Höhe der Mietwagenkosten: AG Würzburg sieht das Mietwagenrisiko nicht beim Schädiger
Es bestehen zwei divergierende Auffassungen zu der Frage, ob das „Mietwagenrisiko“ im Rahmen der üblichen Regeln auch bezüglich der Höhe der Mietwagenkosten dem Schädiger zugeordnet werden kann.
Warum diskutieren wir das?
- Ausgangspunkt ist das „Werkstattrisiko“. Es beschreibt eine Rechtsauffassung. Das Risiko von Fehlern und zu hoher Kosten hat der Schädiger zu tragen, wenn (immer die gleichen vier Punkte):
– der Geschädigte selbst die Kosten geltend macht (nicht der Rechnungsaussteller aus der Abtretung)
– er Zahlung an den Rechnungsaussteller verlangt (und nicht an sich)
– er einen Werklohn-Rückforderungsanspruch aus eventueller Überzahlung an den Schädiger/seinen HP-Versicherer abtritt
– und – ganz wichtig – er nicht erkennen konnte, dass er eine falsche (z.B. zu teure) Werkstatt beauftragt / kein Auswahlverschulden UND auch mit der Rechnung in der Hand nicht erkennen kann, dass er etwas falsch gemacht hat (zu teuer, Position, die nicht geleistet wurde, …) / kein Überwachungsverschulden. - Hintergrund ist der subjektbezogene Schadenbegriff.
„Der erforderliche Herstellungsaufwand wird nicht nur durch Art und Ausmaß des Schadens sowie die örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten für die Beseitigung eingegrenzt, sondern von den Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten des Geschädigten mitbestimmt.“
Lässt sich das Werkstatt-Risiko dem Schädiger zuordnen, ist die Durchsetzung der Schadenersatzforderung im ersten Schritt (Klage Geschädigter gegen Schädiger-Versicherer) einfacher, weil inhaltlich weniger umfangreich und viele Details rund um die Berechtigung des Anspruches / Höhe von Kosten vor dem Gericht nicht diskutiert und daher vom Richter nicht beurteilt werden müssen. Die Angelegenheit ist deshalb auch für den Anwalt des Geschädigten weniger komplex. Liegen die oben genannten vier Voraussetzungen vor, so einfach kann man das sehen, ist die Forderung zuzusprechen. Dafür braucht sich das Gericht nicht mit den wechselseitigen konträren inhaltlichen Auffassungen auseinanderzusetzen.
Klage, bestätigendes Urteil, fertig… - Ließe sich dieses Modell auf den Mietwagenstreit übertragen, wäre es auch hier viel einfacher. Anwälte könnten restliche Mietwagenkosten einklagen, ohne sich mit den Listen Schwacke und Fraunhofer zu befassen, Mittelwerte auszurechnen, Nebenkosten-Vergleichswerte hinzuzurechnen usw.
All das wäre für den Versicherer kein Problem. Denn er bekäme ein scharfes Schwert in die Hand. Hat zwar der Geschädigte nichts falsch gemacht, aber die Werkstatt eine Reparatur abgerechnet, die in Wahrheit nicht erfolgte und hat der Vermieter bei seiner Abrechnung (Listenstreit) überzogen, dann kann der Versicherer mit der Abtretung der Überzahlungs-Ansprüche des Kunden (Geschädigten) in der Hand gegen den Reparaturbetrieb und den Autovermieter klagen.
Deshalb ist es von Bedeutung, ob der subjektbezogene Schadenbegriff nicht nur die Grundlage des Werkstattrisikos, sondern auch des Mietwagenrisikos ist.
Das Amtsgericht Würzburg hält das für abwegig.
Zitat AG Würzburg:
„Die im Fall der Beschädigung einer Sache für Reparatur- und Sachverständigenkosten anerkannten Grundsätze zum „Werkstattrisiko“ sind auf die im Streit stehenden Mietwagenkosten nicht übertragbar. Die Grundsätze sind von dem Gedanken geprägt, dass es Sinn und Zweck des § 249 Abs. 1 BGB widersprechen würde, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen der Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen ist und die ihren Grund darin haben, dass die Schadensbeseitigung in einer fremden, vom Geschädigten, wohl auch nicht vom Schädiger kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss. Unter diesen Umständen besteht kein Sachgrund, dem Schädiger das „Werkstattrisiko“ abzunehmen, das er auch zu tragen hätte, wenn der Geschädigte ihm die Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB überlassen würde. Anders als bei den Reparatur- und Sachverständigenkosten ist es dem Geschädigten bei der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges ohne weiteres heutzutage möglich, Preise für die Anmietung zu vergleichen. Für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges fallen auch regelmäßig die gleichen Positionen an, die für den Geschädigten ohne weiteres einem Kostenvergleich zugänglich sind.“
Dem ist nicht zuzustimmen.
