro abgegeben zu haben und die Zeugin weist das als nicht möglich zurück, da ihr Telefon nach dem Unfall ausgeschaltet gewesen sei, da es ihr nicht gut ging.
Solche Fälle häufen sich: Versicherer behaupten Direktvermittlungsangebote, die es nie gegeben hat. Das Problem dahinter ist, dass es vielen Gerichten ausreichend erscheint, wenn Versicherer in ihren Aufzeichnungen angebliche Tatsachen notieren und diese Notizen später den Gerichten vorlegen. Und das Problem danach ist, dass Gerichte – wie hier, es gibt eine Vielzahl solcher Fälle – solche Erkenntnisse nicht an die Strafjustiz abgeben, sondern lediglich ihren Zivilprozess zu Ende bringen. Es handelt sich hier um versuchten Prozessbetrug, nach § 263 Abs. 1 StGB belegt mit einer Strafandrohung bis zu 5 Jahren Freiheitsentzug. Die Gerichte machen es den Versicherungen zu einfach, wenn sie das Vorlegen von internen Aufzeichnungen der Beklagten als ausreichenden Parteivortrag dafür ansehen, dass der Geschädigte überhaupt ein Angebot erhalten hat und dieses auch hinreichend konkret gewesen sein könnte. Die Geschädigten können nichts dafür, dass die Beklagte ihrer Beweislast eigentlich nicht nachkommen kann, wenn sie nach Telefonaten keine eindeutigen beweistauglichen Unterlagen besitzen kann. Die interne Notiz kann jedenfalls kein Beweis für Tatsachen sein, sondern lediglich eine einseitige Behauptung. Dieser und andere vorliegende Fälle belegen das.
Neben der Frage, ob ein Angebot vorlag, lässt es das Gericht offen, ob es sich um ein konkretes Direktvermittlungsangebot gehandelt hätte, das als Preisvorgabe zu werten wäre und deutet an, dass das ohne Berücksichtigung sämtlicher Einzelpositionen wohl nicht so wäre.

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 8-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 8-22

Amtsgericht Oldenburg 5 C 5037/21 vom 10.05.2021

1. Der Geschädigte hat einen Anspruch auf Ausgleich der gegen ihn gerichteten Forderungen, die aufgrund des Unfallereignisses und der durch ihn getroffenen Maßnahmen zur Schadenkompensation entstanden sind.
2. Die subjektive Schadenbetrachtung gebietet es, die Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten bei der Wahl der Mittel zu berücksichtigen. Die grundsätzlich freie Wahlmöglichkeit der Mittel führt nicht dazu, dass er Marktforschung betreiben oder überobligatorische Anstrengungen unternehmen muss, um für den Schädiger zu sparen.
3. Die Kosten der erforderlichen Ersatzmobilität sind mittels der Schwacke-Liste Automietpreisspiegel zu schätzen (keine Internet-Lastigkeit, örtliche Genauigkeit.
4. Der Verweis der Beklagten auf den Fraunhofer-Marktpreisspiegel ist kein konkreter Sachvortrag, ebenso wenig die Behauptung, woanders wäre ein Mietfahrzeug günstiger gewesen.
5. Die Kosten der schadenbedingten Nebenleistungen sind ebenso von der Beklagten zu erstatten (Haftungsreduzierung, Zusatzfahrer-Erlaubnis)
6. Ein Abzug für ersparte Eigenaufwendungen ist ausnahmsweise deshalb nicht gerechtfertigt, weil mit dem Ersatzwagen lediglich unter 1.000 km gefahren wurde.

Zusammenfassung: Das Amtsgericht Oldenburg weist die Einwände der Beklagten gegen die Schadenersatzforderungen des Zessionars zurück und spricht den Restbetrag vollständig zu. Zur Schätzung der erforderlichen Mietwagenkosten wird die Schwacke-Liste angewendet. Kosten der Nebenleistungen werden ebenso als ersatzfähig angesehen. Vom Abzug für Eigenersparnis unter 1.000 km ist abzusehen.

