Aktuelles zur BGH-Rechtsprechung zu den Mietwagenkosten
Der BGH hat in diesem Jahr bisher in zwei Urteilen zur Frage der Mietwagenkosten Stellung bezogen. Die darin enthaltenen Aussagen werden in Rechtsstreitigkeiten von Haftpflichtversicherern häufig verdreht und zu eigenen Gunsten dargestellt. Dem kann entgegen gewirkt werden.
Die Urteile fokussieren sich auf die juristischen Aspekte der Ersatzangebote (Erschütterung einer Schätzgrundlage) und auf die Schätzgrundlage nach § 287 ZPO. Dazu liefern wir einige Denkansätze und Aussagen.
1. Der BGH hat in beiden Verfahren die Verwendung der Schwacke-Liste bestätigt:
a) Im Urteil des BGH vom 22.02.2010 (VI ZR 353/09) heißt es u.a.:
„Nach diesen Grundsätzen, an denen festgehalten wird, ist der Tatrichter entgegen der Auffassung der Revision grundsätzlich nicht gehindert, seiner Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO die Schwacke-Liste 2006 zugrunde zu legen. Die von der Beklagten gegen die Eignung dieses Mietpreisspiegels erhobenen generellen Einwände hält der erkennende Senat für unbegründet.“
b) Wir zitieren aus dem aktuellen Urteil des BGH vom 12.04.2011 (VI ZR 300/09):
„Demgemäß hat der erkennende Senat mehrfach ausgesprochen, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den „Normaltarif“ grundsätzlich auch auf der Grundlage des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ 2003 oder 2006 im maßgebenden Postleitzahlengebiet (ggf. mit sachverständiger Beratung) ermitteln kann (vgl. Senatsurteile vom 11. März 2008 – VI ZR 164/07, aaO, Rn. 10; vom 19. Januar 2010 – VI ZR 112/09, VersR 2010, 494 Rn. 6; vom 2. Februar 2010 – VI ZR 139/08, VersR 2010, 545 Rn. 26 sowie – VI ZR 7/09, VersR 2010, 683 Rn. 9; vom 18. Mai 2010 – VI ZR 293/08, aaO).“
2. Im Verfahren VI ZR 353/09 vom 22.02.11 (Vorinstanz LG Braunschweig) ist dem Gericht die Überprüfung aufgegeben worden, ob die vom Versicherer in das Verfahren eingebrachten „Angebote“ geeignet sind, die vom Gericht vorgenommene Schätzung mit Schwacke zu erschüttern. Das hat das Gericht verfahrensfehlerhaft bisher nicht geprüft und muss das nun nachholen, Ergebnis offen.
Zum vermeintlich umfassenden und konkreten Sachvortrag der Versicherungen (welcher ja in allen Verfahren inhaltlich identisch ist) hat der 19. Senat des OLG Köln im Urteil vom 18.03.2011 (19 U 145/10) ausgeführt:
„Diese Schätzgrundlage nach dem „Schwacke-Mietpreisspiegel“ kann auch nicht mit dem Hinweis der Beklagten auf Vergleichsangebote anderer Autovermieter in Zweifel gezogen werden. Es handelt sich bei den vor der Beklagten vorgelegten Angeboten ausnahmslos um Internet-Angebote, die völlig losgelöst von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles bestimmte Tarife ausweisen. Aus diesen Internetangeboten lässt sich schon nicht entnehmen, wie hoch ggf. die Selbstbeteiligung ist, ob Vorbuchungsfristen einzuhalten sind, ob die Allgemein en Geschäftsbedingungen zusätzliche Kosten und Auflagen enthalten etc., so dass eine Vergleichbarkeit mit dem Normaltarif nach dem „Schwacke-Mietpreisspiegel“ nicht gewährleistet ist. Vorgesehen ist in den Internet-Angeboten das Erfordernis der Hinterlegung einer Kaution bzw. einer Kreditkarte, was dem Geschädigten schon nicht ohne weiteres zumutbar erscheint. Im Übrigen ist auch gerichtsbekannt, dass Internet-Vermieter häufig niedrigere Grundpreise anbieten, der tatsächlich zu zahlende Preis indes durch zahlreiche Zuschläge erheblich höher liegt.“
3. Weitere Hinweise zum BGH-Verfahren VI ZR 353/09 vom 22.02.11:
– Entscheidend bei der Frage nach den Erkenntnissen aus diesem Verfahren kommt es auf die „konkreten“ Einwendungen der Versicherung gegen die Schätzung mit Schwacke an. Der Versicherer hatte dem Gericht nachweisen wollen, dass die Fraunhofer-Werte den relevanten Marktpreis darstellen. Hierzu hat er Internetausdrucke beigefügt, die den Internetseiten einiger namhafter Anbieter entnommen wurden, die jedoch als Erschütterung einer Schätzgrundlage an erheblichen Problemen leiden.
– Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, den Gerichten im Zusammenhang mit der aktuellen BGH-Rechtsprechung die Unvergleichbarkeit dieser Angebote mit der in Rede stehenden konkreten Vermietung zu erläutern.
– In jedem konkreten Fall muss auf folgendes hingewiesen und vorgetragen werden:
anderer Mietzeitraum,
vorab vereinbarte feste Mietdauer,
keine Haftungsreduzierung,
Höhe der Selbstbeteiligung,
sonstige Nebenkosten,
unklare Verfügbarkeit.
