Betrachtung der Bandbreiten der Fraunhofer- und der Schwacke-Werte unter Einbeziehung realer Werte
von Diplom-Kaufmann Michael Brabec, Berlin
1. Aufgabenstellung
Seit 2008 steht die Frage im Raum, wie es Fraunhofer gelingt, seine Werte, die tatsächlich recherchierte Preise sein sollen, so niedrig zu halten. Die Mittelwerte stehen in weiten Bereichen im Gegensatz zur Erhebung von Schwacke. Fraunhofer hat seine Erhebungsmethode der zumeist den Internetportalen weniger Anbieter entstammenden Preise bisher nicht ausreichend erklärt. Mit diesem Beitrag sollen aus zwei Regionen die Fraunhofer-Werte (Wochenpreise) zueinander und mit Schwacke-Werten in Beziehung gesetzt werden, um Widersprüche aufzudecken und relevante Fragen zu stellen.
2. Beispiele der Werte der Tabellen Schwacke und Fraunhofer mit jeweiliger grafischer Darstellung für Hamburg, Bonn und bundesweit
Die Betrachtung der Werte für Hamburg hat den Vorteil, dass es sich um einen überschaubaren und abgrenzbaren Markt handelt, der ausreichend groß und städtisch geprägt ist. Würde ein ländlicher Raum betrachtet, wäre das Ergebnis wegen geringeren Angebotes weniger verallgemeinerungsfähig.
Die anschließend vorgenommene Betrachtung der Werte der Stadt Bonn zeigt auf, dass es keinen relevanten Unterschied gibt zwischen Werten der Großstadt und einer kleineren Stadt.
a) Raum Hamburg 2011, 2013 und 2015, Mietwagengruppen 1, 3, 5 und 7 (Schwacke 2011 S. 345, Fraunhofer 2011 S. 64; Schwacke 2013 S. 345, Fraunhofer 2013 S. 111; Schwacke 2015 S. 342; Fraunhofer 2015 S. 112)
Diagramm 1: Korridor der Schwacke-Werte und der Fraunhofer-Werte sowie deren Mittelwerte in 2011 (Hamburg)
Diagramm 2: Korridor der Schwacke-Werte und der Fraunhofer-Werte sowie deren Mittelwerte in 2013 (Hamburg)
Diagramm 3: Korridor der Schwacke-Werte und der Fraunhofer-Werte sowie deren Mittelwerte in 2015 (Hamburg)
b) Stadt Bonn 2011, 2013 und 2015, Mietwagengruppen 1, 3, 5 und 7 (Schwacke 2011 S. 185/PLZ 513, Fraunhofer 2011 S. 62; Schwacke 2013 S. 185/PLZ 531, Fraunhofer 2013 S. 109; Schwacke 2015 S. 183/PLZ 531; Fraunhofer 2015 S. 110)
Diagramm 4: Korridor der Schwacke-Werte und der Fraunhofer-Werte sowie deren Mittelwerte in 2011 (Bonn)
Diagramm 5: Korridor der Schwacke-Werte und der Fraunhofer-Werte sowie deren Mittelwerte in 2013 (Bonn)
Diagramm 6: Korridor der Schwacke-Werte und der Fraunhofer-Werte sowie deren Mittelwerte in 2015 (Bonn)
c) bundesweit Mietwagengruppen 1-10 (Fraunhofer 2011 S. 34, Fraunhofer 2013 S. 38, Fraunhofer 2015 S. 38)
Diagramm 7: Minimum, Mittelwert und Maximum Fraunhofer 2011 bundesweit, Gruppen 1-10
Diagramm 8: Minimum, Mittelwert und Maximum Fraunhofer 2013 bundesweit, Gruppen 1-10
Diagramm 9: Minimum, Mittelwert und Maximum Fraunhofer 2015 bundesweit, Gruppen 1-10
3. Interpretation der Werte und Kurven
– Die Minimumwerte der Fraunhofer-Liste in den Regionen Hamburg und Bonn liegen, egal welche Mietwagengruppe (1, 3, 5 oder 7), weitgehend gleich (siehe Diagramme 1 – 6). Das dürfte der Realität eher nicht entsprechen und erscheint deshalb unglaubwürdig.
– Die Minimumwerte der Fraunhofer-Liste sinken bei steigender Mietwagengruppe ab (z.B. bundesweit 2015, Diagramm 9 über mehrere Gruppen).
– Ein Fahrzeug der Gruppe 8 für eine Woche (Minimum) gab es angeblich für lediglich ca. 50 Euro mehr, als für ein Fahrzeug der Gruppe 1 minimal zu zahlen gewesen sein soll.