Bedeutung für die Praxis: Zunächst leitet das Gericht die Grundsätze des Schadenersatzrechts bezogen auf die Ersatzwagenanmietung lehrbuchhaft her und verweist darauf, dass die individuellen Einfluss- und Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten zu beurteilen sind. Das allgemeine Bestreiten der Erforderlichkeit der schadenrechtlich geforderten Mietwagenkosten durch die beklagte Haftpflichtversicherung wird vom Gericht nicht als Anlass gesehen, die im Gerichtsbezirk geltende Schwacke-Linie zu verlassen. Es bestehe keine Pflicht zur Erkundigung nach niedrigeren Tarifen, so lange das Angebot nicht deutlich aus dem Rahmen falle. In diesem Rahmen könne er das erstbeste Angebot für sich nutzen. Bei der Beantwortung der Frage der Erstattung von Kosten einer Haftungsreduzierung schaut das Gericht allerdings rechtsfehlerhaft darauf, ob der Geschädigte sein eigenes, verunfalltes Fahrzeug kaskoversichert hat. Das spielt aber hier gar keine Rolle. In Bezug auf die Frage der Erstattungsfähigkeit einer Zweitfahrergebühr liegt das Gericht wieder auf BGH-Linie und urteilt, dass diese dann zu erstatten sind, wenn der Geschädigte auch mit seinem eigenen Fahrzeug nicht nur selbst gefahren ist. Da der Versicherer die Mietwagendauer anzweifelt und daher einen Reparaturablaufplan verlangte, sind dessen Kosten auch von ihm zu erstatten. Einzelne Gerichte denken auch in der Frage von Abzügen wegen ersparter Eigenkosten weiter, wenn dazu vorgetragen wird. Fährt ein Mieter weniger als 1.000 km nicht mit seinem beschädigt in der Werkstatt stehendem Auto, ist eine für ihn realisierbare konkrete Ersparnis bei seinem eigenen Fahrzeug nicht vorstellbar und ein Abzug bei Schadenersatzansprüchen daher falsch.

 

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 7-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 7-22

Landgericht Bonn 20 O 5/21 vom 09.11.2021

1. Höhere Mietwagenkosten nach erheblicher Verlängerung der Mietdauer gehen zu Lasten des Schädigers, der vergeblich um einen Vorschuss der Reparaturkosten gebeten wurde.
2. Die Schätzung des Schadenersatzanspruches für Mietwagenkosten erfolgt anhand des Mittelwertes aus Schwacke und Fraunhofer.
3. Kosten der Nebenleistungen für Winterpaket, Haftungsreduzierung und Zusatzfahrer sind zu erstatten.
4. Es erfolgt kein Abzug für ersparte Eigenaufwendungen, da der Mietwagen klassenkleiner angemietet wurde.

Zusammenfassung: Das Landgericht Bonn spricht einem Geschädigten mehrwöchige Mietwagenkosten zuzüglich der Kosten für Nebenleistungen vollständig zu, nachdem der Schädiger um zügige Regulierung gebeten und vor hohen Mietwagenkosten gewarnt wurde. Die Höhe des Normaltarifes wird mittels Fracke geschätzt und alle abgerechneten und schadenersatzrechtlich geforderten Nebenkosten als erstattungsfähig angesehen.

Bedeutung für die Praxis: Rechtsfehlerhaft geht das Erstgericht zunächst davon aus, dass es dem Geschädigten grundsätzlich obliegt, die Reparaturkosten vorzufinanzieren. Das hat der BGH jüngst erst wieder verneint. Im konkreten Fall ging das für den Geschädigten nicht nach hinten los, weil die Klägerseite sehr transparent einen Vorschuss eingefordert und vor hohen Mietwagenkosten gewarnt hatte. Eine generelle Erkundigungspflicht- wie sie die Beklagte dem Geschädigten unterstellte – wies das Gericht zurück.

Hinweis: Es ist nichts darüber bekannt, ob das Urteil rechtskräftig geworden ist.

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 6-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 6-22

Landgericht Köln 11 S 104/19 vom 14.12.2021
(Vorinstanz Amtsgericht Köln 267 C 162/17 vom 19.03.2019)

1. Ein Direktvermittlungsangebot eines Gegnerversicherers bindet den Geschädigten nicht, wenn es die Schadenersatzleistung nicht vollständig umfasst; hier schlechtere Selbstbeteiligung bei der Haftungsreduzierung.
2. Ein Abzug für ersparte Eigenkosten in Höhe von 10 Prozent auf den Grundpreis der Mietwagenforderung ist angemessen.
3. Ein pauschaler Aufschlag wegen unfallbedingter Mehrleistungen des Vermieter ist gerechtfertigt, hier bei erforderlicher Vorfinanzierung des Mietwagenpreises durch den Anbieter oder auch bei Vermietung mit zunächst offenem Miet-Ende.

