Selbsterfahrungskurs Unfallersatz-Mietwagen: Was ist falsch an der BGH-Rechtsprechung?
Mit Nachtrag, siehe unten.
Als Geschäftsführer des BAV verfüge ich über einen Dienstwagen. Dafür bin ich sehr dankbar und nutze ihn selbstverständlich. Kurz vor Ostern ist mir ein kleines Missgeschick passiert. Ich fuhr an einer großen Kreuzung in Berlin als erster „bei grün“ zügig an und kollidierte mit einem anderen Pkw. Dessen Fahrer hatte versucht, mir eigentlich entgegenkommend und gleichzeitig auch bei grün losfahrend, zu wenden und noch vor mir auf meine Spur zu fahren. Ich bremste mit mehreren Metern ABS-Einsatz und rutschte ihm doch noch in seine Tür. Das alles war sehr ärgerlich – so wie für jeden anderen unschuldig in einen Unfall verwickelten Verkehrsteilnehmer. Aber ich hatte ja einige Kenntnisse rund um die Materie und so entspannte ich mich etwas.
Erst nach Ostern – das Auto fuhr ja noch – stellte ich fest, dass es wohl nicht nur um ein paar Kratzer gehen würde, sondern Stoßfänger, Kotflügel, Grill und Scheinwerfer erheblich betroffen sind. Dass man von außen nur geringe Beschädigungen sieht, heißt ja oft nicht viel. Wie ich dann vermutete, stellte ein Sachverständiger fest, dass das Fahrzeug wegen der Scheinwerfer-Beschädigung nicht mehr fahrbereit sei. Ich brauchte einen Ersatzwagen. Hier musste ich mich besonders anstrengen, das war klar. Niemand würde mich als in Mietwagensachen Unerfahrenen ansehen und mir eine überhöhte Mietwagenrechnung durchgehen lassen.
Ich buchte also im Internet bei einem der großen Anbieter ein Fahrzeug. Ich wählte eine Mietwagengruppe kleiner, um einen späteren Abzug wegen ersparter Eigenkosten nicht aus eigener Tasche bezahlen zu müssen. Im Gegensatz zu jedem anderen Geschädigten kann ich die Mietwagengruppen in meinem Büro selbst in der Schwackeliste-Automietwagenklassen nachschlagen. Das Auto holte ich auch selbst ab und wählte den günstigeren Wochentarif, da mir klar war, dass es etwas länger dauern würde. Erst musste das Gutachten erstellt werden , dann würde die Werkstatt die Teile bestellen und die Arbeiten würden sicherlich nicht in ein paar Stunden zu erledigen sein.
So weit so gut. Bis auf die Frage, welche Mietwagengruppe als Ersatzfahrzeug zu wählen ist, hätte das ein besonders sensibler und preisbewusster, mit viel Zeit und kritischer Einstellung ausgestatteter Geschädigter vielleicht auch so hinbekommen. Doch welches Fahrzeug als Ersatz für den beschädigten Wagen zu wählen ist, das kann der normale Geschädigte nicht wissen. Denn das setzt Rechtskenntnisse voraus und einen Zugang zur Liste der Mietwagenklassifizierung.
Es ergibt sich eine entscheidende Frage: Welchen Quell der Erkenntnis für den Geschädigten hat sich der BGH da vorgestellt, als er den Normalkunden und den Mietwagen-Normaltarif als den Normalfall im Schadenrecht etabliert hat?
a) Die Gegner-Versicherung?
Das wäre ein schlechter Scherz. Dann wären mit den mittelständischen Autovermietern die Anwälte (Geschädigten- und Schädiger-Anwälte) und freiberuflichen Sachverständigen gleich mit abgeschafft.
b) Die Reparaturwerkstatt?
Sicher nicht, denn die haben mit meinem (selbst im Internet gesuchten und gebuchten und voraubezahlten) Mietwagen nichts zu tun. Deren eigene Mietwagen – sofern sie welche haben – sind andere, mit anderen Motorisierungen und Einkaufspreisen, also anderen Mietwagengruppen. Außerdem schlage ich deren Mietwagenangebot ja bewusst aus, was kann ich da in der Mietwagenthematik noch erwarten? Eher nichts, auch keine Antwort auf diese Frage.
c) Der / mein Sachverständiger?
