Der 1. Senat des OLG Düsseldorf liegt wieder einmal daneben

(Mit Ergänzungen vom 28.04.2015)

Der 1. Zivilsenat des OLG Düsseldorf hat sich leider wieder vergaloppiert. Seitdem dort in 2008 der Vorsitzende Richter Dr. Eggert in den Ruhestand verabschiedet wurde, sind die Zeiten vorbei, in denen man einen wirklich sattelfesten „Blechsenat“ in Deutschlands OLG-Landschaft vorfinden konnte. Unter dem neuen Düsseldorfer Vorsitzenden Dr. Scholten ist nun vieles anders.

So zog man z.B. in 2012 die Grenzen der Wertminderung an einem Unfallfahrzeug zu eng. Damals kam das Gericht den Versicherern so weit entgegen, dass das mit der BGH-Rechtsprechung kollidierte. In 2014 musste man sich mühsam zu einer Korrektur bemühen (Az. I- 1 U 149/11).

Nun will man wohl auch den Mietwagenmarkt aufmischen. Der OLG-Senat sieht in Fraunhofer die geeignete Schätzgrundlage, siehe Urteil zum Az. I-1 U 42/14, da die „ermittelten durchschnittlichen „Normaltarife“ dem wirklichen Angebotsspektrum entsprechen.“ :

www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?cmsuri=/juris/de/nachrichten/zeigenachricht.jsp&feed=juna&wt_mc=rss.juna&nid=jnachr-JUNA150300703&utm_source=twitterfeed&utm_medium=twitter

Dass das nicht richtig sein kann, ist leicht zu sehen, indem man die Werte von Fraunhofer der Realität gegenüberstellt. Das sollte man auch von einem OLG-Senat erwarten können.

Ein Beispiel von vielen soll hier dargestellt werden:

1. In Fraunhofer 2014  ist für Düsseldorf der Mietwagenpreis der Gruppe 6 im Mittelwert für eine Mietwoche von 416 angeblichen Preisabfragen = 294,14 Euro (in 2012: 293,93 Euro, in 2013 292,40 Euro).

2. Tatsache ist aber, dass man bei den von Fraunhofer abgefragten Anbietern – siehe die unteren Links – nicht immer ein Fahrzeug bekommen kann und wenn, dass es erheblich teurer sein kann, hier – siehe Abbildung hinter dem dritten Link – ca. um 300 Prozent teurer, obwohl es sich um einen Internetpreis mit Kreditkartenbuchung, Kaution usw. handelt.

Siehe:

Hertz in D: KEIN Auto im September 2012

Europcar in D: KEIN Auto im September 2012

EC D Gr. 6 eine Woche Grundpreis mit HR in 2012 = 1078,79 Euro

Solche Beispiele gibt es viele, auch für Düsseldorf (siehe nur diese Liste, hier sind nur ein paar Werte genannt, die nachweisbare Internetangebote darstellen).

Fraunhofer hat weder die Frage beantwortet, was mit „ausverkauft“-Preisen geschehen ist, noch hat bisher irgend jemand feststellen können, warum die Werte in Fraunhofer so weit unterhalb der Realität liegen.

Das OLG Düsseldorf hat das alles nicht gekümmert. Das Gericht hat (wieder) einen Fehler gemacht, indem es wohl den Versicherern und nicht dem Unfallopfer glaubte, was dort jeweils bei Gericht vorgetragen worden sein dürfte. Möglicherweise sind die Kläger aber auch nicht unschuldig, sofern schlecht vorgetragen wurde. Wir werden versuchen, die Hintergründe der Entscheidung zu erfahren.

Anmerkung:

Wie falsch das Verständnis von Marktpreises insgesamt aus diesem Urteil herausspringt, ist bereits am Kern der Urteilsbegründung ersichtlich. Dieser Kern lautet für mich:

Nur Fraunhofer sei anwendbar, weil die dort „ermittelten durchschnittlichen „Normaltarife“ dem wirklichen Angebotsspektrum entsprechen.“ (Rz. 45 des Urteils)

Ein Durchschnitt kann keinem Spektrum entsprechen. Ein Spektrum ist von einem VON und einem BIS gekennzeichnet, aber nicht von einem punktuellen Durchschnittswert, wie ihn das Gericht anwendet. Der Mittelwert der Fraunhoferliste sei es. Und auch wenn die Hälfte aller Fraunhofer-Werte über dem rechnerisch gebildeten Durchschnitt liegen, hat sich der Geschädigte damit zu begnügen. Der Begriff Spektrum wäre wichtig für das richtige Verständnis des Marktes, aber das Gericht hat den Begriff hier wohl nicht verstanden.

