Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 33-15

Landgericht Dresden 3 S 484/14 vom 17.07.2015

1. Für den Geschädigten besteht keine generelle Verpflichtung, den Markt umfänglich zu prüfen. Das bedeutet konkret, dass ein Vergleich mit der Schwackeliste ausreichend wäre, denn die ist vom BGH anerkannt.
2. Für weitere Marktsondierungen besteht erst ab einem Missverhältnis von 50 % über dem maßgeblichen Schwacke-Wert ein Anlass.
3. Die von der Beklagten vorgelegten Internetausdrucke begründen keine Zweifel an der Schwackeliste.
4. Diese Angebote entstammen einem Sondermarkt, der nicht ohne weiteres mit dem allgemeinen regionalen Markt vergleichbar ist.
5. Die Vergleichbarkeit der Anmietbedingungen ist zweifelhaft. Es fehlen Angaben zur Verfügbarkeit für Normalkunden. Oft bestehen Altersbeschränkungen oder es wird eine Mindestdauer des Führerscheinbesitzes vorausgesetzt.
6. Bereits die in der Regel bestehende Voraussetzung der Vorfinanzierung und die Bedingung des Einsatzes mindestens einer Kreditkarte machen diese Angebote unvergleichbar mit der konkreten Situation des Geschädigten und dem von ihm realisierten Angebot.
7. Selbst wenn alle diese Einschränkungen nicht zutreffen würden, käme es darauf nicht an, ob eine Internetbuchung günstiger gewesen wäre. Denn das dürfte gegen den Mittelwert einer Schätzgrundlage immer möglich sein, ohne dass deshalb ein Zweifel an der Schätzgrundlage gerechtfertigt wäre.
8. Der Beklagten obliegt es stattdessen, den Beweis dahingehend zu führen, dass dem Geschädigten alternativ ein konkretes, vergleichbares und zumutbares Angebot vorgelegen habe, welches einen niedrigeren Betrag gekostet hätte.
9. Der angebotene Sachverständigenbeweis ist dabei als ein Ausforschungsbeweis abzulehnen.

Zusammenfassung: Das Landgericht gibt der Berufung der Kläger statt und spricht die ausstehende Summe der Schadenersatzforderung zu. Das Gericht schätzt anhand der Schwackeliste und weist die intensiv vorgetragenen Argumente der Beklagten sehr ausführlich begründet zurück. Die Behauptung der Beklagten, das Oberlandesgericht Dresden habe seine Rechtsprechung in Bezug auf die Anwendbarkeit der Schätzgrundlagen für Mietwagenkosten geändert, wird berichtigt.

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Landgericht Dresden 3 S 484/14 vom 17.07.2015
(Vorinstanz Amtsgericht Dresden 116 C 724/14)

Im Namen des Volkes


Urteil


In dem Rechtsstreit

XXX

gegen

XXX
wegen Schadensersatz


hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Dresden durch Vorsitzenden Richter am Landgericht XXX als Einzelrichter auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 19.06.2015 am 17.07.2015

für Recht erkannt:


1.    Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 17.07.2014 - 116 C 724/14- wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 841,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz, hieraus seit dem 12.02.2014, sowie weitere vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 124,00 EUR zu zahlen.

2.    Die Kosten des Rechtsstreits 1. und 2. Instanz hat die Beklagte zu tragen.

3.    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.    Die Revision wird nicht zugelassen.


Gründe:



I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist zulässig, in der Sache hat sie vollumfänglich Erfolg.

Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten Mietwagenkosten gem. §§ 7 StVG i. v. m. § 115 VVG zu.

a)     Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH (BGH VersR 2013/730; BGH, Urteil vom 12. Oktober 2004 - VI ZR 151/03, BGHZ 160, 377, 383; vom 19. April 2005 - VI ZR 37/04, BGHZ 163, 19, 22 f.; vom 19. Januar 2010 - VI ZR 112/09, VersR 2010, 494 Rn. 5; vom 2. Februar 2010 - VI ZR 139/08, VersR 2010, 545 Rn. 10 und - VI ZR 7/09, VersR 2010, 683 Rn. 8; vom 9. März 2010 - VI ZR 6/09, VersR 2010, 1053 Rn. 8) kann der Geschädigte vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB     als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte verstößt allerdings noch nicht allein deshalb gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, weil er ein Kfz zu einem Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber dem Normaltarif teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen u.A.) allgemein einen gegenüber dem Normaltarif höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermietern beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich sind. Inwieweit dies der Fall ist, hat der bei der Schadensberechnung nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Tatrichter zu schätzen, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Zuschlag auf den "Normaltarif“ in Betracht kommt (BGH vom 19. Januar 2010 - VI ZR 112/09; vom 2. Februar 2010 - VI ZR 7/09, vom 9. März 2010 - VI ZR 6/09, aaO; vom 12. April 2011 - VI ZR 300/09, VersR 2011, 769 Rn. 18; vom 18. Dezember 2012 - VI ZR 316/11).

b)     Bei der Anmietung eines Ersatzwagens ist der Geschädigte nicht dazu verpflichtet, in eine umfängliche Marktanalyse einzusteigen. Es genügt, wenn er sich im Groben ins Bild setzt und kritisch hinterfragt, ob der Mietpreis als angemessen erscheint.