Denn das Gericht erkennt die konkrete Situation des Geschädigten bei der Beschaffung von Ersatzmobilität nicht. Berücksichtigt man folgende Überlegungen, kommt man zu einem anderen Ergebnis:
- Der Geschädigte schließt einen Mietvertrag genauso wie er einen Reparaturauftrag erteilt. Er schuldet den Mietzins für die erhaltene Mobilität. Wählt er ein zu großes Fahrzeug, dass der Schädiger nicht bezahlen will, muss er die Differenz aus eigener Tasche dazulegen. Mietet er zu lange, dann ebenso. Verlangt er eine Zusatzausstattung, auf die er schadenrechtlich keinen Anspruch hat, dann auch.
Doch alles das kann er nicht wissen. Die konkreten Gegebenheiten, die zu einer schadenrechtlich korrekten Leistung führen, sind ihm unbekannt. Die Dienstleistung Ersatzmiete ist mehr als ein Auto. Würde er nicht umfassend dabei angeleitet, befragt und beraten, weil die Schadenbeseitigung eben auch hier in einer für ihn fremden und seinem Einfluss entzogenen Sphäre der Schadenregulierung stattfindet, wäre er mit Mehrkosten konfrontiert, die er zu übernehmen hätte. Daher besteht durchaus ein Sachgrund, dem Geschädigten Risiken bei der Gestellung eines Ersatzwagens abzunehmen (Mietwagenrisiko). Übernimmt der Vermieter die Verantwortung für die Richtigkeit der Entscheidungen rund um die Fahrzeugmiete wie Auswahl des Fahrzeuges, Auswahl der Nebenleistungen und Preisangemessenheit, ist der Geschädigte geschützt. Wird dieses Risiko dem Schädiger auferlegt, kann er sich die aus dem Risiko ergebende Überzahlungen vom Autovermieter zurückholen. - Auch die Aufteilung des Verschuldens zwischen Geschädigtem und Autovermieter ist unproblematisch. Mietet der Geschädigte zwei statt einer Woche, ohne dass es hierfür eine Rechtfertigung gäbe, läge das außerhalb des Mietwagenrisikos des Schädigers und müsste der Schädiger das von vorn herein nicht bezahlen. Verlangt der Vermieter eine Rechnungsposition, die schadenrechtlich nicht zu begründen ist und ist das für den Geschädigten nicht ohne Weiteres transparent, kann der Versicherer den sich daraus ergebenden „Zu viel-Betrag“ vom Vermieter zurückholen.
- Das Argument des Gerichtes, dass der Mietwagen als Dienstleistung auch außerhalb der Ersatzmiete üblich ist und daher eine Preiserkundigung ohne Weiteres möglich ist, ist zu einfach.
Denn die Ersatzmiete ist mit dem normalen Mieten eines Autos nicht vergleichbar.
Wie soll denn eine solche Preiserkundigung ablaufen?
„Hallo, ich hätte gern einen Mietwagen“.
„Was für einen?“
„Weiß ich nicht“
(… da er das Schadenrecht und damit seinen Anspruch nicht kennt. Der Versicherer würde ihn gern mit einem Kleinstwagen fahren sehen, der Vermieter ihm am liebsten eine S-Klasse geben.)
„Welche Stufe der Haftungsreduzierung?“
„keine Ahnung“
„Sonst noch Nebenkosten, Kilometerfreigabe, Erlaubnis zur Fahrt durch einen zweiten Fahrer, Erlaubnis zur Fahrt auch im Ausland, mit Anhängezugvorrichtung, …?“
„keine Ahnung“
„für einen Tag oder mehrere …?“
„keine Ahnung“
„Sollen wir Ihnen das Fahrzeug zustellen?“
„wäre ja schön, aber keine Ahnung, kostet ja sicherlich extra, muss ich wohl zu Fuß kommen“
(…)
„Macht dann für eine Woche xxx Euro, bitte bringen Sie Ihre Kreditkarte mit. Der Preis ist vorab zu bezahlen, das Geld haben Sie hoffentlich. Eine Kaution kommt auch noch hinzu, das blockieren wir zusätzlich auf Ihrer Kreditkarte. Bitte besorgen Sie sich ein entsprechendes Limit Ihres KK-Kontos bei Ihrer Bank, wenn Sie mit der Karte in der Mietzeit noch tanken wollen“
„ob eine Woche ausreicht, weiß ich auch nicht genau“
„Bei einer Verlängerung der Miete kommen Sie bitte nach einer Woche wieder mit Ihrer Kreditkarte zu uns und bezahlen die Verlängerung und wir reservieren eine weitere Kaution“
„Stopp, ich habe keine Kreditkarte und leider auch nicht so viel Geld, da muss ich leider auf den Mietwagen verzichten und mal schauen, ob ich zur Arbeit mit Bus und Bahn fahren kann.“
Bereits die Frage, ob er für seinen beschädigten Golf wieder einen Golf mieten darf oder nur ein „vergleichbares“ Auto, überfordert den Geschädigten. Was eine Mietwagenklasse ist, weiß er nicht, auch nicht, dass üblicherweise eine klassenkleinere Anmietung vor einem Eigenbeitrag schützt.