Der wäre höchstens in der Lage, die Nutzungsausfall-Gruppe und die Mietwagengruppe des beschädigten Fahrzeuges im Gutachten auszuweisen. Doch das Gutachten kommt erst nach mehreren Tagen bei mir an. Mein Gutachter hat das auch gar nicht im Gutachten erwähnt – wie ich nun weiß – und er wird mir auch grundsätzlich nicht erklären können und wollen, was es mit den Mietwagengruppen im Schadenersatzrecht auf sich hat und welche auf dem Markt verfügbaren Mietwagen nun genau der Gruppe entsprechen, auf deren Anmietung und Bezahlung ich schadenersatzrechtlich hoffen könnte. Der Gutachter hilft mir also auch nicht, wenn ich auf dem Hof der Werkstatt stehe und mich frage, was ich denn nun tun soll, ohne am Ende auf den Kosten eines Mietwagens teilweise sitzen zu bleiben.
d) Bliebe da noch ein Anwalt.
Ich persönlich kenne natürlich einige, auch in Berlin. Der „Normalgeschädigte“ kennt solchn Verkehrsrechtsspezialisten aber nicht und selbst wenn, erreicht er den gerade jetzt, während er auf dem Hof der Werkstatt steht und sich fragt, was er nun tun soll? Müssen die Anwälte nicht erst einmal eine Unterschrift vom Geschädigten haben, wenn dieser ihre Dienste in Anspruch nehmen möchte? Viele Geschädigte kommen auch erst zum Anwalt, wenn der Versicherer Kürzungen vorgenommen hat („Stichwort Restscheiß“). Und haben die Anwälte die Liste der Mietwagenklassifikation überhaupt griffbereit, um mit mir die Ergebnisse meiner sofortigen Marktrecherche des Internets oder der telefonischen Preisanfragen durchzugehen? Ich denke zudem auch, dass die Anwälte das nicht aus Nächstenliebe und nicht sofort tun können und dass sie auch die Informationen nicht griffbereit haben, mir so oder ähnlich mitzuteilen: „Nein, das Angebot kannst Du nicht annehmen, das ist nicht Deine Mietwagengruppe, da legst Du am Ende drauf.“ oder „den kannst Du nehmen, aber damit sparst Du überobligatorisch.“
Was heißt das?
Ich bin wohl der einzige Geschädigte in Deutschland, der ohne fremde Hilfe als Normalkunde den richtigen Ersatz-Mietwagen wählen kann, dessen Kosten er sich später vom Versicherer ohne Abzug für Eigenersparnis erstatten lassen möchte. Erforderlich aus schadenrechtlicher Sicht sind alle Maßnahmen, die eine Situation herstellen, als wäre der Schaden nicht geschehen. Der Geschädigte darf sich ein Fahrzeug vergleichbar mit seinem Fahrzeug anmieten. Sich genau die Mietwagengruppe zu wählen, die keine eigenen Kosten verursacht, aber auch dem eigenen Recht auf vollständigen Schadenersatz entspricht, das kann ein Mietwagen-Normalkunde nicht. Auch die Internetbuchung hält dafür keinerlei Informationen bereit. Allenfalls ist dort mit viel Mühe ein so genannter Acriss-Code der Fahrzeuge abrufbar. Der hilft dem Geschädigten aber nicht bei der Frage nach der schadenersatzrechtlich passenden Mietwagengruppe.
Zweitfahrer
Den richtigen Wagen hatte ich nun. Eine längere private Reise stand an und ich wollte meine Frau deshalb als Zusatzfahrerin nachmelden. Telefonisch bin ich damit gescheitert. Der Vermieter teilte mir mit, dass ich
- mit dem Auto,
- dem Mietvertrag,
- der Frau,
- dem Führerschein der Frau,
- dem Personalausweis der Frau,
- persönlich
in einer der Stationen erscheinen müsse, um sie als Zusatzfahrerin eintragen zu lassen. Ich musste also zu zweit jeweils mehr als eine Stunde investieren, um in meiner Akte weiterhin den Normalanmieter zu geben.
