Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 50-22

Amtsgericht Königswinter 10 C 23/22 vom 29.11.2022

1. Die Schätzung erforderlicher Mietwagenkosten nach Unfall ist im konkreten Fall anhand der Schwacke-Liste Automietpreisspiegel vorzunehmen.
2. Die am Gericht übliche Anwendung des Mischmodells Fracke scheidet aus, da selbst die Internetscreenshots der Beklagten aufzeigen, dass die Fraunhofer-Werte zu niedrig sind.
3. Eine Anwendung der Fracke-Werte - also des Mischmodells unter Einbeziehung von Fraunhofer - ist ebenso abzulehnen.
4. Die Klägerin hat mit einem Privatgutachten des Bundesverband der Autovermieter vorgetragen, dass die dortigen Internetwerte, erhoben nach einer Methode wie sie Fraunhofer anwendet, zu erheblich höheren Durchschnittwerten führen, zumeist im doppelten Bereich.
5. Die Kosten erforderlicher Nebenleistungen für Haftungsreduzierung, Winterreifen, Navigation und Zustellen/Abholen sind von der Beklagten zu erstatten.

Zusammenfassung: Das Amtsgericht Königswinter lehnt die Anwendung der Fraunhofer-Werte auch als Teil des Mischmodells in einem neuen Fall ab, obwohl es bisher in ständiger Rechtsprechung mit den Werten aus beiden Listen geschätzt hat. Hintergrund sind erhebliche und neue Zweifel an der Fraunhofer-Liste. Diese Zweifel haben sich für das Gericht durch den Vortrag der Beklagten selbst ergeben sowie durch Internetbeispiele der Klägerin, vorgetragen mit dem Gutachten des Bundesverbandes der Autovermieter. Das Urteil wäre berufungsfähig gewesen, doch die Beklagte hat lieber bezahlt.

Bedeutung für die Praxis: Nochmals in kurzer Folge im MRW-Newsletter das AG Königswinter... da das Urteil inhaltlich sehr interessant ist. In einem berufungsfähigen Mietwagenfall hat das Amtsgericht die Anwendung der Fracke-Methode abgelehnt. Grund ist, dass die von beiden Seiten im Prozess vorgelegten konkreten Internetangebote ganz erheblich höher lagen, als die Mittelwerte der Frannhofer-Liste 2021, mit denen das Gericht üblicherweise in den letzten Monaten geschätzt hatte. Die Richterin wendet - auch aufgrund des konkreten Sachvortrages der Klägerin gegen die Anwendung der Fraunhofer-Liste und der Fracke-Liste - die Schwacke-Mittelwerte an. Die Aussage des BAV-Gutachtens "Gutachten Mietwagenpreise Internet 2021 - Region Bonn -" lautete: "Das Gutachten kommt trotz vergleichbarer Berücksichtigung von Internetpreisen zu völlig anderen Ergebnissen als die Fraunhofer-Liste. Die Ergebnisse der Fraunhofer-Liste 2021 für das PLZ-Gebiet 53 (Bonn) entsprechen demnach nicht der Wirklichkeit." Die Beklagte ließ die Aussagen so stehen und trat dem Vortrag der Klägerin bzgl. des Gutachtens nicht entgegen.
Der Autor des Gutachtens (und dieser Zeilen) geht davon aus, dass das strategisch aus deren Sicht auch nicht verkehrt ist. Denn eine Diskussion der Gutachtenergebnisse und der Gutachten-Methode im Vergleich zur Fraunhofer-Liste würde unweigerlich zu einer Diskussion der Fraunhofer-Methode selbst führen. Das wären Fragen zur Fraunhofer-Erhebung wie:
- Warum sind für den Mittelwert Zwischen-Mittelwerte pro Station errechnet worden und warum hat daher nicht jeder Wert eine gleiche direkt Wirkung auf den veröffentlichten Mittelwert?
- Wie hat Fraunhofer aus Acriss-Mietwagenklassen die Einteilung in Schwacke-Mietwagenklassen "gezaubert"?
- Fehlen Werte in 4 Mietwagenklassen, weil Fraunhofer die Erhebungsergebnisse in zu hohe Meitwagenklassen sortiert??
- Was bedeutet "typische Selbstbeteiligung, zumeist zwischen 750 und ..."?
- Was bedeutet es, wenn Aufschläge für Winterreifen als zu vermeiden bezeichnet werden?
- Welcher (die Höhe der Kosten erheblich beeinflussender) Zahlungszeitpunkt für die Vorkasse wurde unterstellt?
- Welchen Einfluss erfährt die als "ganzjährig zu verwenden" zu verstehende Aussage durch die Erhebung in wenigen Sommermonaten?
- Was bedeutet eine unterstellte Kilometerbegrenzung für den Preis, den Fraunhofer in seine Listen übernimmt?
usw.
Das Gutachten ist sehr transparent. Es enthält alle konkret verwendeten Internetangebote als Screenshot. Sie sind ein Teil des Gutachtens. So fällt es dem Gericht sehr leicht, deren konkreten Inhalt und ihre Relevanz im Vergleich zu Fraunhofer zu prüfen. Der erhebliche Preisunterschied zum Fraunhofer-Mittelwert ist leicht zu erkennen und eine Erklärung dafür nicht greifbar.

Zitiervorschlag: "Kein Fracke und kein Fraunhofer, denn Internetscreenshots zeigen erheblich höhere Werte"

"Diesen Erwägungen schließt sich das Gericht überwiegend an. Abweichend von der Entscheidung des OLG Köln sieht das Gericht vorliegend jedoch keinen Anhaltspunkt dafür, den ortüblichen Tarif anhand des arithmetischen Mittels zwischen der Schwacke-Liste sowie der Fraunhofer-Liste zu berechnen. Denn das Gericht zweifelt vor dem Hintergrund der seitens der Beklagten selber vorgelegten Internet-Angebote sowie dem seitens der Klägerin vorgelegten „Gutachten Mietwagenpreise Internet 2021 - Region Bonn" an der Eignung der Fraunhofer-Liste als Schätzgrundlage, welche zur Berechnung eines arithmetischen Mittels zugrunde gelegt werden könnte. Konkret hat die Beklagte zwei Internetangebote der Unternehmen Sixt (...) und Europcar (...) beigefügt. Unabhängig von der Frage, ob diese Angebote der Geschädigten im vorliegenden Fall konkret vorgelegt wurden bzw. ob die Anmietung auch ohne Vorlaufzeit von einer Woche und mit offenem Mietende hätte erfolgen können, liegen diese beiden Angebote deutlich über dem seitens der Fraunhofer-Liste ermittelten Wertes. ... mithin etwa ein Viertel bis ein Drittel geringer als die von ihr selber beispielhaft genannten Internetangebote.
Zu deutlich höheren Abweichungen gelangt das seitens der Klägerin vorgelegte Gutachten (...). In diesem Gutachten stellt der Bundesverband der Autovermieter Deutschlands e.V. fest, dass die Erhebungen des Fraunhofer Instituts nicht die tatsächlich erhältlichen Internet­-Preise abbilden. Letztere liegen nach dem Ergebnis des Gutachtens deutlich über den Fraunhofer-Werten, zumeist im Bereich des doppelten Preises. Zur Ermittlung der tatsächlichen Werte ist das Gutachten entsprechend den Angaben des Fraunhofer-Instituts durch Internet-Recherche bei den größten Autovermittlern vorgegangen, um eine Vergleichbarkeit beider Werte herzustellen. Den Feststellungen des Gutachtens ist die Beklagte nicht entgegengetreten."
(Amtsgericht Königswinter 10 C 23/22 vom 29.11.2022)