Zusammenfassung: Das Berufungsgericht in Köln konkretisiert seine Rechtsprechung zur Frage der angemessenen Mietwagenkosten nach Preisvorgabe des Haftpflichtversicherers dahingehend, dass das Direktvermittlungsangebot an den Geschädigten auch im Detail der angebotenen Selbstbeteiligung zum tatsächlichen Anmietbedarf passen muss. Daher wird ein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht verneint. Auf den Normaltarif der nach § 287 ZPO geschätzten erforderlichen Kosten ist ein Aufschlag wegen unfallbedingter Mehrleistungen in Höhe von 20 Prozent als angemessen anzusehen. 

Bedeutung für die Praxis: Die 11. Kammer des Landgerichts in Köln hatte im Jahr 2018 entschieden, dass die übliche Preisvorgabe der DEVK den Geschädigten aufgrund seiner Obliegenheit zur Schadenminderung an den ihm gegenüber genannten Tagespreis bindet. Nun schaut man hier wohl etwas genauer hin.
Das Berufungsgericht spricht auch den Aufschlag auf den Grundpreis der Mietwagenkosten zu. Als dafür ausreichend wird es angesehen, wenn der Autovermieter den Mietzins vorfinanzieren oder die Rückgabe des Fahrzeuges flexibel gehandhabt werden muss. Das heißt, dass der Geschädigte sich für die Inanspruchnahme eines teureren Fahrzeuges nicht in einer Notsituation befinden muss. Um ein Mietwagenangebot anzunehmen, das wegen unfallbedingter Mehrleistungen um 20 Prozent teurer als der durchschnittliche Marktpreis ist, können auch die erforderlichkeit anderer unfallbedingter Zusatzleistungen angeführt werden.

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 5-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 5-22

Amtsgericht Koblenz 152 C 1479/21 vom 20.01.2022

1. Das von der Beklagten gegenüber der Geschädigten telefonisch unterbreitete „Angebot“ entfaltet keine Bindungswirkungen nach § 254 BGB.
2. Die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges bei der Klägerin zu Marktpreisen stellt demnach keinen Verstoß des Geschädigten gegen seine Schadenminderungsobliegenheit dar.
3. Zur Schätzung der erforderlichen Mietwagenkosten nach Unfall wendet das Gericht die Schwacke-Liste an. Dagegen gerichteter Vortrag der Beklagten ist unsubstanziiert und daher unbeachtlich.
4. Auf den Grundtarif der Vergleichsliste ist ein Aufschlag in Höhe von 20 Prozent wegen unfallbedingt erforderlicher Mehrleistungen des Vermieters zuzusprechen.
5. Kosten weiterer Nebenleistungen für eine erweiterte Haftungsreduzierung und das Zustellen und Abholen des Mietfahrzeuges sind von der Beklagten zu erstatten.
6. Kosten der Desinfektion aufgrund der Corona-Gefahren sind schadenersatzrechtlich berechtigt und in der Höhe nicht zu beanstanden.
7. Wegen der Anmietung eines klassenkleineren Fahrzeuges im Vergleich zum Geschädigtenfahrzeug kommt ein Abzug für ersparte Eigenaufwendungen nicht in Betracht.

Zusammenfassung: Das Amtsgericht Koblenz kommt nach Zeugenvernehmung zu dem Schluss dass der Haftpflichtversicherer dem Geschädigten kein annahmefähiges Direktvermittlungsangebot unterbreitet hatte und die Anmietung beim Kläger keinen Rechtsverstoß darstellt. Das Gericht schätzt mittels Schwacke-Liste, spricht auch den Aufschlag und die Nebenkosten zu sowie auch die Desinfektionspauschale des Autovermieters.

