Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 18/25
Amtsgericht Siegburg 108 C 68/24 vom 16.04.2025
- Die Anwendbarkeit der Werte für Mietwagenkosten aus der Fraunhofer-Liste ist aufgrund erheblicher Bedenken des Gerichtes grundsätzlich infrage gestellt.
- Da die Abweichungen bei Fraunhofer ganz erheblich sind, ist auch die Mittelwertmethode aus Schwacke und Fraunhofer zur Bestimmung des ersatzfähigen Schadenersatzbetrages nicht brauchbar.
- Auf den Grundbetrag der durchschnittlichen Mietwagenkosten ist ein weiterer Betrag für unfallbedingte Zusatzleistungen des Vermieters in Höhe von 20 Prozent aufzuschlagen.
- Auch die Kosten erforderlicher Nebenleistungen für Haftungsreduzierung, Navigationsgerät, Winterreifen, Zustellen und Abholen sowie Zusatzfahrer sind schadenrechtlich ersatzfähig.
Zusammenfassung:
Das Amtsgericht Siegburg hat in der Mietwagenfrage seine Rechtsprechung geändert und wendet nicht mehr das Mischmodell Fracke, sondern allein die Schwacke-Werte an. Das wird damit begründet, dass die Werte der Fraunhofer-Liste – wie der Kläger-Vortrag gezeigt hat – erheblichen und ungeklärten Abweichungen zu realen Marktpreisen unterliegen. Das Gericht geht davon aus, dass es Fraunhofer nicht möglich ist, im Internet recherchierte Mietwagenpreise konkreten und korrekten Mietwagenklassen zuzuordnen. Zum Schadenersatzanspruch hinzuzurechnen sind der unfallbedingte Aufschlag und Nebenkosten.
Bedeutung für die Praxis:
In NRW gilt derzeit nahezu flächendeckend das Prinzip Fracke. Die Werte der beiden Listen Fraunhofer und Schwacke werden gemittelt. Doch sofern die Kläger den Gerichten mit den richtigen Argumenten einerseits die erheblichen Abweichungen der Fraunhofer-Werte von der Realität aufzeigen und ihre Kritik andererseits mit Details zu methodischen Ungereimtheiten untermauern können, kann das wie hier die Gerichte überzeugen.
Fakt ist: Von Fraunhofer aus Internetportalen entnommene Marktpreise können keiner konkreten Mietwagenklasse zugeordnet werden. Und das Ausmaß der Preisabweichungen der Fraunhofer-Liste zu vergleichbaren realen Internetpreisen ist an Internetbeispielen eingeholt von der Klägerin und einem Gutachten des Bundesverbandes der Autovermieter abzulesen. Wer so vorgeht, hat gute Argumente pro Schwacke. Will das Gericht zuhören und verstehen, kann ein Verfahren fast nicht anders ausgehen als hier: Kein Fraunhofer, kein Fracke, nur Schwacke.
Zitat: „Fraunhofer ungeeignet und damit auch Fracke nicht verwendbar“
„Abweichend von der Entscheidung des OLG Köln sieht das Gericht vorliegend jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, den ortüblichen Tarif anhand des arithmetischen Mittels zwischen der Schwacke-Liste sowie der Fraunhofer-Liste zu berechnen. Denn das Gericht zweifelt vor dem Hintergrund des seitens der Klägerin vorgelegten „Gutachten Mietwagenpreise Internet 2023 – Region Bonn“ (Anl. K4, BI. 193 ff d. A.) an der Eignung der Fraunhofer-Liste als Schätzgrundlage, welche zur Berechnung eines arithmetischen Mittels zugrunde gelegt werden könnte. Die Klägerin hat insoweit unwidersprochen vorgetragen, dass ihr zumindest seit der Ausgabe des Jahres 2021 Erhebungsmethoden zugrunde liegen, die erhebliche Zweifel daran begründen, dass die Ergebnisse den relevanten Mietmarkt wenigstens einigermaßen realistisch widerspiegeln. Ausschlaggebend hierfür ist der Umstand, dass im Vorwort zum Fraunhofer Marktpreisspiegel Mietwagen unstreitig seit dem Jahr 2021 erläutert wird, dass die Auswertung auf Basis der Schwacke-Klassifikation und zusätzlich anhand der ACRISS-Klassifikation der Fahrzeuge durchgeführt wird. Es steht außer Streit, dass letztere Einordnung nach Ausstattungsmerkmalen für touristische Zwecke im Internet erfolgt. Damit steht fest, dass Fraunhofer bei seiner Datenerhebung die ACRISS-Kategorien Fahrzeugkategorie, Bauart, Getriebe, Treibstoff und Klima automatisiert abgreifen konnte; weitere Information, insbesondere über den Listenpreis der angebotenen Mietwagen, waren dagegen auf Grundlage der Methodik der Datenerhebung bei Fraunhofer nicht abrufbar. Die Klägerin hat anhand eines Beispiels nachvollziehbar dargelegt, dass diese Klassifizierung für die Ermittlung des Anschaffungspreises nicht geeignet ist. So hat sie auf S. 7 ff. der Replik (BI. 134 ff d. A.) erläutert, dass zwei verschiedene Modelle des VW Golf zwar den gleichen ACRISS-Code (CLMR), jedoch abweichende Anschaffungspreise von knapp 30.000,-EUR und knapp 60.000,-EUR und damit die Gruppen 4 bzw. 7 nach Schwacke aufweisen. Dies ist auch zwanglos nachvollziehbar, da bei ACRISS bereits grundlegende wertbildende Faktoren wie die Motorisierung und die Ausstattung nicht differenzierend erfasst werden. Damit steht fest, dass die von Fraunhofer herangezogenen Daten lediglich Rückschlüsse auf grundlegende Fahrzeugmerkmale, nicht jedoch auf den eigentlichen Fahrzeugwert zulassen. Letzterer ist jedoch maßgeblich für die Frage, ob der entsprechende Mietpreis erforderlich ist, da der Geschädigte berechtigt ist, ein gleichwertiges bzw. – zur Vermeidung der Anrechnung ersparter Aufwendungen ein um eine Gruppe niedriger eingeordnetes Fahrzeug anzumieten.
Mit diesen nachvollziehbaren, überzeugend begründeten und mit Beispielen und Privatgutachten plastisch hinterlegten Ausführungen hat sich die Beklagte inhaltlich nicht auseinandergesetzt (§ 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO), obwohl ihr dies als insoweit branchenkundige Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ohne weiteres möglich gewesen wäre. Sie verweist allein pauschal und mit detailarmer Begründung auf die fehlende Eignung der vom Amtsgericht angewendeten Schwacke-Liste.„
(Amtsgericht Siegburg 108 C 68/24 vom 16.04.2025)