– Wir haben freundlicherweise einen Musterschriftsatz zur Verfügung gestellt bekommen, den wir in bestimmten Fällen für Mitglieder herausgeben können.
– Als weitere „Erkenntnis“ ergibt sich aus diesem Verfahren, dass ohne eine entsprechende Grundlage (vereinbart und berechnet) Nebenkosten wie „2. Fahrer“ oder „Zustellen/Abholen“ nicht abgerechnet und auch die eigenen Rechnungen nicht später damit begründet werden dürfen. Der in der Höhe erhebliche abgerechnete Tarif wurde hier in dem Verfahren pauschal zwischen Mieter und Vermieter vereinbart und in Rechnung gestellt als „HDI-Unfallersatztarif“ (Anmerkung: Dazu besser keine weiteren Worte).
4. Erkenntnisse aus dem BGH-Verfahren VI ZR 300/09 vom 12.04.11:
– Der BGH erkennt die zweite Instanz als Tatsacheninstanz an. Das bedeutet, dass in der Berufung (2. Instanz) die vorgetragenen Tatsachen und Argumente durch das Gericht nochmals grundsätzlich neu bewertet werden können. Anders verhält es sich nur bei Revisionsverfahren. Dort sucht der BGH „nur“ nach Verfahrensfehlern. Er hebt nur dann ein Urteil auf und verweist es mit Hinweisen zurück, wenn er davon überzeugt ist, dass bei der Vermeidung von vorhandenen Verfahrensfehlern das Gericht zu einem anderen Ergebnis kommen könnte. Das umzusetzen wiederum ist dann Sache des Gerichtes der 2. Instanz.
– Aufgrund der Hervorhebung des § 287 der Zivilprozessordnung (ZPO) sieht der BGH in der Verwendung einer Liste und damit auch welcher Liste und der Art der Anwendung der Liste eine besondere Freistellung des Tatrichters erster und zweiter Instanz. Der BGH schreitet, das ist die spezielle Erkenntnis aus diesem Verfahren, noch nicht einmal dann dagegen ein, wenn das Gericht offensichtlich bei der Anwendung der Liste „sehr ungewöhnliche Wege“ geht. Im Ergebnis ist hier nach einem Unfall ungefähr Nutzungsausfall für Mietwagenkosten zugesprochen worden. Der BGH hat das durchgehen lassen, weil ihm § 287 so heilig ist, dass er das nicht beanstanden wollte. Zum Vergleich: Früher – das ist eine Weile her und das begrüßen wir – wurden Abrechnungen der Vermieter auf ein erforderliches Maß gekürzt, die mehrere Hundert Euro am Tag betragen konnten. Heute werden von Instanzgerichten viel niedrigere Beiträge auf ein Niveau des Nutzungsausfalls heruntergestutzt, wie hier geschehen. Das passt nicht zusammen und müsste auch dem BGH auffallen.
5. Wenn dem Geschädigten – und das geschieht ja erst in einem Prozess lange nach der Anmietung – der Vorwurf gemacht wird, er habe sich nicht nach Preisen erkundigt, obwohl ihn die Höhe des angebotenen Tarifes dazu hätte veranlassen müssen, dann ist diese Erkundigungspflicht nicht mit einer Aufklärungspflicht durch den Vermieter gleichzusetzen. Doch sollte der Geschädigte dann besser darlegen können, was er unternommen hat, um ein anderes günstigeres Angebot zu erhalten und ob ihm ein solches offen stand. Insofern geht die Erkundigungspflicht weiter, als die Aufklärungspflicht des Vermieters, “ …es kann ggf. Probleme mit dem Versicherer geben“. Je höher ein Tarif, um so eher dürfte dieser als Unfallersatztarif eingestuft werden und desto schwieriger sind die Beweismöglichkeiten des Geschädigten. Insofern ist eine Abrechnung bzw. Geltendmachung des Schadenersatzes im Rahmen des Normaltarifes zzgl. unfallbedingten Aufschlages (wenn erforderliche Leistungen erbracht wurden) anzuraten mit dem Ziel, eine Erkundigungspflicht des Geschädigten nicht auszulösen.
Dadurch ergäbe sich im Prozess die Antwortmöglichkeit auf pauschale Einwände der Gegenseite:
„Die pauschale Behauptung der Gegenseite, der Geschädigte habe sich nicht erkundigt, greift hier nicht. Eine Erkundigungspflicht ist erst ausgelöst, wenn der vereinbarte Tarif weit oberhalb des Marktpreises angesetzt ist und den Geschädigten dadurch hätte veranlassen müssen, andere Angebote einzuholen. Davon ist hier nicht auszugehen, da sich der Schadenersatzbetrag im Rahmen der Erforderlichkeit bewegt.“
6. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes, der Geschädigte habe sich – wenn sonst nichts hilft, um ein niedrigeres Angebot zu erhalten – an den Versicherer zu wenden, ist vom BGH verworfen worden. Das überspanne die Anforderungen an den Geschädigten.
7. Die Auseinandersetzungen um die Schätzgrundlagen sind an den Amts-, Land- und Oberlandesgerichten zu führen. BGH-Verfahren zur Frage der Schätzgrundlage bringen niemanden weiter. Werden sie trotzdem geführt, wünschen wir uns dringend eine Beteiligung des maßgeblichen Verbandes BAV.