Bedeutung für die Praxis: Endlich! Endlich stellt ein Gericht der Beklagten bzw. ihrer Zeugin die richtigen Fragen. Der Haftpflichtversicherer suchte früh den Kontakt zum Geschädigten. Das ist bei vielen Haftpflichtversicherern inzwischen Standard. Weil es für den Versicherer darauf ankommt, den Geschädigten zu erwischen, bevor die Messe gelesen ist (also bevor der einen Sachverständigen beauftragt, einen Anwalt mandatiert und einen Mietwagen geordert hat), versucht er es oft bereits telefonisch, wenn der noch am Unfallort ist oder baldmöglichst danach. Das Problem für den Versicherer ist dann zwar meist nicht mehr, ob er schnell genug ist, aber er bekommt ein neues Problem, über das bisher zu wenig gesprochen und geschrieben wurde.
Wenn Gerichte nachhaken ergibt sich: Der Versicherer weiß zu dem Zeitpunkt noch nicht genug, um erkennen und entscheiden zu können, dass er grundsätzlich den Schaden zu bezahlen hat. Er kennt auch den konkreten Schadenersatzanspruch des Geschädigten nicht. Ja er kann justament noch nicht mal seine Eintrittspflicht geprüft haben und damit dem Geschädigten, dem er schnellstmöglich regulierungsrelevante Vorgaben machen will, auch nicht die Zusage erteilen, dass er die Mietwagenkosten auch vollständig bezahlen wird, von denen er gerade spricht.
Von Ausnahmen abgesehen, ist eine schnelle Kontaktaufnahme des gegnerischen Versicherers mit dem Anspruchsteller daher als ein Schuss ins Blaue anzusehen. Das zeigen auch schon die Formulierungen auf den nachfolgenden Schreiben, in denen es lediglich allgemein (sinngemäß) „wir können alles und alles ist inklusive“ heißt.
Ein konkretes Mietwagenangebot für den Geschädigten, mit dem er in der Lage wäre, danach entsprechend seiner grundsätzlichen Pflicht zur Geringhaltung des Schaden verschiedene Alternativen abzuwägen, wurde hier beim Autor dieser Zeilen bis heute noch nicht gesehen. Gerichte, die das verstehen, können sich zusätzlich die Frage stellen, ob es auch wettbewerbsrechtlich bedenklich ist, wenn Behauptungen ins Blaue hinein nicht nur den Preis beeinflussen, sondern auch die Marktnachfrage kanalisieren. Denn wenn lediglich ein völlig vom Sachverhalt lösgelöster Preis quasi im Sinn einer irreführenden Werbung für Nachfrage bei wenigen Anbietern sorgt, welche sonst auch anderswo zu einer Anmietung geführt hätte, ist ein Vorliegen eines solchen Rechtsverstoßes sehr wohl zu überlegen. Im Zweifel hätte das Autohaus oder der kleine Vermieter – der nicht mit den Großen mitspielen kann – die Miete zum Marktpreis erhalten und nur wegen Fake-Aussagen entsteht dort ein Schaden.
Es ist nicht zu leugnen, dass man bei allgemeiner Betrachtung der Vorgänge bisher einen wettbewerbsrechtlichen Verstoß regelmäßig verneinte. Doch bei genauerem Hinsehen ergibt sich – und das muss dabei berücksichtigt werden -, dass die „Angebote“ der Versicherer lediglich eine sich selbst bestätigende Prophezeiung sind (wir können alles liefern und dann liefern sie später meist auch, aber ohne zu Beginn zu wissen, worin das abgegebene Angebot konkret besteht). Und das auch nur, weil Gerichte ihnen dieses Spiel erlauben. Würden sie Häuser bauen wie eine Baufirma, bekämen sie mit „wir können alles“ keinen einzigen Auftrag, auch wenn sie nach einer Beauftragung tatsächlich irgendwann einen Plan erstellen und etwas bauen könnten. Darauf kann man keinen Bauherren und keinen Geschädigten in Gerichtsverfahren verpflichten.
Unter diesem Blickwinkel wird auch die BGH-Mietwagenrechtsprechung zum Druck auf Geschädigte mittels Direktvermittlungsversuchen von Mietwagen unter einem besonderen Licht zu sehen sein. Der BGH schien sich zumindest bisher für die Einzelheiten und die Abläufe dieser Vorgänge nicht sonderlich zu interessieren.