Als Mieter eines Unfallersatzfahrzeuges wäre das stattdessen leichter und ohne großen Aufwand gegangen. Denn im Unfallersatztarif war vor Jahren alles inklusive. Da ist niemand wegen einer solchen Zweitfahrer-Erlaubnis noch einmal zum Vermieter gefahren.
Reparatur dauert
Jetzt dauerte die Reparatur auch noch länger als gedacht. Nach einer Woche – ein Freitag – hieß es, es würde mindestens Montag. Der Mietvertrag musste also verlängert werden, ein Telefonat dachte ich, aber weit gefehlt.
Die Verlängerung der Miete könne nur telefonisch erfolgen, so die Hotline des Mietwagenanbieters, wenn diese Verlängerung bis zu 48 Stunden betragen soll. Statt Freitag sollte es nun aber mindestens Montag werden. Also gehe das so nicht. Das ist ja irgendwie auch nachvollziehbar. Ich sollte also wieder zur Station kommen und dort die Verlängerung schriftlich mit Unterschrift und Führerschein und Kreditkarte (zur Erhöhung der reservierten Kaution auf dem Kreditkartenkonto) vornehmen, für mich ein erheblicher zusätzlicher Aufwand, bei dem ich mich nicht so fühle, als wäre ein Schadenersatz geleistet, als wäre der Schaden nicht geschehen.
Zudem war wieder Wochenende und eine geschäftlich bedingte Fahrt stand an. Eine Mitarbeiterin sollte mich auf dieser Reise begleiten. Auch sie sollte deshalb als „Zusatzfahrer“ berechtigt sein, das Fahrzeug zu fahren. Ich könnte ja müde werden oder während der Fahrt arbeiten wollen.
Man ahnt es – wir mussten beide zur Station und dort persönlich vorsprechen, Personalausweis, Führerschein, Unterschrift, Erhöhung der Kaution,… Währenddessen bleib die Arbeit im Büro liegen.
Ergebnis:
Ein Riesenaufwand, den der Unfallgeschädigte betreibt, wenn er nicht als Unfallersatzmieter mietet, sondern – wie ich – so tut, als sei er ein Normalkunde. Man vergleiche das mit dem Service einer Unfallersatzanmietung. Dem Kunden wird bei dieser „Service-Plus“-Vermietung ein Auto gebracht, der Vermieter stellt sicher, dass es die richtige Mietwagengruppe ist, auf deren Kostenerstattung der Geschädigte einen Anspruch hat… Der Vermieter hält so lange die Füße still, bis der Geschädigte seinen neuen oder reparierten Wagen wieder zur Verfügung hat, egal ob morgen oder in vier Wochen. Der Geschädigte muss nicht die Hosen herunter lassen, ob er für 10 oder 20 Tage in der Lage ist, ein Kreditkartenkonto mit einer Summe zu belasten, die ihm anfangs noch nicht einmal jemand mitteilen kann. Er läuft nicht Gefahr, einen riesigen Aufwand zu betreiben, um das Fahrzeug so zu nutzen, wie er es gewohnt ist und wie er das eigene Auto genutzt hätte.
Und das Beste kommt noch:
Der gegnerische Haftpflichtversicherer soll das ja nun bezahlen. Obwohl ich für den Mietwagenanbieter ein Normalkunde bin, im Internet gebucht habe, eine Kreditkarte einsetzte, eine Kaution in Höhe eines mittleren vierstelligen Betrages hinterlegte usw., sind die entstandenen Kosten weit weg von den Fraunhofer-Maximumwerten.
