Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 21-24

Landgericht Bonn 1 O 324/23 vom 01.03.2024

1. Eine Anwendung der Fraunhofer-Werte zur Schätzung erforderlicher Mietwagenkosten ist sowohl in Reinform als auch in Form der Mittelwertbildung Fracke abzulehnen.
2. Die Fraunhofer-Liste ist nach neuesten Erkenntnissen nicht mehr zur Schätzung des Schadenersatzes für die Anmietung eines Ersatzwagens geeignet.
3. Ein Gutachten des Bundesverbandes der Autovermieter für die Region der Anmietung durch den Geschädigten bestätigt die nochmals konkretisierten Kritikpunkte der Klägerin gegen die Verwendbarkeit der Fraunhofer-Werte.
4. Durch Reparaturrechnung und -ablaufplan nachgewiesene Ausfallzeit begründet die lange Mietdauer, das Werkstattrisiko trägt der Schädiger.
5. Aufgrund unfallbedingt erforderlicher Zusatzleistungen ist ein Aufschlag auf den Normaltarif zu berücksichtigen.
6. Kosten erforderlicher Nebenleistungen sind ebenso vom Schädiger zu erstatten.

Zusammenfassung: Das Landgericht Bonn bestätigt seine Abkehr von der Fraunhofer-Liste und begründet das ausführlich mit neuen Erkenntnissen für aktuelle Ausgaben der Liste. Daher wird der erforderliche Schadenersatzbetrag für Mietwagenkosten mit Schwacke geschätzt. Unfallbedingter Aufschlag und Nebenkosten nach Schwacke kommen hinzu.

Bedeutung für die Praxis: Das erstinstanzliche Urteil, das der Haftpflichtversicherer nicht zur Überprüfung zum OLG Köln tragen wollte, enthält mehrere bedeutende Argumente, warum die Fraunhofer-Liste auch im Rahmen des Mischmodells nicht mehr angewendet werden kann. Viele Gerichte wollen die für sie bequeme Fracke-Linie nicht verlassen und verwiesen dann lapidar darauf, dass beide Listen kritikwürdig seien. Gegen die Schwacke-Liste wird dann nur Unkonkretes, Unbewiesenes und Falsches wiederholt wie ungerechtfertigte Preissteigerungen.
Das Landgericht Bonn hat sich mit den vielfältigen Argumenten der Klägerin ihres für das Gericht “einleuchtenden und nachvollziehbaren” Vortrages befasst. Dazu zählen a) kein realer Marktpreis durch “Glättung” (= Entfernung) von Daten, b) Erhebungen keine Totalerhebungen, c) unvollständig und fehlerhaft, da keine Werte für untere Klassen, dadurch unklarer Verbleib der Preise mit Nennung in höheren Klassen und dann niedrigeren und daher falschen Durchschnittswerten in höheren Mietwagenklassen (wird ein Preis für ein Fahrzeug der Klasse 1 fehlerhaft der Klasse 4 zugeordnet, sinkt der Durchschnittspreis in Klasse 4 ungerechtfertigt), d) Unmöglichkeit der korrekten Zuordnung von im Internet angebotenen Fahrzeugen in Mietwagenklassen, e) konkrete Internetbeispiele und das Gutachten des Bundesverbandes der Autovermieter Deutschlands e.V. belegen falsche Fraunhofer-Ergebnisse. Diese Kritikpunkte zu inhaltlichen und methodischen Fehlern bei Fraunhofer konnte die Beklagte nicht ausräumen und das Gericht hielt sie für so gravierend, dass es für eine Schätzung der erforderlichen Kosten nur noch die Schwacke-Liste heranzieht.
Bereits mit der Vorleitungs-Notwendigkeit des Mietwagenunternehmens in Bezug auf den Mietzins und der Breite des vorzuhaltenden Fuhrparks begründet das Gericht einen unfallbedingten Aufschlag auf den Normaltarif.
Hinweis: Das Urteil ist rechtskräftig.