Zitiervorschlag: „Ohne Kostenzusage kein annahmefähiges Angebot“

„..aufgrund der Aussage der Zeugin … nicht davon überzeugt, dass die Beklagtenseite dem Geschädigten ein Mietfahrzeug zu einem Preis von 46,- Euro pro Tag konkret angeboten hat. Das geführte Telefonat genügt den Anforderungen an ein hinreichend konkretes alternatives Mietwagenangebot nicht. Die Zeugin hat hierzu ausgeführt, sie habe dem Geschädigten zum Zeitpunkt des Telefonates noch keine Kostenzusage geben können. Sie hätten allgemein über die Angelegenheit und die Möglichkeit der Anmietung eines Fahrzeuges gesprochen. Aufgrund der fehlenden Zusage zur Kostendeckung habe Sie den Geschädigten darauf hingewiesen, dass er einen Mietwagen auf eigenes Kostenrisiko anmieten würde. Seitens der Versicherung werden lediglich ein Betrag in Höhe von 46,00 Euro pro Tag erstattet. (…)
Da sich der Geschädigte demnach nicht auf ein günstigeres Mietwagenangebot der Beklagten verweisen lassen musste, bildet den Maßstab für die wirtschaftliche Erforderlichkeit (…) der am Markt übliche Tarif.“
(Amtsgericht Koblenz 152 C 147913/21 vom 20.01.2022)

Ob das Urteil rechtskräftig geworden ist, ist bisher nicht bekannt.

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 4-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 4-22

Amtsgericht Siegburg 103 C 13/21 vom 09.12.2021

1. Nach einer tatsächlichen Inanspruchnahme des Ersatzwagens erübrigt sich die Diskussion zum Nutzungswillen und zur Nutzungsmöglichkeit auch dann, wenn sich der Geschädigte im Anschluss kein Fahrzeug mehr anschafft.
2. Die Schätzung erforderlicher Mietwagenkosten erfolgt anhand des „Mittelwertes der Listen-Mittelwerte“.
3. Zur Ermittlung der erstattungsfähigen Mietwagenkosten ist zum Grundtarif ein 20%-Aufschlag wegen der Erforderlichkeit unfallbedingter Mehrleistungen hinzuzufügen.
4. Ein Abzug wegen ersparter Eigenaufwendungen des Geschädigten in Höhe von 4 Prozent ist ausreichend.
5. Die beklagtenseits gegen die Berechtigung der Mietwagenforderung vorgelegten alternativen Angebote sind nicht vergleichbar und daher nicht als konkreter Sachvortrag zu bewerten.
6. Kosten erforderlicher Nebenleistungen wie erweiterte Haftungsreduzierung, Zweitfahrergebühr und Fahrzeug mit Navigation sind von der Beklagten zu erstatten.

Zusammenfassung: Das Amtsgericht in Siegburg spricht der Klägerin aus abgetretenem Recht die restlichen Mietwagenkosten vollständig zu, ebenso den unfallbedingten Aufschlag und die Nebenkosten. Zuvor stellt das Gericht jedoch klar, dass im Regelfall auch dann an den Schädiger gerichtete Schadenersatzforderungen bzgl. Mietwagenkosten erstattungsfähig sein können, wenn sich der Geschädigte nach der Miete kein anderes Fahrzeug als Ersatz für seinen Unfallwagen anschafft.

Bedeutung für die Praxis: Das Gericht sagt aus, dass Nutzungswille und Nutzungsmöglichkeit für die Frage der Erstattungsfähigkeit konkret angefallener Mietwagenkosten unerheblich sind, da es dann um eine konkrete Abrechnung für tatsächlich erforderliche Ersatzmobilität nach einem Unfall geht. Es richtet den Blick also verstärkt auf die Nutzung des eigenen Fahrzeuges vor dem Unfall, abrupt beendet durch den Unfall und fortgesetzt mit dem Mietwagen. Ob der Geschädigte im Laufe der Schadenregulierung dann zum Zeitpunkt der Beendigung des Mietvertrages aus verschiedenen denkbaren Gründen zu der Entscheidung gelangt, sich kein neues Fahrzeug anzuschaffen, ist daher nicht relevant (bei üblichen Einschränkungen in der Frage ausreichenden Fahrbedarfs oder eines frei verfügbaren anderen eigenen und geeigneten Fahrzeuges). Die Richtigkeit dieser Auffassung stellt folgender Gedanke auf die Probe: Sofern sich während der Schadenregulierung herausstellt, dass es für den gewünschten Ersatzwagen finanziell nicht reicht (dann eben gar kein Auto mehr) oder der Geschädigte aus persönlichen Gründen zufällig gerade zu diesem Zeitpunkt, ob aus familiären oder gesundheitlichen Gründen, beschließt, kein Auto mehr fahren zu wollen, oder er zu der Einsicht kommt, dass draußen zu viele potentielle Schädiger herumfahren, dann kann ihm diese Entscheidung nicht zum Nachteil gereichen, indem er die Mietwagenkosten für 14 Tage Wiederbeschaffungszeitraum zzgl. Überlegungsfrist selbst bezahlen muss.
Das Gericht sieht mehrere mögliche Gründe für den Aufschlag. Neben der Eilbedürftigkeit sind das höhere Kosten des Vermieters im Zusammenhang mit der unklaren Anmietdauer und ein daraus resultierender erhöhter Verwaltungsaufwand und verschiedene finanzielle Risiken des Vermieters wegen fehlender Kaution und nicht erfolgter Vorauszahlung des Mieters.