 

Die Grundpfeiler des OLG Urteils, wie fest stehen sie:

1. Die „statischen“ Schwacke-Werte werden von den Anbietern mit Rabatten immer der Nachfragesituation angepasst. Deshalb seien diese statischen Werte falsch.

Dahinter steht die Annahme, Schwacke veröffentliche Wunschpreise und die Realität lasse diese nicht zu, weshalb sie in 100% der Fälle nicht realisierbar sind.

Das Gericht hat erkannt, dass es zumindest für einen Teil des Marktes, den Markt der Anbieter, die ihre Preise über EDV-gestützte Systeme den Marktbedingungen kurzfristig anpassen können, einen Mechanismus des flexiblen Auf und Ab der Preise gibt. Anbieter gehen notfalls so weit mit dem Preis herunter, dass der Mietvertrag die Gesamtkosten nicht mehr decken kann. Sie gehen so weit herunter, weil die Alternative, nämlich keinen Vertrag zu schließen, keinen Umsatz einbringt und die Kosten noch weniger decken kann. Aus Sicht der Vermieter müssen solchen Situationen aber auch bessere Preise an anderen Tagen gegenüberstehen, an denen der vereinbarte Mietpreis von einem anstrebten Mittel aus nach oben ausschlägt, um durchschnittlich einen auskömmlichen bzw. gewinnbringenden Preis zu erzielen, der den Unternehmenserfolg sichert.

Anders als das OLG denkt, sind flexible Ausschläge der Preise (bei dem Teil der Anbieter, die über dazu benötigten EDV-Systeme verfügen) also nicht nur vom statischen Standardpreis dieses Anbieters nach unten, sondern auch nach oben festzustellen. Beispiele gibt es hundertfach, nur sind diese aus Schadenersatzprozessen weniger bekannt (ausnahmsweise siehe LG Braunschweig und LG Osnabrück) und in Schadenersatzprozessen weniger gut verwendbar, da Gerichte diese falsch als Sondersituation begreifen würden und den Geschädigten auf einen solchen Internetpreis verweisen würden. Dahinter steht dann oft der falsche Gedanke: „Siehst Du Geschädigter, den Preis hättest Du bekommen können, der ist auch noch leicht unter Schwacke.“ Dabei wird vergessen, dass es nach § 287 nur um die Anwendbarkeit einer Schätzgrundlage und allenfalls noch die Frage geht, ob der Geschädigte mit seiner Auswahl einen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht begangen hat.

Das Urteil des OLG Düsseldorf führt zu dem Ergebnis, dass
– nur die Anbieter als ein existierender Teil des Marktes wahrgenommen werden, die solche flexiblen Preissysteme haben, ihre Angebote dementsprechend im Internet mit diesen kurzlebigen Preisveränderungen bewerben
– und von diesen Preisen auch nur die niedrigen Preise schadenersatzrechtlich relevant sind.
In Deutschland werden an ca. 8000 Mietwagenstationen Fahrzeuge zur Vermietung an Normalkunden angeboten. Die Anzahl der Stationen der Internetanbieter – auch wenn diese Anbieter über die überwiegende Anzahl der Fahrzeuge verfügen – dürfte nicht über 2.000 Stationen hinausgehen. Damit blendet das OLG das Angebot von dreiviertel der Stationen aus.

Unberücksichtigt blieben:
– die Zeitpunkte, in denen diese Internet-Anbieter höhere Preise haben (siehe zum Beispiel Excel-Tabelle oben),
– die Anbieter, die nicht solche Preissysteme haben und trotzdem an Normalkunden vermieten (die zudem ja außerhalb des Internet zu komfortablen Bedingungen vermieten, wie ohne Vorbuchungs-Preis-Effekte, ohne Notwendigkeit von Kreditkarte, Kautionierung, ohne Internet-Buchungs-Bedingung usw.)