Zitat: “Fraunhofer nicht mehr verwendbar, kein Mischmodell” 

Hinsichtlich der Eignung der Fraunhofer-Liste seit den neuesten Ausgaben ab 2020 als Schätzungsgrundlage hat die Klägerin indes substantiiert und einleuchtend konkrete Umstände dargelegt, aus denen sich ergibt, dass dieser neue Marktpreisspiegel an inhaltlichen und methodischen Fehlern leidet. Diese Mängel stehen einer Heranziehung der vorgelegten Fraunhofer-Liste 2022 (so Seile 3 der Klageerwiderung) beziehungsweise 2021 (so Seite 18 der Replik) im vorliegenden Fall entgegen. Insoweit wird auf das deshalb ausführlich im Tatbestand wiedergegebene Vorbringen der Klägerin Bezug genommen.
Die Beklagte (…) verweist allein auf die fehlende Eignung des Schwacke-Mietpreisspiegels (Seite 6 der Klageerwiderung) und stützt dies auf die Erhebung Fraunhofer Marktpreisspiegel Mietwagen Deutschland 2008 (Seite 8 ebenda) sowie auf die Eignung der Fraunhofer-Liste aussprechende Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 12.04.2011 – VI ZR 300/09 – (Seite 8 ebenda) sowie des Oberlandesgerichts Köln vom 30.07.2013 – 15 U 186/12 – (Seiten 3ff. des Schriftsatzes vom 04.12.2023). (…)
Gleiches gilt für die Eignung der Fraunhofer-Liste in der/den diesem Rechtsstreit zugrundeliegenden Fassung/en, die bereits in einem weiteren rechtskräftigen Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 22.09.2023 – 1 O 36/23 – (Kopie Bl. 119 – 130 d.A) für den dort zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt verneint worden ist. Diese Entscheidung ist in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erörtert worden (vgl. Seite 1 des Sitzungsprotokolls), ohne dass die Beklagte hierzu konkrete Umstände dargetan hat, die eine abweichende Beurteilung tragen könnten.
Mit nachgelassenem Schriftsatz vom 19.01.2024 (Seite 2) führt die Beklagte erstmals aus: Es wird bestritten, dass in der Fraunhofer-Liste für eine bestimmte Mietwagenklasse die Werte verschiedener Mietwagenklassen vermischt sind. (…) Dieses erstmalige Bestreiten entkräftet aber in dieser Allgemeinheit unabhängig von der bestehenden Präklusionswirkung (arg. § 296a ZPO) den eingangs dargestellten substantiierten Klägervortrag nicht (arg. § 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO).
3.Anschließend an diese Würdigung verbleibt damit als Grundlage für eine Schätzung der erforderlichen Mietwagenkosten in den streitgegenständlichen Fällen 1. und 2. nach § 287 ZPO allein das arithmetische Mittel der in der klägerseits vorgelegten Schwacke-Liste (Automietpreisspiegel 2022).”
(Landgericht Bonn 1 O 324/23 vom 01.03.2024)

Zitat: “Unfallbedingter Aufschlag gerechtfertigt” 

Ausgehend von dem eingangs errechneten Normaltarif von 6.478,45 € erhöht sich dieser noch um einen Aufschlag von 20 % (vgl. OLG Köln, Urt. v. 16.06.2015 – 15 U 220/14 = BeckRS 2016, 06499 Rd.14 – 16; OLG Köln NZV 2011, 450, 452; sowie bereits das erkennende Gericht mit Urteil vom 16.03.2018 – 1 O 224/17). Denn ein Aufschlag auf den Normaltarif rechtfertigt sich im Unfallersatztarif-Geschäft schon deshalb, weil hiermit für den Mietwagenunternehmer, der regelmäßig in Vorleistung tritt und sein Fahrzeugangebot in diesem Marktsegment ausgesprochen flexibel gestalten muss, gegenüber dem Normaltarif ein höherer Risiko- und Kostenaufwand verbunden ist. Der Aufschlag von 20 % bildet dieses Risiko in angemessener, aber auch in ausreichender Weise ab.”
(Landgericht Bonn 1 O 324/23 vom 01.03.2024)

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