Neue Abtretung erst in der Berufung

Anders als vielfach behauptet, kann der Kläger auch noch in der Berufung eine neue Abtretung nachreichen, um eine ggf. erstinstanzlich als intransparent angesehene erste Abtretung und Klageabweisung zu heilen (so lange noch keine Verjährung eingetreten ist für Forderungen, die abgetreten werden).

Werden Angriffs- und Verteidigungsmittel verspätet vorgetragen, sind diese nicht zuzulassen (§ 296 BGB in Verbindung mit § 530, 531 ZPO). Fraglich ist, ob eine neue Abtretung als verspäteter Vortrag zu werten ist. Dem ist nicht so.

Laut BGH X ZR 77/10 vom 17.05.2011 bzgl. § 531 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO:

"Das Berufungsgericht hat den Vortrag der Beklagten zu einer widerrechtlichen Entnahme zu Unrecht gemäß § 531 ZPO unberücksichtigt gelassen und damit dem Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt.
(...) Nachlässigkeit kann in der Regel nicht angenommen werden, wenn eine Partei erst aufgrund einer während des Berufungsverfahrens erfolgten Abtretung in der Lage war, ein Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Aussicht auf Erfolg geltend zu machen. (...) Ob bei Gestaltungsrechten auf den Zeitpunkt ihrer Entstehung abzustellen ist, kann im vorliegenden Zusammenhang jedoch dahingestellt bleiben (...)  Im Streitfall hing die Möglichkeit zur Geltendmachung des Einwandes nicht allein vom Willen der Beklagten ab. Zur Abtretung der geltend gemachten Rechte am Gegenstand des Klagepatents bedurfte es vielmehr der Mitwirkung des Ehemannes der Beklagten zu 2. In derartigen Konstellationen erschiene es verfehlt, Nachlässigkeit schon deshalb zu bejahen, weil sich eine Partei nicht rechtzeitig um den Erwerb einer bestimmten Rechtsposition im Wege der Abtretung bemüht hat (...) Der Umstand, dass die prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften nicht den Zweck verfolgen, auf eine beschleunigte Schaffung der materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen hinzuwirken (...) Eine darüber hinausgehende Pflicht zur beschleunigten Schaffung materiellrechtlicher Voraussetzungen kann den prozessrechtlichen Präklusionsvorschriften jedoch nicht entnommen werden. Folgerichtig hat der Bundesgerichtshof die Präklusion eines Verteidigungsmittels abgelehnt, das der Beklagte erst aufgrund eines von ihm während des Rechtsstreits erwirkten Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses geltend machen konnte"

Wird nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung der Erstinstanz die Tatsache einer neuerlichen Abtretung erst geschaffen, ist der Vortrag nicht als verspätet auszuschließen. So liegt der Fall bei neuerlicher Abtretungsvereinbarung zwischen Geschädigten und Autovermieter.

Weiteres Beispiel aus der BGH-Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 17.10.2018 – VI­II ZR 212/17 (Leitsatz 1+2)

1. Der Vortrag einer Partei, dass ein Gestaltungsrecht (hier: Widerruf gemäß §§ 312b, 312g, 355 f. BGB) erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung ausgeübt worden sei, ist in der Berufungsinstanz grundsätzlich unabhängig von den Voraussetzungen des § 531 II ZPO zu berücksichtigen. Hierauf ist ohne Einfluss, ob die Erklärung des Gestaltungsrechts als solche von der Gegenseite bestritten wird oder (was der Regel entsprechen dürfte) zwischen den Parteien unstreitig ist.
2. Wenn eine Partei zulässigerweise erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung von einem Gestaltungsrecht Gebrauch macht, begründet es keine Nachlässigkeit i. S. von § 531 II 1 Nr. 3 ZPO, dass sie zu den (weiteren) tatbestandlichen Voraussetzungen des betreffenden Gestaltungsrechts erstmals in der Berufungsinstanz vorträgt.

Diese Thematik ist vertiefend nachzulesen in ZPO-Kommentierungen wie Musielak/Voit bzgl. § 531 ZPO.

Gerichte wenden das auch richtig an, wie beispielweise das Landgericht Stuttgart, Urteil vom 21.09.2020, Az. 5 S 253/19:

  • Erstinstanzlich entschieden am 16.10.2019
  • Landgericht sieht den Kläger in der Berufung (auf Basis der ersten Abtretung) nicht als aktivlegitimiert an (mündliche Verhandlung am 21.09.2020)
  • Klägerin legt daraufhin neue Abtretung vom 31.08.2020 vor
  • Aktilegitimation wird bestätigt

Auch LG Stuttgart 5 S 87/20 vom 19.11.2020, Zitat: "Die neue Abtretungserklärung war auch zuzulassen und nicht verspätet, da es sich um ein materielles Gestaltungsrecht handelt."