Im konkreten Fall bedeutet dies, dass eine umfangreiche Internetrecherche vor Anmietung des Fahrzeuges nicht gefordert werden kann, so dass es auch als ausreichend anzusehen ist, wenn beispielsweise die jeweils aktuelle Schwacke-Liste, die nach der Rechtsprechung des BGH ein geeignetes Mittel zur Schätzung der Mietwagenkosten darstellt, zur Hand genommen wird und man sich über die  gängigen Mietwagenpreise über diesen Weg informiert. Denn wenn die Schwacke-Liste als taugliches Schätzungsmittel für die Gerichte angesehen wird, dann muss dies auch ein taugliches Preisermittlungsinstrument für den Geschädigten bei Anmietung eines Ersatzwagens sein. Hätte vorliegend der Zedent dies getan, so wäre ihm aufgefallen, dass die dann später in Rechnung gestellten Mietwagenkosten sogar unter dem Mittelwert der jeweils gültigen Schwacke-Liste gelegen hätten.

Das OLG Dresden vertritt hierzu in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung die Auffassung, dass dem Geschädigten erst dann ein beachtliches Missverhältnis, das dann Anlass für weitere Recherchen gibt, aufdrängen muss, wenn der maßgebliche Tarif der Schwacke-Liste um mindestens 50 % überschritten worden ist (OLG Dresden, Urteil vom 31.7.2013 -7 U 1952/12; Urteil vom 18.12.2013 -7 U 606/13; Urteil vom 26.03.2014 – 7 U 110/13 -Stichwort Autoholding).

c)    Aus den von der Beklagten vorgelegten Internetausdrucken lassen sich keine konkreten Tatsachen ableiten, die sich auf den zu entscheidenden Fall erheblich auswirken, namentlich, dass die Schwacke-Liste gar nicht auf diesen Fall hin herangezogen werden kann. Dies wäre aber erforderlich, weil die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, nur dann der Klärung bedürfen, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken (BGH, Urteile vom 11. März 2008 - VI ZR 164/07, aaO, Rn. 9; vom 14. Oktober 2008 - VI ZR 308/07, aaO, Rn. 19 und vom 2. Februar 2010 - VI ZR 139/08, aaO, Rn. 25 sowie - VI ZR 7/09, aaO, Rn. 19).

Konkrete Mängel werden aber nicht bereits dadurch aufgezeigt, dass Alternativangebote aus dem Internet vorgelegt werden, deren Preise deutlich niedriger sind als die der Schwacke-Liste (LG Koblenz, Urteil vom 24.1.2011, 5 O 40/09). Gegen die Vergleichbarkeit dieser Internetpreise spricht bereits, dass es sich dabei um einen Sondermarkt handelt, der nicht ohne weiteres mit dem allgemeinen regionalen Mietwagenmarkt vergleichbar ist (BGH, Urt. vom 2.2.2010 ZR 7/09, VersR 2010, 545 - OLG Karlsruhe, NZV 2010, 472).

Problematisch ist auch, die Internetausdrucke sind insoweit nicht wirklich aussagekräftig, ob die sonstigen realen Bedingungen für die Anmietung mit denen der erfolgten Anmietung identisch waren (Angebot und tatsächliche Verfügbarkeit). Dazu enthalten die Internetausdrucke keine Angaben. Insbesondere wird dort auf Mietbedingungen verwiesen, die nicht bekannt sind, weil sie nicht vorgelegt wurden. Es ist daher offen geblieben, ob die dort angebotenen Fahrzeuge von jedem "Normalkunden" ohne weiteres zu dem dort genannten Grundpreis gemietet werden können. In der Regel bestehen nach den Mietbedingungen Altersbeschränkungen und es wird eine gewisse Dauer des Führerscheinbesitzes vorausgesetzt.

Auch muss in der Regel der Mietpreis vorfinanziert werden, wenn der Angebotspreis im Anspruch genommen werden soll. Die genannten Tarife werden häufig nur eingeräumt, wenn der Mieter über mindestens eine Kreditkarte verfügt. Diese Fragen werden durch die vorgelegten Internetangebote nicht abschließend beantwortet. Hinzu kommt, worauf das OLG Dresden im Urteil vom 26.3.2014 - 7 U 1110/13 - hinweist, dass die Mietfahrzeuge von Stationen abgeholt werden müssen.

