Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 25-15

Amtsgericht Koblenz, Az. 411 C 3756/14 vom 13.04.2015

1.    Die Beklagte unterbreitete dem Geschädigten kein annahmefähiges Mietwagenangebot.
2.    Ein Schreiben des Versicherers mittels einer Mietpreisliste und Telefonnummern von kooperierenden Mietwagenanbietern lässt keine
       Aktivitäten des Geschädigten zur Minderung des Schadens notwendig werden.
3.    Ein Verweis auf Fraunhofer ist kein konkreter Sachvortrag zur Erschütterung der Anwendbarkeit der Schwackeliste.
4.    Für besondere unfallbedingte Leistungen, die aus Sicht des Geschädigten erforderlich sind, ist ein Aufschlag von 20% auf den
       Normaltarif zu erstatten.
5.    Nebenkosten für Zustellen, Versicherung und Winterreifen sind ebenso erstattungsfähig.

Zusammenfassung: Auch das schriftliche Mietwagen-Vermittlungsangebot des Gegner-Versicherers an den Geschädigten löst keine gesteigerte Empfindsamkeit des Geschädigten und keine besondere Erkundigungspflicht nach speziellen Minimaltarifen aus. Die Anwendung der Schwackeliste zur Bestimmung des Normaltarifs ist auch dann zulässig.

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Amtsgericht Koblenz, Az. 411 C 3756/14 vom 13.04.2015


Sachverhalt:
Im Namen des Volkes


Urteil


In dem Rechtsstreit XXX gegen XXX wegen Forderung hat das Amtsgericht Koblenz durch die Richterin am Landgericht XXX am 13. April 2015

für Recht erkannt:·

1.    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin·525,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 20.12.2011 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von insgesamt 70,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.01.2015 zu zahlen.

2.    Die Beklagte zahlt die Kosten des Rechtsstreits.

3.    Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand



Die Klägerin, die ein Mietwagenunternehmen betreibt, verlangt von der Beklagten aus abgetretenem Recht die Erstattung restlicher Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall, bei dem die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach außer Streit steht.

Mit Schreiben vom 08.11.2011·bestätigte die Beklagte gegenüber dem Geschädigten XXX die Eintrittspflicht der Beklagten und teilte ihm in einer tabellarischen Aufstellung mit, zu welchen Tagesnettopreisen er anlässlich des Unfalls ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug anmieten könne. Der Geschädigte XXX mietete daraufhin ausweislich der Rechnung vom 24.11.2011 in der Zeit vom 14. bis 18.11.2011 ein· Ersatzfahrzeug zu einem Gesamtpreis von 900,19 € (BI. 15 d.A.).

Die Klägerin behauptet,

die Beklagte sei hinsichtlich der Mietpreishöhe zur Erstattung des Normaltarifs auf der Grundlage der sog. „Schwacke-Liste" verpflichtet, so dass sie der Klägerin bzgl. des PLZ-Gebietes 531, Gruppe 6 einmal den 3-Tagespreis in Höhe von·405,00 € zzgl. zweimal den Tagespreis von jeweils 189,50·€ zu erstatten habe. Zudem sei die Klägerin berechtigt, einen 20 %igen Aufschlag, vorliegend also 156,80 €, bei der Beklagten in Rechnung zu stellen und von dieser auch die Zahlung von Nebenkosten, die Voll-/Teilkaskokosten in Höhe von 118,25 €, Zusatzfahrerkosten in Höhe von 50,00 €, sowie Kosten für das Zustellen und Abholen in Höhe von 46,00 € zu verlangen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 525,34 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit dem 20.12.2011 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von insgesamt 70,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.01.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet,

der Geschädigte sei verpflichtet gewesen, auf günstigere Mietwagenangebote, worauf die Beklagte in ihrem Schreiben vom 08.11.2011 ausdrücklich hingewiesen habe, zurückzugreifen. In der Nichtannahme der genannten Direktvermittlungspreise sei ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht zu sehen, da er diese Tagesmietpreise ohne weiteres zum maßgebenden Zeitpunkt hätte in Erfahrung bringen können. Indem sich der Geschädigte nicht nach anderen Tarifen erkundigt habe, sei wegen der Obliegenheitsverpflichtung nur der regionale Normaltarif erstattungsfähig.

Zudem sei der Normaltarif nur nach dem „Marktpreisspiegel Mietwagen-Deutschland 2011" erstellt durch das Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation zu ermitteln. Des Weiteren sei ein prozentualer Aufschlag auf den Normaltarif nicht gerechtfertigt, da unfallspezifische Leistungen nur dann in Betracht kämen, wenn auf Vorauskasse verzichtet werden musste oder keine Deckungszusage durch den eintrittspflichtigen Versicherer erfolgt sei.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, Protokolle und sonstige Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat in der Sache in vollem Umfang Erfolg. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung der Mietwagenkosten und Nebenkosten gemäß §§7 Abs. 1 StVG, 115 VVG i.V.m. § 398 BGB in voller Höhe zu.

1.
Entsprechend den Ausführungen der Klägerin kann zur Ermittlung des hier in Frage stehenden ,,Normaltarifs“ der Automietpreisspiegel von Eurotax-Schwacke herangezogen werden. Der Geschädigte hat nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren stets den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten .Markt erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges innerhalb eines gewissen Rahmens grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis verlangen kann (BGH, NJW 2011, 1947).

Die Bemessung der Höhe des Schadenersatzanspruchs ist nach § 287 ZPO in erster Linie Sache des Tatrichters, ohne dass die Art der Schätzungsgrundlage gesetzlich vorgegeben ist, so dass der erkennende Richter zur Schätzung der erforderlichen Mietwagenkosten auf vorhandene Listen oder Tabellen zurückgreifen kann. Die jeweilige Eignung dieser Tabellen oder Listen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bedarf nur dann einer Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass sich geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken. Dabei ist der Verweis der Beklagten auf die Fraunhofer-Liste nicht ausreichend, um die höchstrichterlich anerkannte grundsätzliche Eignung der Schwacke Liste als Schätzgrundlage nach §287 ZPO in Frage zu stellen.

