Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 32-15

Amtsgericht Aachen 102 C 169/14 vom 11.06.2105

1. Nach der Rechtsprechung des OLG Köln sei zwar eine Mittelwertberechnung aus Fraunhofer und Schwacke vorzunehmen, doch nach der Rechtsprechung des BGH sei auch eine Schätzung mittels Schwackeliste möglich.
2. Das Gericht folgt dieser Rechtsprechung des BGH, da wegen des Zustandekommens und der Interessen der Versicherungswirtschaft erhebliche Bedenken gegen die Anwendbarkeit der Fraunhoferliste bestünden.
3. Der Geschädigte kenne die Inhalte der Fraunhoferliste nicht.
4. Von der Beklagten vorgelegte Internetangebote erschütterten die Anwendbarkeit der Schwackeliste nicht. Sie seien fast zwei Jahre jünger und unvollständig. Zudem seien die Bedingungen unklar in Bezug auf die Notwendigkeit der Vorfinanzierung und einer Sicherheitsleistung.
5. Die Verpflichtung des Geschädigten zur Vorfinanzierung der Schadenfolgekosten betreffe die Schadenminderungspflicht. Mithin sei die Beklagte beweispflichtig dafür, dass dem Geschädigten z.B. der Einsatz einer eigenen Kreditkarte möglich und zumutbar war.
6. Die Beklagte sei auch ihrer Beweislast nicht nachgekommen, dass dem Geschädigten ein konkretes und vergleichbares Angebot zu einem niedrigeren Preis zur Verfügung gestanden hätte.

Zusammenfassung: Das Amtsgericht Aachen wendet entgegen der "Vorgabe" des Oberlandesgerichtes in Köln allein die Schwackeliste als Schätzgrundlage nach § 287 ZPO an. Eine Mittelwertbildung wird mit ausführlicher Begründung abgelehnt.

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Amtsgericht Aachen 102 C 169/14 vom 11.06.2015


Im Namen des Volkes



Urteil

In dem Rechtsstreit

XXX

gegen

XXX


hat das Amtsgericht Aachen im schriftlichen Verfahren mit einer Schriftsatzeinreichungsfrist bis zum 20.05.2015 durch die Richterin am Amtsgericht XXX

für Recht erkannt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin restliche Mietwagenkosten in Höhe von 941,24 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz per anno hieraus seit dem 30.09.2014 nebst weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 124 € zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.



Tatbestand:


Mit der Klage macht die Klägerin aus abgetretenem Recht restliche·Mietwagenkosten des Zedenten XXX und Zeugen XXX aufgrund eines Verkehrsunfalls am 21.01.2013 geltend, bei dem das Fahrzeug des Zeugen XXX, ein Ford Focus, 74 KW, beschädigt wurde. Die alleinige Haftung·des Unfallgegners und der Beklagten sind unstreitig.

Mit schriftlichem Mietvertrag vom 23.01.2013 hatte der Zeuge XXX bei der Klägerin für den Zeitraum vom 23.01.2013 bis zum 01.02.2013 ein gruppengleich abgerechnetes Ersatzfahrzeug gemietet. Dadurch sind dem Zeugen gemäß Rechnung der Klägerin vom 05.02.2013 Mietwagenkosten in einer Gesamthöhe von 1.463,34 € entstanden.

Die Klageforderung in Höhe von 941,24 € beruht auf folgender Abrechnung der Klägerin gegenüber der Beklagten:
Mietwagenkosten gemäß Rechnung vom 05.02.2013        1.463,34 €
Abzüglich der Zahlung der Beklagten:                                       473,30 €
abzüglich ersparter Eigenkosten (zehn Tage x 4,88 €)          48,80 €


Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin restliche Mietwagenkosten in Höhe von 941,24 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz per anno hieraus seit Rechtshängigkeit nebst weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 124 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, dass die Schwacke-Liste keine zulässige Grundlage für eine Schadensschätzung gemäß 287 ZPO in Bezug auf die Erstattung verkehrsunfallbedingter Mietwagenkosten darstelle. Darüber hinaus beruft sie sich darauf, dass zwischen dem Unfalltag am 21.01.2013 und der Anmietung des Mietwagens am 23.01.2013 zwei Tage lagen, innerhalb derer der Unfallgeschädigte sich durch ein oder zwei zusätzliche Telefonanrufe hätte vergewissern müssen, ob das ihm gemachte Angebot nicht deutlich aus dem Rahmen fällt oder aber sich im Rahmen des Üblichen bewegt. Die Beklagte behauptet unter Berufung auf konkrete Internetangebote der Unternehmen Hertz und Sixt, dass der Unfallgeschädigte zum Zeitpunkt der Anmietung des Mietwagens die Möglichkeit gehabt hätte, den Mietwagen für den betreffenden Zeitraum zu einem wesentlich günstigeren Tarif zu mieten. Darüber hinaus bestreitet die Beklagte, dass der von dem Geschädigten bei der Klägerin gemietete PKW dem Unfallgeschädigten zu Beginn der Mietzeit tatsächlich durch die Klägerin zugestellt und am Ende der Mietzeit wieder abgeholt wurde und dass das bei der Klägerin gemietete Fahrzeug tatsächlich mit Winterreifen ausgestattet war.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der von den Parteien zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 18.12.2014. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Zeugenaussagen der Zeugen XXX und XXX Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist in vollem Umfang begründet.