 

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 3-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 3-22

Amtsgericht Köln 273 C 69/21 vom 11.02.2022

1. Die erforderlichen Mietwagenkosten zur Wiederherstellung der Mobilität des Geschädigten werden anhand des Mittelwertes der Listen von Schwacke und Fraunhofer geschätzt.
2. Da Fraunhofer keinen Modus ausweist, wird auf das arithmetische Mittel aus beiden Listen zurückgegriffen.
3. Die dem Gericht von der Beklagten gegen die Verwendung der Schwacke-Liste vorgelegten Internetscreenshots sind kein konkreter Sachvortrag.
4. Der Abzug für ersparte Eigenkosten ist mit 4 Prozent vom Grundpreis ausreichend bemessen.
5. Kosten erforderlicher Nebenleistungen zur Reduzierung der Haftung bei Mietwagenbeschädigung und für eine Zweitfahrer-Erlaubnis sind vom Schädiger zu erstatten.

Zusammenfassung: Das Amtsgericht Köln wechselt mit Blick auf das OLG Köln zur Schätzung der Mietwagenkosten mit fadenscheiniger Begründung auf die Mittelwert-Linie. Die trotzdem weiter vehement gegen die Verwendung der Schwacke-Liste im Rahmen der Mittelwertberechnung vorgetragenen Argumente der Beklagten werden als unkonkret zurückgewiesen. Kosten für eine Haftungsreduzierung und den Zweitfahrer sind vom Versicherer zu erstatten.

Bedeutung für die Praxis: Zunächst ist es bedeutsam zu wissen, dass sich die Amtsrichter in Köln auf die Verwendung des Mittelwertes Fracke verständigt haben. Inwieweit das am Landgericht Bestand haben wird, muss abgewartet werden. Dem Verfasser ist es jedoch wichtig, auf die Verzwickungen hinzuweisen, mit denen das Amtsgericht in seiner Urteilsbegründung kämpft. Die Argumentation der Beklagten mittels eingeholter Internetscreenshots wird mit tragfähigen Argumenten zurückgewiesen. So seien (1.) die Screenshots nur Auswahlfenster mit der Notwendigkeit für den Mieter, weitere Auswahlschritte zu gehen, um den Wagen zu reservieren. Es handele sich (2.) zudem nur um eine Mietanfrage des Interessenten per Internet, die vom Vermieter nicht angenommen werden muss. Die tatsächlichen Konditionen und Verfügbarkeiten ergäben sich (3.) erst nach einer Rückmeldung des Vermieters. Die Beispiele aus den Screenshots seien (4.) bezüglich des Fahrzeuges nicht hinreichend konkret, ohne eine Mietwagenklasse zum Vergleich mit dem vorhandenen schadenrechtlichen Anspruch. Unter anderem damit begründet das Amtsgericht seine Auffassung, dass die Internetscreenshots bei der Frage der Suche nach der verwendbaren Schätzgrundlage keine Rolle spielen können. Das führt jedoch zu der Frage, wo der Unterschied zur Methode der Erstellung der Fraunhofer-Liste liegen soll. Fraunhofer hat es doch genauso gemacht. Auch dort ist es derselbe Weg bis zum Vorliegen eines angeblichen Preisangebotes. Das Gericht müsste mit derselben Begründung, die es hier ja eindeutig und korrekt formuliert, auch die Anwendbarkeit der Internet-Tabellen der Fraunhofer-Liste ablehnen. Das Ergebnis des Verfahrens hätte auf die Begründung hinauslaufen müssen: „Eine Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist nicht erzielbar, das Gericht verbleibt bei seiner Auffassung, dass die Fraunhofer-Werte für die Rechtsprechung nicht verwendbar sind, zumal Vorkasse, Kaution, Internetbuchung, Vorbuchung usw. Mietkriterien sind, die Geschädigte in der Regel nicht erfüllen können“. Doch das ist rechtspolitisch in Köln nicht mehr gewünscht. Auch zur Schwacke-Liste wird unbestätigtes Zeugs übernommen. Seit wann kann eine „etwaige“ Manipulation ein Urteilsgrund sein? Das Gericht hätte hier die Aufgabe gehabt, diese Etwaigkeit zu ergründen, zumal sie im krassen Gegensatz zur bisherigen Rechtsauffassung zur Schwacke-Liste steht. Das Urteil zeigt, dass sich die Rechtsprechung zu wenig mit den Tatsachen auseinandersetzt. Stattdessen wird über die eigene „umfassende Abwägung“ schwadroniert, die doch nur ein Ziel hat, das gewünschte Ergebnis zu begründen.

