Zur Widersprüchlichkeit der Mietwagenrechtsprechung des Bundesgerichtshofs
Immer wieder fragt man sich, wie es dazu kommen konnte: Der Bundesgerichtshof urteilt zu derselben Grundfrage mit zweierlei Maß, je nachdem, ob es um einen Mietwagen geht oder nicht, z.B. bei der Reparatur.
Grundfrage
Die Grundfrage ist, ob der Geschädigte nach einem unverschuldeten Unfall verpflichtet ist, die Schadenbehebung aus eigenen Mitteln zu finanzieren in der Hoffnung, das Geld sodann vom Schädiger vollständig wieder zurückzuerhalten. Oder eben: Ob er nicht zur Vorfinanzierung aus eigenen Mitteln verpflichtet ist.
Finanzierung der Reparatur
Zitat BGH VI ZR 112/04 vom 25.01.2005
„Dafür, dass die Höhe der Ausfallentschädigung letztlich den Wert des Fahrzeugs erheblich übersteigt, ist im vorliegenden Fall nicht der Geschädigte, sondern allein der Schädiger verantwortlich, denn dieser hätte es in der Hand gehabt, den Kläger durch eine schnellere Ersatzleistung oder aber durch Zahlung eines Vorschusses finanziell in die Lage zu versetzen, eine Reparatur oder eine Ersatzbeschaffung zu einem früheren Zeitpunkt vorzunehmen. Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB) ist im Streitfall nicht ersichtlich und wird von der Revision ausdrücklich auch nicht geltend gemacht.“
Bedeutet:
Selbst wenn die Kosten für Nutzungsausfall und / oder Mietwagenkosten höher liegen als Reparatur oder Fahrzeugwert (hierum ging es dem Versicherer), ist das kein Argument gegen die Pflicht zur Erstattung. Will der Versicherer die Kosten des Nutzungsausfall durch eine Beschleunigung vermindern, hat allein er das in der Hand und kann zügig eine Kostenübernahme erklären oder einen Vorschuss zahlen.
Zitat BGH VI ZR 115/19 vom 18.02.2020:
„Grundsätzlich ist es Sache des Schädigers, die Schadensbeseitigung zu finanzieren. Der Geschädigte hat Anspruch auf sofortigen Ersatz und ist unter Umständen berechtigt, grundsätzlich aber nicht verpflichtet, den Schaden zunächst aus eigenen Mitteln zu beseitigen oder gar Kredit zur Schadensbehebung aufzunehmen. Dieser Rechtsgrundsatz würde unterlaufen, sähe man den Geschädigten schadensrechtlich grundsätzlich als verpflichtet an, die Schadensbeseitigung zeitnah nach dem schädigenden Unfall vorzunehmen und damit ganz oder teilweise aus eigenen oder fremden Mitteln vorzufinanzieren. Das Bestehen einer derartigen Obliegenheit kommt nur dann in Betracht, wenn dem Geschädigten im Einzelfall ausnahmsweise ein Zuwarten mit der Schadensbeseitigung als Verstoß gegen Treu und Glauben vorgeworfen werden kann.“
Bedeutet:
Es ist deutlich erkennbar, dass dem Geschädigten – abgesehen von der Ausnahme, er wäre so vermögend, dass es ihm gar nichts ausmacht – keine Pflicht zukommt, finanziell in Vorleistung zu gehen. Denn das ist mit dem § 249 BGB und der Ersetzungsbefugnis nicht vereinbar.
Finanzierung des Ausfallschadens
Ist der Geschädigte nach dem Unfall weiter auf Mobilität angewiesen und steht sein Fahrzeug nicht mehr zur Verfügung, hilft nur ein Mietwagen. Dann gibt es Streit um die angemessene Höhe der Mietwagenkosten.
Der Normalfall ist: Ein Servicepaket der Werkstatt oder die Anmietung direkt bei einem mittelständischen Vermieter, bei dem dem Geschädigten ein passender Ersatzwagen mit Beratung zu den berechtigten Nebenleistungen wie Reduzierung der Haftung bei Beschädigungen vermittelt wird. Am Ende streitet sich der Autovermieter meist mit dem Versicherer um die Kosten, soweit ist das Alltag seit Jahrzehnten, um den sich der Anwalt des Schädigten oder des Vermieters kümmert.
Doch der Bundesgerichtshof urteilt seit 2011, dass im Streit um die Schätzung der Höhe erstattungsfähiger Mietwagenkosten mittels Listen von Gerichten auch die Fraunhofer-Liste verwendet werden darf. Das verwundert deshalb, weil den Gerichten dort Erhebungsergebnisse aus wenigen Internetportalen lediglich von Großanbietern offeriert werden. Diese Fraunhofer-Werte sind also mit der eindeutigen Bedingung recherchiert und in rechnerischen Mittelwerten zusammengefasst, dass der Mieter bereits bei der Fahrzeugsuche im Internet mit seiner Kreditkarte bezahlt oder spätestens bei Abholung in Vorkasse geht, zusätzlich eine Kaution sein Bankkonto schmaler macht.
Hier sollen also bei der Bestimmung der richtigen Höhe des Schadens solche Vergleichswerte die wichtigste denkbare Rolle spielen, die nur dann realisierbar sind, wenn ich als Geschädigter nach einem Unfall den Mietwagen selbst und vorab bezahle. Wer kann das denn? Vermutlich nur fünf bis zehn Prozent aller Unfallopfer, zumal nach einem Unfall, wenn finanziell gesehen noch völlig unklar ist, ob und wie der Schaden vom Unfallgegner und seinem streitlustigen Haftpflichtversicherer behoben und reguliert wird.
Ergebnis
Das ist nicht nachvollziehbar und aus dem Gesetz nicht ableitbar. Wie der BGH dazu kommt, hat er bis heute nicht anders erklärt, als dass der Richter bei der Schätzung nach § 287 besonders frei ist. Es ist ein Unding, darauf aufbauend, solche diametralen Gegensätze zu konstruieren. Man fragt sich dauerhaft: „Wie kann das sein?“