– Die Maximumwerte der Fraunhofer-Liste in den Regionen Hamburg und Bonn sowie bundesweit sind sehr unregelmäßig. Zunächst liegen sie sehr niedrig und steigen in größeren Gruppen abrupt und extrem an. Teilweise fallen sie wieder unerklärlich ab (Fraunhofer 2013 und 2015 bundesweit, Diagramme 8 und 9).
– Eine ganz entscheidende Erkenntnis ist, dass die Minimumwerte der Schwacke-Liste ähnlich niedrig liegen wie die Minimumwerte der Fraunhofer-Liste. Im unteren Bereich der Bandbreite gibt es wenig Unterschiede zwischen Schwacke und Fraunhofer.
– Schwacke hat eine größere Bandbreite nach oben, das könnte unter anderem an der Einbeziehung derjenigen Vermieter liegen, die Fraunhofer ignoriert hat.
– Mittelwerte der Fraunhofer-Liste sinken trotz steigender Mietwagengruppe ab. Das kann man sogar im bundesweiten Durchschnitt feststellen (2013 und 2015, Diagramme 8 und 9).
– Die Mittelwerte der Fraunhofer-Liste liegen nahezu immer auffällig nahe – teilweise extrem nahe – an den Minimumwerten der Fraunhofer- Liste. Das ist aus allen Diagrammen zu erkennen, insbesondere aus Diagramm 8 und 9 (bundesweite Daten 2013 und 2015). Der Mittelwert liegt z.B. in Mietwagengruppe 5 in 2013 nur 77 Euro vom Minimum und dafür aber 364 Euro vom Maximum entfernt. Das ist nicht plausibel, weil es sich durch die gesamte Fraunhofer-Erhebung zieht und keine Stelle erkennbar ist, an der andersherum ein Mittelwert näher am Maximum liegt. Das könnte seine Ursache in der nicht näher bekannten Erhebungsmethode des Fraunhofer-Institutes haben.
– Die Mittelwerte der Schwacke-Liste liegen zum Teil innerhalb der Bandbreite der Fraunhofer-Liste. Wo sie über der Bandbreite der Fraunhofer-Liste liegen, hat das Fraunhofer-Maximum oft einen auffälligen Einbruch nach unten.
4. Erklärungsversuche
Die Vermutung ist, dass die erkennbaren Probleme der Fraunhofer-Liste unter anderem (neben schon seit 2008 formulierter Kritik: nur Sondermarkt, Vorbuchungsfrist usw. (Fußnote 1)) überwiegend an drei Fehlern festgemacht werden können:
• Die Reduzierung auf wenige Anbieter mit der nicht nachvollziehbaren Begründung, dass man nur dort verbindlich buchen könne.
• Die Einteilung der Fahrzeuge ist gerade in unteren Klassen fehlerhaft. (Fußnote 2)
• Die Anzahl der Abfragen pro Datenzelle, die jeweils im Mehrfachen der befragten Stationen liegt, könnte dort häufiger vorgenommen worden sein, wo der erste Wert nahe des Minimums gelegen hat und dort seltener vorgenommen worden sein, wo aufgrund des ersten Ergebnisses eher Werte nahe des Maximums zu erwarten waren.
a) Vorliegende Informationen zur Fraunhofer-Methodik
Fraunhofer gibt an, die Methode mit größtmöglicher Transparenz zu offenbaren und somit detaillierte Überprüfungen zu ermöglichen. (Fußnote 3) Diese Aussage ist nichts weiter als eine sehr geschickte Formulierung. Schlagworte wie „anonym“, „neutral“, „real“ und „umfassend“ finden sich im Vorwort viele. Gleichzeitig wird in Kapitel 2 ein Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hergestellt. Damit ist die Zielrichtung klar: Es geht um Vermietungen nach einem Unfall und die Situation des Geschädigten, der als Mietwagenkunde den Zwängen des Schadenersatzrechtes ausgesetzt ist. Entstehende Schadenersatzforderungen haben einen Anknüpfungspunkt: den selbstzahlenden Normalkunden. Hieraus scheint die Methode abgeleitet worden zu sein.
Festzuhalten ist ferner, dass der überwiegende Teil derjenigen Werte, denen wegen ausreichender Datenmenge von der Rechtsprechung eine Bedeutung beigemessen wird, aus Internetangeboten einiger weniger Anbieter zusammengestellt worden sind.