Selbst, wenn für die Anmietung im konkreten Fall die Einschränkungen ohne Bedeutung wären, weil die Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt oder erfüllbar wären, so steht dies den vorbezeichneten Ausführungen nicht entgegen. Es kommt nicht darauf an, ob über irgendeine Internet-Buchung im konkreten Fall eine Anmietung günstiger gewesen wäre. Das dürfte nahezu in allen Fällen möglich sein, sondern ob durch die Vorlage von Screen-Shots die Schätzungsgrundlage für den konkreten Fall insgesamt in Frage gestellt wird. Dabei spielen unabhängig vom Einzelfall alle realen Bedingungen eine Rolle, die Einfluss auf den Wert der Schätzungsgrundlage haben können. Das Landgericht Köln hat hierzu in seiner Entscheidung vom 13.6.2012 - 13 S 340/11 - zutreffend ausgeführt, dass auch der Bundesgerichtshof keinen Rechtssatz aufgestellt habe, allein die Behauptung einer günstigeren Anmietmöglichkeit dazu führe, dass von einer Schätzungsmöglichkeit kein Gebrauch zu machen wäre. Der Beklagten obläge es, ihren entsprechenden Sachvortrag gegen die Tauglichkeit der herangezogenen Liste zu beweisen. Der insoweit angetretene Sachverständigenbeweis sei indes ersichtlich untauglich. Diese Auffassung hat auch die erkennende Kammer stets vertreten. Denn Aufgabe eines Sachverständigen ist es, aufgrund seines Fachwissens Wertungen und Schlussfolgerungen aus vorgegebenen Tatsachen zu ziehen. Dies ist hier aber weder erforderlich noch Ziel des Beweisantritts, vielmehr sind einzig die Anknüpfungstatsachen selbst, also ob die genannten bestimmten Anbieter auch zum Unfallzeitpunkt und bei einer Anmietung vor Ort die behaupteten Preise hatten, umstritten. Wenn diese Behauptungen der Beklagten zuträfen, würde es keiner weiteren fachlichen Schlussfolgerungen bedürfen, sondern wäre die Schätzungsgrundlage jedenfalls für den konkreten Fall unmittelbar erschüttert. Ob dieser Vortrag zutrifft, lässt sich nur durch Befragungen der Anbieter ermitteln, also letztlich durch die Beschaffung von Urkunden oder Zeugenvernehmungen. Dies ist und kann nicht Aufgabe eines Sachverständigen sein. Es ist auch nicht im Ansatz ersichtlich, inwieweit ihm dies gelingen könnte, ohne dass Grundlagen ihrerseits angegriffen wurden. Eine derartige Beweiserhebung wäre demnach auf unzulässige Ausforschung gerichtet (so überzeugend LG Köln aaO).

d)    Von der oben genannten Rechtsprechung ist auch nicht, wie der Beklagtenvertretet meint das Oberlandgericht Dresden nunmehr abgerückt. So hat das Oberlandesgericht beispielsweise in seinem Urteil vom 06.05.2015, Aktenzeichen 7 U 192/2015 deutlich gemacht, dass es bei der bisherigen Rechtsprechung bleibt.

III.

Der Klägerin steht auch ein Anspruch auf Ersatz der Nebenleistungen zu. Dies betrifft die hier geltend gemachte Haftungsreduzierung, die Winterpauschale sowie die Zustell- und Abholkosten.

IV.

Unter Zugrundelegung der Schwackeliste errechnet sich ein Anspruch der Klägerin in Höhe von 1.611,60 EUR. Die seitens der Klägerin abrechneten Mietwagenkosten betragen insgesamt 1.604,71 EUR und liegen damit sogar, wenn auch nur geringfügig, unter dem sich aus der Schwackeliste ergebenen Vergleichsmietpreis.

Hinsichtlich der Berechnung im Einzelnen wird auf die unstreitigen und zutreffenden Ausführungen der Klägerin in ihrer Berufungsschrift, vom 22.09.2014, dort Seite 3 und 6 Bezug genommen.

V.

Damit stehen der Klägerin auch die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus einem Gegenstandswert in Höhe von 861,12 EUR wie ausgeurteilt zu.

VI.

Die Entscheidung hinsichtlich der Zinsen ergibt sich aus den Verzugsvorschriften.

VII.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil dieser einen Einzelfall betreffende Rechtsstreit weder eine grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

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Bedeutung für die Praxis: "Selbst, wenn für die Anmietung im konkreten Fall die Einschränkungen ohne Bedeutung wären, weil die Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt oder erfüllbar wären, so steht dies den vorbezeichneten Ausführungen nicht entgegen. Es kommt nicht darauf an, ob über irgendeine Internet-Buchung im konkreten Fall eine Anmietung günstiger gewesen wäre. Das dürfte nahezu in allen Fällen möglich sein, sondern ob durch die Vorlage von Screen-Shots die Schätzungsgrundlage für den konkreten Fall insgesamt in Frage gestellt wird. Dabei spielen unabhängig vom Einzelfall alle realen Bedingungen eine Rolle, die Einfluss auf den Wert der Schätzungsgrundlage haben können." (Zitat)