Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 8/25

- Die Berufungskammer gibt ihre bisherige Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit von Mietwagenkosten unter Anwendung des Mischmodells Fracke auf und wendet in dem zu entscheidenden Fall stattdessen allein die Schwacke-Liste an.
- Das Gericht folgt der klägerischen Auffassung, dass die Werte der Fraunhofer-Liste seit der Ausgabe 2020 in der Mietwagenfrage nicht mehr anwendbar sind.
- Insbesondere stellt das Gericht auf neue Erkenntnisse zur Einteilung der erhobenen Werte bei Fraunhofer in Mietwagenklassen nach ACRISS ab und erkennt die Unklarheiten dazu, wie diese sodann in schadenrechtlich relevante Mietwagenklassen nach Schwacke überführt worden sein sollen.
- Insgesamt ergeben sich erhebliche Zweifel daran, ob die Methode von Fraunhofer eine Datengrundlage darstellt, die den Mietmarkt wenigstens einigermaßen realistisch wiedergeben könnte.
- Auch aus dem Privatgutachten des BAV ergibt sich, dass die von Fraunhofer veröffentlichen Internetwerte – bei einem für eine Vergleichbarkeit identisch problematischen Vorgehen im Gutachten – nicht der Realität entsprechen.
Zusammenfassung:
Die Berufungskammer (8. Kammer) des Landgerichts Bonn ändert seine Auffassung zum Listenstreit. War dort bisher entsprechend der einheitlichen Rechtsprechung der OLG-Senate in NRW das Mischmodell Fracke die Methode zur Schätzung der erforderlichen Mietwagenkosten, hat die Kammer eine erstinstanzliche Entscheidung gegen Fraunhofer und gegen Fracke bestätigt und den Wechsel zu Schwacke ausführlich begründet.
Bedeutung für die Praxis:
Das Urteil ist in seiner stringenten Argumentation zur Unbrauchbarkeit der Fraunhofer-Liste sehr überzeugend. Insbesondere die Problematik der korrekten Zuordnung der erhobenen Werte zu konkreten Mietwagenklassen wird klar herausgearbeitet, da Werte aus den Internetportalen nicht in Schwacke-Mietwagenklassen überführt werden können. Welche erheblichen Verwerfungen sich daraus ergeben, konnte auch mittels des BAV-Gutachtens gezeigt werden. Selbst erhobene Internetbeispiele der Klägerin und das Privatgutachten des BAV zeigen die Erheblichkeit der festzustellenden Abweichungen von realen Internet-Angeboten. Der Kammer ist bewusst, dass sie die Einheitlichkeit der Rechtsprechung des gesamten Bundeslandes in Frage stellt und insoweit ist ihr die Rechtsprechungsänderung, wie es scheint, nicht leicht gefallen. Ein Festhalten an der Methode des Mischmodells kommt für sie aber in dem konkreten Fall nicht mehr in Betracht. Zu deutlich wird erkennbar, dass die Vorgehensweise von Fraunhofer nicht korrekt ist und mit Fracke kein angemessener Schadenersatzanspruch ermittelt werden kann. Daher setzt sich die Kammer auf vielen Seiten damit auseinander, warum sie sich von Fraunhofer abwendet.
Zitate „Nicht mehr Mischmodell Fracke, sondern Schwacke“:
„Die von der Klägerin behaupteten Mängel der Erhebungsmethode des nach ständiger Rechtsprechung im hiesigen Oberlandesgerichtsbezirk auch herangezogenen Marktpreisspiegel Mietwagen (im Urteil: Fraunhofer Mietpreisspiegel) des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO (im Urteil: „Fraunhofer IAO“) insbesondere der Einwand, dass dieser zumindest in seiner Form der Ausgabe ab 2020 nicht (mehr) herangezogen werden könne und als Schätzgrundlage erschüttert sei, weil in dem Fraunhofer-Mietpreisspiegel im Rahmen der Auswertung auch die ACRISS-Klassifikation der Fahrzeuge verwendet werde, veranlassen die Kammer jedenfalls in diesem Fall zu einer Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung.
Der Einwand der Klägerin, dass, wie erstmals seit dem Vorwort zur Ausgabe 2020 erkennbar gewesen sei, die Auswertung in dem Fraunhofer-Mietpreisspiegel auch anhand der ACRISS-Klassifikation der Fahrzeuge durchgeführt werde, die keine Rückschlüsse auf den eigentlichen Fahrzeugwert und die Schwacke-Klassifikation erlaube, begründet für die Kammer berechtigte Zweifel an der (weiteren) Anwendbarkeit des Mietpreisspiegels. Für diesen werden die Preisinformationen im Internet über eine Preissuchmaschine auf elektronischem Wege ermittelt. Dabei liegen Fraunhofer IAO keine anderen Informationen vor als diejenigen, die man auf einem Screenshot der Internetseiten der jeweiligen Anbieter sehen kann. Im Internet bieten Mietwagenunternehmen, im Gegensatz zu den sonst üblichen Preislisten, Fahrzeuge in der Regel auf Basis des sogenannten ACRISS-Systems an. (…)
Vor diesem Hintergrund hat die Klägerin substantiiert und einleuchtend konkrete Umstände dargelegt, aus denen sich greifbar ergibt, dass der Fraunhofer Mietpreisspiegel auf einer inhaltlich und methodisch in Frage zu stellendem Grundlage beruht, was aus Sicht der Kammer einer Heranziehung als Schätzungsgrundlage im vorliegenden Fall entgegensteht. Im Ergebnis trägt die Klägerin mit Beispielrechnungen nachvollziehbar und überzeugend (vgl. Schriftsatz vom 12.03.2024, S. 8 ff.) vor, dass die von Fraunhofer IAO ermittelten Werte auf Basis der Schwacke-Klassifikation fehlerhaft seien. Fraunhofer IAO vermische Preise unterschiedlicher Mietwagenklassen zum arithmetischen Mittel einer angeblich ermittelten Mietwagengruppe. Die ermittelten Werte entsprächen somit nicht denen der vorgeblichen Mietwagenklasse und seien damit schlicht falsch. (…)
In einer Gesamtschau begründen sich aus dem klägerischen Sachvortrag erhebliche Zweifel dahingehend, dass die von Fraunhofer IAO verwendeten Erhebungsmethoden eine Datengrundlage bereitstellen, die den relevanten Mietmarkt wenigstens einigermaßen realistisch widerspiegeln können. Gleiches gilt im Hinblick auf das von der Klägerin hier eingereichte Privatgutachten über Mietwagenpreise in der Region Bonn für das Jahr 2023 des Bundesverbandes der Autovermieter e. V. vom 08.02.2024, aus dem sich ergibt, dass die von Fraunhofer IAO auf der Grundlage der Internetbedingungen weniger Anbieter ermittelten Preise bei identisch problematischer Vorgehensweise nicht der Realität entsprechen. (…)
Die Kammer verkennt insoweit nicht, dass dadurch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung im hiesigen Oberlandesgerichtsbezirks und daraus folgend ggf. landesweit gefährdet sein könnte (…) Allerdings findet sich unter den zahlreichen grundlegenden Urteilen anderer Oberlandesgerichte, nach denen über die Mittelwert-Methode der Fraunhofer-Mietpreisspiegel eine taugliche Schätzungsgrundlage sein kann, keine aktuelle Rechtsprechung, die sich auf obergerichtlicher Ebene mit den hier unwidersprochenen, neu entstandenen Einwendungen gegen den Fraunhofer Mietpreisspiegel inhaltlich auseinandergesetzt hat.“
(Landgericht Bonn 8 S 64/24 vom 22.10.2024)