Weitere Aspekte sind hinlänglich bekannt: Unterstellung einer Vorbuchungsfrist und einer zu Beginn der Miete feststehenden Mietdauer, verpflichtender Einsatz von elektronischen Zahlungsmitteln, Ignorieren der Preisunterschiede je nach Zahlungszeitpunkt, Vorfinanzierung, Kaution, Weglassen relevanter Nebenleistungen usw.
b) Nicht vorliegende Informationen zur Fraunhofer-Methodik
Insbesondere wird aus den Erläuterungen zur Methodik nicht klar, wie sich die Werte einer Datenzelle zusammensetzen. Jeder in den Mittelwert einfließende Wert wurde zuvor seinerseits – so scheint es – durch mehrere Werte zusammengesetzt. Denn die Anzahl der Abfragen liegt jeweils mehrfach höher als die Anzahl der befragten Stationen. In jedem Fall hat es also Mehrfachnennungen gegeben, ein Fakt, zu dem sich Fraunhofer bisher nicht ausreichend erklärte.
Ein Beispiel soll helfen, die Problematik der Mehrfachnennungen zu verstehen:
21 Werte von 3 Stationen können ganz unterschiedlich abgefragt werden:
Preis der Station 1 = 60 Euro,
Preis der Station 2 = 80 Euro,
Preis der Station 3 = 100 Euro
Variante A: Jede Station wird sieben Mal angefragt. Der Mittelwert in der Fraunhofer-Liste wäre 80 Euro.
Variante B: Zwei Stationen werden einmal angefragt und die Station mit dem niedrigsten Preis wird nicht nur einmal, sondern danach noch 18 Mal, also insgesamt 19 Mal angefragt (Summe 21 Abfragen). Der Mittelwert in der Liste wäre 62,86 Euro. Der Mittelwert läge sehr nahe am Minimum und um ca. 21 % niedriger als nach Variante A. Allein dieser Baustein der Methode einer Statistik kann zu solchen Ergebnisunterschieden führen.
Des Weiteren hat Fraunhofer keine konkreten Aussagen dazu getroffen, wie man aus den Fahrzeug-Informationen aus dem Internet darauf schließt, welcher Fahrzeuggruppe man einen gefundenen Wert zuordnet. Hierüber wurde bereits viel geschrieben (Fußnote 4), aber Gerichte scheinen sich hierfür bisher zu wenig zu interessieren. Das ist nicht nachvollziehbar, weil sich hierdurch eine weitere erhebliche Verfälschung der errechneten Mittelwerte ergeben kann, die den Versicherern ungerechtfertigt erhebliche Schadenersatzforderungen erspart und Geschädigte und aus abgetretenem Recht klagende Unternehmen übervorteilt.
Fraunhofer hat sich ebenso nicht zu Fehlanfragen geäußert, in denen der angefragte Anbieter kein Fahrzeug liefern konnte. Durch die lange Vorbuchungsfrist ist man diesem ganz realen Risiko weitgehend ausgewichen.
Doch einerseits kommen „Ausverkauft“-Situationen auch bei Vorbuchung vor, und anderseits hat man eine Preiserhebung für die Haftpflichtversicherer und die Schadenersatzrechtsprechung erstellt. Geschädigte brauchen auch dann einen Ersatzwagen, wenn sie den Unfall nicht bereits eine Woche vorher erahnen und vorsichtshalber einen Mietwagen buchen.
Letztlich ist bei jeder bisherigen Fraunhofer-Mietwagen-Statistik auch die Frage offen geblieben, wie hoch ein vergleichbarer Endpreis gelautet hätte, wenn Fraunhofer alle relevanten Leistungen einbezogen hätte. Leider sind nicht alle relevanten Leistungen der bevorzugten Anbieter im Internet buchbar, noch deren Preise erkennbar. Aber das ändert ja an der Anforderung nichts. Wenn der Geschädigte eine Haftungsreduzierung mit niedriger Selbstbeteiligung benötigt, kann er nicht auf den Preis lediglich eines Teils der Gesamtleistung verwiesen werden. Das wäre sonst die klassische Rosinenpickerei.
Detaillierte Überprüfungen erscheinen bisher nicht möglich. Mehr Transparenz zur Methode ist unbedingt notwendig, um die relevanten Fragen zu beantworten. Die notwendigen Fragen müssen die Gerichte stellen.
5. Gegenüberstellung zum realen Internet-Mietwagenmarkt
Tabelle: Werte Fraunhofer-Mietpreisspiegel 2013, Hamburg, Vergleich mit realen Werten
Tabelle: Werte Fraunhofer-Mietpreisspiegel 2015, Hamburg, Vergleich mit realen Werten
Grafische Darstellung für 2013
Es ist deutlich zu erkennen, wie weit reale Internetwerte (ohne Nebenkosten wie wintertaugliche Bereifung, Zustellung oder Zweitfahrer,…) vom Fraunhofer-Mittelwert entfernt liegen. Auch vom angeblich in einem ganzen Jahr feststellbaren Maximumwert liegen reale Werte der Mietwagengruppen 2 bis 10 weit entfernt. Zu beachten ist dabei, dass es sich bei den realen Werten nicht um allgemeine Marktpreise handelt, sondern um Internetpreise, die eine Vorausbuchung ebenso bedingen wie den Einsatz von bis zu zwei Kreditkarten, die Stellung einer Kaution usw.