Der Klägerin steht aus abgetretenem Recht ein Anspruch auf Schadensersatz hinsichtlich der restlichen Mietwagenkosten gemäß den §§ 249 BGB, 287 ZPO zu.

Zwar sind die angemessenen Mietwagenkosten im Rahmen der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO nach der aktuellen Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln mit Urteilen vom 01.08.2013 - 15 U 9/12 - und vom 30.07.2013 - 15 U 112/12 – unter Verwendung einerseits der Schwacke-Liste und andererseits der Fraunhofer Tabelle zu berechnen.

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vergleiche Urteil vom 02.02.2010 - VI ZR 7/09 -, zitiert nach Juris) liegt aber auch eine Berechnung allein aufgrund der Schwacke-Liste grundsätzlich im Rahmen desjenigen Ermessensspielraums, der dem Tatrichter im Rahmen der Schadenschätzung gemäß § 287 eingeräumt wird. Das Gericht folgt insoweit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes im Rahmen seiner Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO, weil erhebliche Bedanken gegen die Anwendung der Fraunhofer·Liste aufgrund ihres Zustandekommens und der damit verbundenen Interessen der Versicherungswirtschaft bestehen und zudem auch diese Liste für einen Unfallgeschädigten nicht ohne weiteres allgemein zugänglich ist.

Die konkrete Berechnung der Klägerin auf der Grundlage der Schwacke-Liste weist keine Mängel auf und wird auch nicht von der Beklagten infrage gestellt. Soweit die Beklagte bestreitet, dass eine Zubringung und Abholung des Mietwagens durch die Klägerin tatsächlich erfolgt ist und dass das konkrete Mietfahrzeug mit Winterreifen ausgestattet war, steht nach der schriftlichen Zeugenvernehmung zur Überzeugung des Gerichts fest, dass dies tatsächlich der Fall war. Ein Anlass zu berechtigten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit dieser Zeugenaussagen und der Glaubwürdigkeit der beiden Zeugen besteht nicht und wird auch nicht von der Beklagten dargelegt

Soweit die Beklagte einwendet, die tatsächlich entstandenen Mietwagenkosten seien unter Berücksichtigung der Internetangebote der Firmen Hertz und Sixt völlig unangemessen und unüblich, hat ihr Vorbringen keinen Erfolg. Denn die Anmietung des Fahrzeuges erfolgte am 23.01.2013, während es sich bei denen von der Beklagten dargelegten Angebote um solche aus Oktober 2014 handelt. Im Übrigen weisen diese Screenshots keine Angaben in Bezug auf die Höhe der Zusatzkosten betreffend der Zustell- und Abholkosten sowie der Kosten für die Winterbereifung und eventueller Zusatzkosten für den Einsatz einer Kreditkarte oder erforderlicher Sicherheitsleistungen auf.

In Bezug auf eine Vorfinanzierung der Mietwagenkosten durch Einsatz einer Kreditkarte oder aber eine Sicherheitsleistung bzw. Vorfinanzierung der Mietwagenkosten durch den Geschädigten hat die Klägerin sich darauf berufen, dass der Unfallgeschädigte in Anbetracht seiner finanziellen Situation zu einer derartigen Vorfinanzierung nicht in der Lage war. Ob der Geschädigte im Einzelfall zu einer Vorfinanzierung verpflichtet war, betrifft nicht die Erforderlichkeit der Mietwagenkosten im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB, sondern die Schadensminderungspflicht des Geschädigten nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB. Insoweit ist maßgeblich, ob dem Geschädigten eine Vorfinanzierung, zu der auch der Einsatz einer EC-Karte oder einer Kreditkarte gerechnet wird, möglich und zumutbar war. Dies kann nicht generell ausgeschlossen werden. Allerdings ist der Geschädigte im Rahmen des § 254 BGB nicht darlegungs- und beweispflichtig. Denn der Geschädigte ist im Rahmen des § 254 BGB auch unter Berücksichtigung seiner sekundären Darlegungslast nicht verpflichtet, von sich aus konkrete Details zu seiner finanziellen Situation vorzutragen (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 05.03.2013 - VI ZR 245/11 -, zitiert nach juris). Insoweit hat die Beklagte weder der Behauptung der Klägerin, der  Geschädigte sei bei Anmietung des Mietwagen finanziell nicht in der Lage gewesen, die Mietwagenkosten vorzufinanzieren, bestritten noch im Einzelnen dargelegt, dass der Unfallgeschädigte entgegen seiner Behauptung in Anbetracht seiner konkreten finanziellen Situation zu einer Vorfinanzierung in der Lage gewesen sei.