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 2-22

Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 2-22

Landgericht Wiesbaden 14 S 132/20 vom 17.12.2021
(Vorinstanz Amtsgericht Wiesbaden 93 C 4381/19 vom 19.06.2020)

1. Die Berufung der beklagten Haftpflichtversicherung gegen die Schätzung der erforderlichen Mietwagenkosten des Erstgerichtes anhand des Mittelwertes aus Schwacke und Fraunhofer wird zurückgewiesen.
2. In Bezug auf vorgelegte Internetscreenshots bestätigt die Berufung die Auffassung der Erstinstanz, dass solche Angebote auch Teil der Mittelwert-Berechnung in der Schwacke-Liste sein können.
3. Die von der Beklagten eingeforderte Einholung eines Sachverständigengutachtens wird abgelehnt.
4. Dem Geschädigten obliegt keine allgemeine Erkundigungspflicht nach anderen und günstigeren Mietwagenangeboten.
5. Kosten der Ausstattung des Ersatzfahrzeuges mit Winterreifen sind erstattungsfähig.

Zusammenfassung: Das Landgericht Wiesbaden bestätigt ein Mietwagenurteil der Erstinstanz und weist die Angriffe der Beklagten gegen das Amtsgerichtsurteil als unkonkret und falsch zurück. Die Mittelwert-Methode wird in der Berufung bestätigt, ebenso die Erstattungsfähigkeit von Nebenkosten. Eine grundsätzliche Erkundigungspflicht des Geschädigten bestehe nicht.

Bedeutung für die Praxis: Die Beklagte hatte die Aktivlegitimation in der Berufungsinstanz nicht mehr infrage gestellt. Das Amtsgericht hatte keine Verstöße gegen einschlägige Rechtsgrundlagen gesehen. Der Auffassung der Beklagten, die Schwacke-Liste komme für eine Mittelwertbildung zur Mietwagenschätzung nicht in Betracht, wurde zunächst vom Erstgericht und dann auch vom Berufungsgericht eindeutig widersprochen. Das Erstgericht hatte vor allem eine Anwendung allein der Fraunhofer-Liste als problematisch angesehen. Die Beklagte hatte es versäumt, konkrete Auswirkungen der von ihr angeführten angeblichen Erhebungsfehler bei Schwacke auf den konkreten Fall darzulegen. Ihre Behauptungen zur Möglichkeit für den Geschädigten, einen Mietwagen günstiger anzumieten, erfolgten ins Blaue hinein. Die Kosten erforderlicher Nebenleistungen sind erstattungsfähig. Einen Aufschlag auf den Grundtarif hatte die Klägerin nicht geltend gemacht.

Hinweis: Das Gericht erkennt in den Internetbeispielen, die von der Beklagten hier in den Prozess eingebracht wurden, keine so große Anzahl von konkreten und günstigeren Vergleichsangeboten für einen Verdacht gegen den Werte aus der Schwacke-Liste. ABER: Es besteht anders herum die Möglichkeit, Internetscreenshots für den Gerichtsbezirk Wiesbaden für Kläger zur Verfügung zu stellen, um gegen die Anwendbarkeit der Fraunhofer-Werte eine Zahl von ca. 80 im Vergleich zu Fraunhofer viel teureren Mietwagen-Beispielen zur Verfügung zu stellen. Bei Interesse, damit die Anwendbarkeit der Fraunhofer-Liste für eine Mittelwertbildung infrage zu stellen, melde man sich bitte zur  Erstellung eines Gutachtens zum Internetmarkt Wiesbaden 2021. Solche Beispiele sind auch für über 60 weitere Städte und Regionen gesammelt und verfügbar.

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