Bei diesem Vergleich handelt es sich nur um ein Beispiel. Es besteht ein bundesweites Problem, das auch nicht nur zeitweise auftritt, sondern wohl seit Beginn der Erhebung von Fraunhofer IAO. Stichproben seit 2012 legen das nahe.
Bis die genaueren Umstände der Methodik der Fraunhofer-Erhebungen geklärt werden können, wird wohl offen bleiben, warum tatsächliche Internet-Wochenpreise (der Wochenpreis ist der für die Rechtsprechung wichtigste Wert), zum Beispiel in Hamburg, aber auch anderswo, 2013 und in 2015 / 2016 mit den Werten der Fraunhoferliste 2013 und 2015 nicht in Übereinstimmung zu bringen sind.
Interessant ist auch eine grafische Darstellung wie zuvor, aber unter Einbeziehung von Schwacke-Werten (rechnerischer Mittelwert).
Darstellung unter Einbeziehung der Schwacke-Liste
6. Schlussfolgerungen
Eine wissenschaftliche Überprüfung der Fraunhoferliste ist notwendig. Die vorgenommene Auswertung der Minimum- und Maximum-Werte der Fraunhoferliste und der Schwackeliste und deren Bandbreiten ergibt ein differenziertes Bild. Einerseits wird deutlich, dass die Schwackeliste eine größere Bandbreite abdeckt und im unteren Bereich diejenigen Werte beinhaltet, die in der Fraunhoferliste nahezu ausschließlich zusammengetragen wurden. Anderseits ist wenig plausibel, warum der Mittelwert der Fraunhoferliste überwiegend unweit des Minimums liegt und selbst bei bundesweit zusammengefassten Ergebnissen Auffälligkeiten bestehen.
Es wäre zu prüfen, ob der Fraunhofer Marktpreisspiegel Mietwagen nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen (BGH VIII ZR 346/12 vom 06.11.2013, NJW 2014, 292; AG Berlin-Charlottenburg 235 C 133/13 vom 11.05.2015, AG Bonn 203 C 79/14), erstellt wurde. Wenn nicht, scheidet Fraunhofer als Schätzgrundlage aus.
Die Rechtsprechung sollte sich deshalb mithilfe externer Sachverständiger der Methode der Fraunhoferliste vergewissern. Fraunhofer hat zu seiner Methode bisher zu wenige Details bekanntgegeben.Die aufgeworfenen Fragen sind auch acht Jahre nach Erscheinen der ersten Fraunhoferliste nicht beantwortet. Und die Vermutung ist nicht widerlegt, dass zumindest der Fraunhofer-Mittelwert, auf den es in der Rechtsprechung ankommt, aufgrund methodischer Schwächen der Erhebung erheblich zu niedrig ist.
Fußnoten:
1) Wie hier: Otting, Joachim: „Fraunhofer oder Schwacke, keine Frage ist umstrittener.“, MRW 1-2009, Seite 2 ff. oder in Brabec, Michael: „Analyse statt Schlagworte, Fraunhofer im Detail hinterfragt“, MRW 1-2010, Seite 3 ff. und auch in Rehberg, Bernd: „Paradigmenwechsel in der Mietwagenrechtsprechung?“, MRW 1-2014, Seite 4 ff.
2) Fraunhofer dürfte selbst nicht verbindlich gebucht, sondern lediglich seine Preisanfrage vor Buchung oder Reservierung gestoppt haben. Im Übrigen sind keine Buchungen, sondern Reservierungen zu tätigen, die nicht mit einer verbindlichen Buchung gleichgesetzt werden können.
3) Fraunhofer Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2015, Seite 15.
4) U.a. Brabec, Michael: „Unmöglichkeit eines Vergleiches von Fraunhofer und Schwacke“, MRW 4-2011, Seite 11 und auch in Wenning, Ulrich: „Konkrete Argumentation, warum die Internet-Angebote die Schätzgrundlage nicht erschüttern“, MRW 3-2012, Seite 43.
5) Ein Beispiel siehe Abbildung unter http://www.bav.de/https://www.bav.de/wp-content/uploads/2016/06/EC-HH-KW-38-2013-Gr-7-inkl-NK.jpg
(aus MRW 1-2016, Seite 2 ff.)