Dem Schadensersatzanspruch der Klägerin steht auch nicht entgegen, dass die tatsächlich entstandenen Mietwagenkosten über denjenigen liegen, die nach einer Berechnung entsprechend der Schwacke-Liste angemessen sind. Denn der Geschädigte hat zwar nur einen Anspruch auf Ersatz derjenigen Mietwagenkosten, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist hierbei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten wirtschaftlich gehalten, im Rahmen des ihm zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Dies bedeutet, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis·als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte verstößt allerdings noch nicht allein deshalb gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot. Denn zum einen ist zu berücksichtigen, dass zwischen dem Unfalltag und der Anmietung des Mietwagens nur zwei Tage lagen, so dass eine umfassende Information des Geschädigten über die örtlich üblichen Normaltarife im Umfeld seines Wohnortes erschwert war. Wie bereits ausgeführt, kann die Beklagte sich insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, dass der Unfallgeschädigte den Normaltarif anhand der Internetangebote der großen Mietwagenunternehmen hätte feststellen können. Denn diese sind aus den genannten Gründen keine ausreichende Grundlage zur Bestimmung der erforderlichen Mietwagenkosten. Zudem trifft den Schädiger gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB die Darlegungs- und Beweislast für die Behauptung, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif nach den konkreten Umständen ohne weiteres zugänglich gewesen sei (BGH, a.a.O). Dieser Darlegungs- und Beweislast ist die Beklagte nicht nachgekommen. Es handelt sich bei der Schwacke-Liste auch nicht um eine ohne weiteres zugängliche Informationsquelle für einen Unfallgeschädigten. Denn auch im Internet wird diese nur kostenpflichtig angeboten.

Soweit die Beklagte sich darauf beruft, die von der Klägerin dargelegten ersparten Eigenkosten des Geschädigten in einer Höhe von 48,80 € für die Mietdauer von zehn Tagen seien unangemessen, hat ihr Einwand keinen Erfolg. Wie in dem bereits genannten Urteil des Bundesgerichtshofs im Einzelnen ausgeführt, ist die Rechtsprechung zur Frage der·Eigenersparnis uneinheitlich und teilweise nur in einer Höhe von 3-5 % angenommen, im vorliegenden Fall belaufen sich 3 % der tatsächlich entstandenen Mietwagenkosten auf einen täglichen Betrag in Höhe von 4,39 €, der unter demjenigen von der Kläger berücksichtigten Betrag in Höhe von täglich 4,88 € liegt. Im Rahmen der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO ist das Gericht der Auffassung, dass die in Ansatz gebrachten ersparten Eigenkosten angemessen sind. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die in einem Zeitraum von zehn Tagen nach wie vor anfallenden laufenden Kosten für das unfallgeschädigte Fahrzeug des Geschädigten in Form von Steuern und Versicherungen auch während dieses Zeitraums anfallen. Die Treibstoffkosten spielen keine Rolle, weil sie auch für einen Mietwagen entstehen. Insoweit verbleiben als Eigenersparnis für den Geschädigten lediglich die ersparten Kosten in Bezug auf nicht erfolgte Abnutzungserscheinungen an dem unfallgeschädigten Fahrzeug für die Dauer der Anmietung des Mietwagens. Diese liegen aber für einen Zeitraum von zehn Tagen offensichtlich nicht über einem täglichen Betrag von 4,88 €.

Die von der Klägerin geltend gemachten Zinsansprüche sowie vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bestehen unter dem Gesichtspunkt des Verzuges gemäß den §§ 286, 288 ZPO. Die Beklagte kann sich Insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten keine erforderlichen Aufwendungen darstellen, weil es sich bei der Klägerin um ein gewerbliches Autovermietungsunternehmen handle mit entsprechenden Mitarbeitern, die über ausreichende Kenntnisse in Bezug auf Schadensersatzansprüche von Unfallgeschädigten verfügen. Denn da der Hauptgeschäftszweig der Klägerin die Vermietung von Fahrzeugen ist, kann nicht grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die Klägerin insoweit fachlich ausreichend versierte Mitarbeiter hat. Im Übrigen hat die Klägerin auch ausdrücklich bestritten, dass solche Mitarbeiter in ihrem Unternehmen beschäftigt sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkelt auf den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird auf 941,24 EUR festgesetzt.

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Bedeutung für die Praxis: Mit eindeutiger und nachvollziehbarer Begründung wendet sich das Gericht gegen die Bildung eines Mittelwertes aus den Listen. Es zeigt dem Versicherer den Weg auf, wie er seine minimalistische Auffassung zu den erstattungsfähigen Mietwagenkosten überzeugend begründen kann: Der Beweis eines konkreten billigeren Ersatzfahrzeuges, im Umfang der konkret erbrachten Leistung und zu den Bedingungen, die der Geschädigte mitbringt.