2. Die allgemeinen Erwägungen des Gerichtes zwischen den Randziffern 46 und 60, wie das Gericht den Markt versteht.

Das Gericht legt dar, was es mit Preisangaben-Verordnung, Schwackeliste und Fraunhoferliste auf sich hat. Dabei missachtet das Gericht die Vorgabe des BGH, dass die Anwendbarkeit einer Schätzgrundlage nur zu prüfen ist, wenn deren Geeignetheit mit konkreten auf den Fall bezogenen Argumenten in Zweifel gezogen ist und deutlich gemacht wurde, dass diese Zweifel sich erheblich auf den Fall auswirken. Die Methode der Datenerhebung von Schwacke hat der BGH ausdrücklich zugelassen. Mit den Ergebnissen dieser Erhebung darf das Gericht grundsätzlich schätzen. Nun erklärt das OLG in Randziffer 60, dass es Erfahrungen aus anderen Prozessen habe, die seine Auffassung „indiziell stütze“. Das kann nur als ein Verfahrensfehler angesehen werden, denn das Gericht erklärt nicht für die beiden Parteien nachvollziehbar, woher es diese Kenntnisse habe. Allein die Fülle der Internetscreenshots, die von Beklagten in Verfahren, die der Senat gesehen habe, eingebracht wurden, habe den Senat von Fraunhofer „indiziell“ überzeugt. In einer solchen Situation ist dem Kläger rechtliches Gehör versagt. Wie soll auch auf dieses Gefühl des Senates reagieren, wenn es keine konkreten Fakten gibt, auf die sich der Senat in seiner Auffassung stützt? Das ist bis dahin wenig konkret und nachvollziehbar.

3. Das Gericht diskutiert die Hinweise von Schwacke zur Preisangaben-VO

Angeblich gehe Schwacke davon aus, dass die Preisangaben, die verpflichtend auszuhängen sind, auch einzuhalten seien. Das sei ein Irrtum von Schwacke, so das Gericht, denn nach dem Wegfall des Rabattgesetzes könnten diese Preise auch in jedem Einzelfall nach unten korrigiert werden.

Aber, dass diese Preise eine starre Verpflichtung seien, das hat Schwacke, so weit zu sehen ist, nicht behauptet. Hier missinterpretiert das Gericht folgenschwer.

Es besteht nur die Verpflichtung, solche Preise im Verkaufsraum aufzuhängen. Hiervon leitet Schwacke lediglich ab, dass diese Preise dem Wunsch des Vermieters entsprechen, einen Kunden zum Geschäft zu überreden und nicht künstlich hoch gehalten sein können, nur um in einem Teil-Geschäftszweig möglicherweise einen höheren Preis zu erzielen, weil man den Preis dann an Schwacke melden könne. Das wäre unlogisch und würde jedem unternehmerischen Danken widersprechen, weshalb davon auszugehen sei, dass diese Preise real sind, wenn sie z.B. von einem Unternehmer auf seiner Internetseite in Form eines „PDF-File“ für Kunden zur Preisinformation hinterlegt werden. Schwacke sagt also ganz etwas anderes, als das OLG versteht. Und trotzdem sind das die Preise, die dem Kunden grundsätzlich offeriert werden, auch wenn je nach Situation ein Vertragsschluss zu einem anderen Preis erfolgen kann..

4. Allgemeingültigkeit der Werte

Man wirft Schwacke vor, dass die berücksichtigten Preise keine Allgemeingültigkeit besitzen und vergisst doch, dass die von Fraunhofer zusammengestellten Listen auf Preisangaben beruhen, die bereits in der darauffolgenden Sekunde geändert sein können, weil sie nur in dem Augenblick gelten, in dem sie einem Nachfrager angeboten wurden. Das Gericht schreibt selbst über Preisschwankungen und die veränderlichkeit der Preise und misst sodann mit verschiedenen Maßstäben an den Schätzlisten.