Insbesondere genügt der Umstand, dass die vorhandenen Markterhebungen im Einzelfall zu deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen führen, nicht, um Zweifel an der Eignung der einen oder anderen Erhebung ·als Schätzungsgrundlage zu begründen (siehe auch BGH, Urteil v. 12.04.2012, VI ZR 300/09).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte keine deutlich günstigeren Angebote anderer Anbieter für den konkreten Zeitraum am Ort der Anmietung aufgezeigt. Zwar sind in dem Schreiben der Beklagten an den Geschädigten vom 08.11.2011 zehn Mietwagenpreise aufgelistet, für die Fahrzeuge bei den Mietwagenfirmen Europcar und Caro angemietet werden können. In diesem Schreiben hat die Beklagte dem Geschädigten unstreitig auch die Telefonnummern dieser beiden Mietwagenfirmen genannt sowie tabellarisch zehn Fahrzeuge mit Angabe der jeweiligen Tagesmietpreise aufgelistet. Aus dem Schreiben der Beklagten geht jedoch nicht hervor, welches der zehn Fahrzeuge, deren Tagesmietpreise sich in einer Spanne von 25,00 bis 95,00 € bewegen, konkret für den Geschädigten in Betracht kommt und was er tun muss, um diese günstigen Mietpreise zu erhalten. Die Beklagte hat den Geschädigten daher keine konkret für ihn zur Verfügung stehenden Angebote anderer Anmieter aufgezeigt. Insbesondere ergibt sich aus dem Schreiben vom ·08.11.2011 keine Vergleichbarkeit im Hinblick auf den Zeitraum der Anmietung, die sofortige Verfügbarkeit, die Zustellmöglichkeit, die Frage einer Selbstbeteiligung, die Kosten für einen Zusatzfahrer, die Allgemeinen Mietbedingungen mit etwaigen zusätzlichen Kosten und Auflagen sowie zur Frage, wie sich die Preise verhalten, wenn bei Anmietung das Mietende offen ist.

Auch der Verweis auf die Fraunhofer-Liste ist nicht ausreichend, die höchstrichterlich anerkannte grundsätzliche Eignung der Schwacke-Liste als Geschäftsgrundlage nach § 287 ZPO in Frage zu stellen. Insbesondere kann aus der bloßen Existenz des Fraunhofer-Mietpreisspiegels nicht auf eine Ungeeignetheit der Schwacke-Liste geschlossen werden. Vielmehr ist das erkennende Gericht grundsätzlich berechtigt, auf beide Listen zurückzugreifen (siehe OLG Koblenz, Beschluss v. 29.03.2012, 12 U 233/11; BGH VI ZR 293/09). Der Umstand, dass die vorhandenen Markterhebungen im Einzelfall zu deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen führen, genügt nicht, um Zweifel an der Eignung der eine oder anderen Erhebung als Schätzgrundlage zu begründen.

2.
Entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Landgerichts Koblenz (Urteil v. 08.07.2014, Az.: 6 S 302/13; Beschluss v. 23.01.2014, Az.: 6 S 82/14) und der Rechtsprechung des OLG Koblenz (Verfügung f. 29.03.012, Az.: 12 U 233/11) kann die Klägerin auch einen pauschalen Aufschlag von 20 % auf den Normaltarif zur Abgeltung der durch die besonderen Unfallsituationen veranlassten Leistungen verlangen.

Angesichts der Unfallsituation, insbesondere unter Berücksichtigung einer etwaig notwendigen Vorfinanzierung, des Risikos eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen und des zum Zeitpunkt der Anmietung noch offenen Mietendes etc., verstößt es nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, wenn ein Kraftfahrzeug zu einem höheren Tarif angemietet wird, wobei u.U. auch ein pauschaler Aufschlag auf den Normaltarif in Betracht kommt. Die tatsächliche Prüfung, ob dieser pauschale Aufschlag zuzubilligen ist oder nicht, ist hierbei darauf beschränkt, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfallgeschädigte allgemein diesen Mehrpreis rechtfertigen. Vorliegend hat die Beklagte die unfallbedingten Zusatzleistungen grundsätzlich nicht in Abrede gestellt. Im Interesse einer einheitlichen Schadensabwicklung erscheint es dem Gericht daher in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Landgerichts Koblenz praktikabel und sinnvoll, den unfallbedingten Zusatzleistungen durch den vorgenannten pauschalen Abschlag Rechnung zu tragen.

3.
Ebenso sind die weiteren Zusatzkosten für Voll-/Teilkasko, Winterreifen und Zustellen/Abholen in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Landgerichts Koblenz als Schadenersatz zu ersetzen.

4.
Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711ZPO.



Beschluss



Der Streitwert des Rechtsstreits wird auf 525,34 € festgesetzt.

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Bedeutung für die Praxis:  Der Versicherer hatte versucht, mit seinem frühzeitigen Schreiben an den Geschädigten nicht nur die Vermietung bei einem Kooperationspartner zu einem mit diesem angeblich vereinbarten Preis zu realisieren, sondern eine gezielte Erkundigungspflicht nach günstigeren Tarifen zu konstruieren nach dem Motto „nun war der Geschädigte ja über den Mietwagenpreis informiert“. Das sah das Gericht anders und schätzte den Normaltarif anhand der für das Gericht vorzugswürdigen Schätzgrundlage nach § 287 ZPO und im Einklang mit der BGH-Rechtsprechung.