Hinzu kommt, dass Preise von Mietwagen erheblich schwanken können. Hat der Mieter zuletzt ein Fahrzeug als Selbstzahler in einer Zeit hoher Auslastung und hoher Preise gemietet, wird ihm ein Mietpreis als gerechtfertigt erscheinen, den ein Versicherer als zu hoch empfindet.
Wird dem Geschädigten entgegengehalten, er hätte sich hier und dort erkundigen können, wird nicht berücksichtigt, dass nicht jedes Fahrzeug immer und überall verfügbar ist. Kurzfristig sowieso nicht und auch darüber hinaus nicht unbedingt dieses, worauf der Geschädigte einen Anspruch hat. - Die BGH-Rechtsprechung stützt diese Sichtweise. Er hat formuliert:
„Liegt die Höhe des Mietpreises weit über den Vergleichspreisen und ist das Angebot des in Anspruch genommenen Vermieters um ein Vielfaches überhöht, wird sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten um eine preiswertere Möglichkeit der Anmietung bemühen. Die Frage, welche Bemühungen um einen günstigeren Tarif dem Geschädigten zuzumuten sind, ist somit maßgeblich beeinflusst von der Höhe des Mietpreisangebots.“
Übersetzt auf die Frage der Zuordnung des Mietwagenrisikos beim Schädiger haben wir hier die Frage nach dem Auswahlverschulden zu stellen:
„Liegt die Höhe des Mietpreises weit über den Vergleichspreisen und ist das Angebot des in Anspruch genommenen Vermieters um ein Vielfaches überhöht, muss sich der Geschädigte ein Auswahlverschulden ankreiden lassen. er hätte sich nach günstigeren Alternativen umschauen müssen.“
Die Diskussion, ob ein Auswahlverschulden vorliegt, ist im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung auch dann klärbar, wenn man grundsätzlich davon ausgeht, dass der subjektbezogene Schadenbegriff die Auffassung stützt, dass ein Mietwagenrisiko auch bezüglich der Höhe des Mietpreises beim Schädiger liegt. - Und so hat es z.B. auch das Amtsgericht Siegen (Az. 14 C 1584/24 vom 21.03.2025) gesehen:
„Es kommen für die hier streitgegenständlichen Mietwagenkosten die Grundsätze des Werkstattrisikos zur Anwendung, da der Kläger Zahlung an die Mietwagenfirma verlangt. Maßstab ist dann vorliegend, ob sich dem Geschädigten der Preis als deutlich überhöht aufdrängen musste.“
Ebenso das Amtsgericht Kerpen (Az. 102 C 79/24):
„Ob die Mietwagenkosten in der von der Klägerin gezahlten Höhe erforderlich waren, kann dahinstehen, denn es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin bei der Anmietung des Ersatzfahrzeugs (…) ein Auswahlverschulden zu Lasten der Beklagten vorzuwerfen ist. ..greift auch bezüglich der Höhe der Mietwagenkosten, wenn diese im Vergleich zu marktüblichen Kosten höher gewesen sein sollten. (…) In der Kürze der Zeit musste die Klägerin nicht im alleinigen Interesse des Schädigers und seines Versicherer einen eingehenden Preisvergleich vornehmen.“
Fazit:
Man kann sich als Geschädigter also nicht mal eben nach einem passenden Mietwagen und seinem Preis erkundigen. Ersatzwagen ist nicht gleich Mietwagen. Alle Unwägbarkeiten würden zu Lasten des Geschädigten gehen. Um das auszuschließen, ist der subjektbezogene Schadenbegriff geeignet, das Mietwagenrisiko entsprechend der vier oben beschriebenen Grundsätze beim Schädiger anzusiedeln.
Ist der Versicherer der Auffassung, dass eine Abrechnung über Schwacke zu viel ist oder Schwacke oder Fracke, dann kann er seine Argumente bei einer Klage auf Rückerstattung gegen den Rechnungsaussteller vorbringen und der Vermieter hätte die Aufgabe und auch die Möglichkeit dagegenzuhalten, beispielweise mit Gründen für einen unfallbedingten Aufschlag oder mit Argumenten gegen die Richtigkeit der Werte bei Fraunhofer.