5. Vier konkrete Internetscreenshots der Beklagten in diesem Fall.

Laut Gericht werde sein vorheriges „indiziertes“ Gefühl durch vier konkrete Internetangebote der Firmen E. A. S. und T. gestützt, die die Beklagte in den Fall eingebracht hat. Keines der vier konkreten Angebote war relevant, weil

– nicht vom Tag der Anmietung oder auch nur aus demselben Jahr,

– nicht berücksichtigt, dass die Anmietdauer von 19 Tagen zunächst nicht bekannt war,

– nicht  berücksichtigt  sind  die  erforderlichen  Nebenleistungen  und  der  Gesamtpreis  der  Mobilität,  die Selbstbeteiligung spielt ebenso wenig eine Rolle, wie eine differenzierte Betrachtung der Kosten der Nebenleistungen des Anbieters und der Vergleichsanbieter,

– nicht diskutiert  wird, ob der Schadenersatzanspruch des Geschädigten auf einen Ersatzwagen der Fahrzeuggruppe seines beschädigten Fahrzeuges berücksichtigt ist. Aus einem Internetscreenshot ist eine Mietwagengruppe nicht ableitbar.

– Internetangebote sind für die überwiegende Anzahl der Geschädigten unerreichbar.

Das Gericht will mit diesen unkonkreten und ungeeigneten Beispielen sein Gefühl bestätigt sehen. Das Gericht ist aber leider weit davon entfernt, die BGH-Vorgaben einzuhalten, wie die hieran geübte Kritik aufzeigt.

Einschränkung: Hier handelte es sich zwar um eine gewerbliche Anmietung, aber die Diskussion der Anmietbedingungen von Internetangeboten kann auch hier nicht unter den Tisch fallen. Nur weil eine Firmenanmietung vorliegt, ist dort nicht automatisch von bereitliegendem frei verfügbaren Vermögen auszugehen, mit dem eine Ersatzanmietung in unbekannter Höhe vorfinanziert werden kann.  Und das wäre selbst wenn – dann nicht auf Privatpersonen übertragbar, die häufig kein Internet, keine Kreditkarte, kein frei disponierbares Vermögen haben und die ihren Schadenersatzanspruch noch nicht einmal konkret in eine Nachfrage am Mietwagen-Counter übertragen können. Das Gericht urteilt aber nicht nur für diesen Fall, es will sein Gerichtsurteil allgemein für Mietwagenprozesse in seinem Gerichtsbezirk verstanden wissen.

6. Das Gericht stellt zurecht kritisch fest, dass es Vermieter gibt, die in ihren Preislisten, Mietverträgen und Rechnungen, anstatt auf ihre eigenen Preise, auf die Ergebnisse der Schwackeerhebungen verweisen. Das ist unsinnig und beschämend, aber in jedem Fall ein Einzelfall für sich, aus dem keine Schlüsse für einen Schadenersatzanspruch des Geschädigten gezogen werden können. Es erschließt sich einfach schadenersatzrechtlich nicht, wie Richtern auf dem Niveau eines Oberlandesgerichtes ein solcher Lapsus passieren kann, aus dieser bedauernswerten Tatsache eine Begründung dafür abzuleiten, dass der Geschädigte nicht zum Normaltarif angemietet hat. Die Verallgemeinerungen und Schlussfolgerungen, die aus den Wortes des Gerichtes (Randziffern 65 und 66) sprechen, machen fassungslos.

Und auch diese Frage drängt sich auf:

Interessant erscheint auch die Frage nach der Unbefangenheit im Richteramt. Was bringt einen OLG-Senat nach einem Streit um 900 Euro dazu, sich berufen zu fühlen, zwei Tage nach Urteilsdatum eine Presseinformation zu verfassen, die eiligst  die Öffentlichkeit über das Ergebnis des Verfahrens informieren sollte? Was ist davon zu halten, wenn der Senat in seiner Urteilsbegründung auf einen Aufsatz des Vorsitzenden Richters verweist, in dem der die Situation der Rechtsprechung in seinem OLG-Bezirk analysiert? Da erscheint das Ergebnis des Verfahrens im Nachhinein als von langer Hand geplant. Insoweit erscheint die Wortwahl weiter oben (Mietwagenmarkt aufmischen) gerechtfertigt.

Siehe auch: Das OLG Düsseldorf hat nachgeladen: Pro Fraunhofer bedeutet halber Nutzungsausfall

und:Selbsterfahrungskurs Unfallersatz-Mietwagen: Was ist falsch an der BGH-Rechtsprechung?

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