Der Versicherer ist nun auch nicht zu beneiden. Bezahlt er meine Rechnung im Mehrfachen von Fraunhofer, mache ich das öffentlich. Tut er es nicht (ich erwarte eine Zahlung von 500 Euro nach Fraunhofer-Mittelwert und werde das vier- bis fünffache haben wollen) streiten wir uns vor Gericht und es wird zu einem Ergebnis kommen. Es ist also zu vermuten, dass die Berliner Gerichte sich damit befassen werden. Dann werden Sie dazu etwas in der BAV-Urteilsdatenbank finden.
Nachtrag 1:
Wer eine Kreditkarte einsetzen kann, ohne den gewohnten Gang der Lebensführung oder der Geschäfte zu beeinträchtigen, der soll diese nach Auffassung einiger Gerichte auch verwenden müssen, wenn er damit für den Schädiger sparen kann. Als Geschädigter mit Kreditkarte ist die Summe des monatlich Verfügbaren aber immer bei irgendeinem Betrag limitiert. In meinem Fall ist das Limit bei 5.000 Euro pro Monat gezogen (was mir bisher nicht bekannt war). Seit gestern weiß ich es, weil ich die Kreditkarte an der Tankstelle nicht mehr einsetzen konnte. Aufgrund der Anmietung des Ersatzfahrzeuges im Internet zum Normaltarif für 11 Tage Mietwagen ist in diesem Monat auf der Kreditkarte ein so hoher Betrag (nahezu 3.000 Euro) noch immer reserviert, dass zusammen mit einigen anderen Vorgängen die Summe von 5.000 Euro nahezu erreicht ist. Es waren keine 80 Euro für das Tanken mehr frei.
Mit der schadenersatzrechtlichen Verpflichtung zum Einsatz einer Kreditkarte sind also ganz erhebliche Unsicherheiten verbunden.
Der Geschädigte kann zu Beginn nicht wissen, welche Summe durch die Ersatzanmietung letztlich das monatliche Limit belasten wird, da er nicht weiß, wie lange er das Fahrzeug benötigt und wie hoch Mietwagenrechnung und Kaution zusammen ausfallen werden. Auch wenn diese Summe nicht überraschend hoch ausfallen würde, wäre ein erheblicher Teil der monatlichen Verfügung für einen Zweck eingesetzt, den der Geschädigte eigentlich gar nicht zu verantworten hat. Die mit Sicherheit – wie auch hier in meinem Fall – auftretenden Unannehmlichkeiten belasten den Alltag, führen zu Unsicherheit und Mehraufwand, können auch sehr peinlich werden. Das hat nichts mehr mit dem Grundsatz des Schadenersatzrechtes zu tun „Der Geschädigte ist so zu stellen, als wäre der Unfall nicht geschehen.“
Nachtrag 2 (vom 29.4.15):
Peinlicher Weise ist mir 3 Wochen später schon wieder etwas passiert. Ich bin seit dem 27.4. wieder „Geschädigter“ und das Fahrzeug steht schon wieder in der Werkstatt. Im Stadtverkehr wurde ich übersehen und habe den Bordstein zum Ausweichen nehmen müssen. Die Flanke des Reifens vorn links ist aufgerissen, die Felge muss erneuert werden und eine Vermessung ist notwendig. Einen Ersatzwagen habe ich nicht bekommen. Grund: Leider konnte ich mit der Kreditkarte nichts mehr anmieten, da das Limit des Kreditkartenkontos das nicht mehr hergab.
Auf Nachfrage bei der kontoführenden Bank war eine Ausweitung des Limits jedenfalls nicht kurzfristig möglich. Mit der Zahlungskraft eines Kunden habe das ebenso wenig etwas zu tun, wie mit dem Zahlungsverhalten in der Vergangenheit. Das müsse über den betreuenden Berater geschehen und im Haus mehrere Bestätigungen bekommen, das sei aus organisatorischen Gründen nicht so einfach möglich.
Ich kann meine Rechte nicht wahrnehmen, weil Gerichte den Geschädigten auf Fraunhofer-Preise, Internetangebote, Vorfinanzierung und den Kreditkarteneinsatz verpflichten.