Versicherungsbetrug Kraftfahrt-Haftpflicht: Zweifel an Darstellungen der Versicherer

Ein Kommentar.

Die Kraftfahrt-Haftpflichtversicherer und ihr Gesamtverband der Versicherungswirtschaft erwecken seit Jahren den Eindruck, dass 10 Prozent der Verkehrsunfälle fingiert seien. Das der HUK-Coburg nahestehende Goslar-Institut behauptet nun, dass gar jeder siebte Schaden ein Betrugsfall sei.

Meldung des Goslar-Institutes: https://www.goslar-institut.de/recherche-tipps/recht-versicherung/vorsicht-vor-kfz-versicherungsbetrug/

Zitat:

"Autobumser – diese volkstümliche Bezeichnung für eine spezielle Art von Versicherungsbetrügern hört sich geradezu freundlich an. Doch diese Gauner, die Autounfälle provozieren, um die Versicherung dafür zahlen zu lassen, richten bei den Versicherern Jahr für Jahr Schäden in Millionenhöhe an. (...) Jeder siebte Verkehrsunfall in Deutschland ist fingiert."

Beispiel einer diese These aufgreifenden Pressemeldung dazu: https://reifenpresse.de/2020/06/23/kfz-versicherer-jeder-siebte-verkehrsunfall-ist-fingiert/

Das Bild, dass ca. 15 % aller Unfälle fingiert seien, kann so nicht stehen bleiben. Es erscheint völlig unrealistisch und unglaubhaft.

Warum?

Bei den anzunehmenden mehr als 4 Millionen Haftpflichtschäden in der Kraftfahrtversicherung per anno wären somit Jahr für Jahr ca. 600.000 Unfälle betrügerisch. Der Schwerpunkt darunter müsste bei der fiktiven Abrechnung liegen, denn da lohnt sich das am meisten. Es entspricht in keiner Weise der Erfahrung der mit der Schadenregulierung vertrauten Berufsgruppen wie Sachverständige, Anwälte oder Fuhrparkbetreiber, die eine solch hohe Anzahl an Fällen bemerken müssten. Denn da käme dann ja der leistungsausschließende Hinweis auf den Betrug.

Nirgends ist bisher ersichtlich, auf welche Statistik und welche konkreten Fakten sich diese These der Versicherer stützt. Jedenfalls werden solche Quellen nicht benannt. Es ist daher die Frage zu stellen, welche Kriterien die Versicherer ansetzen, um einen Fall als betrügerisch herbeigeführt anzusehen. Genügt es, dass sie sich ohne jeden Nachweis betrogen fühlen?

Es ist zu vermuten, dass Versicherer nicht nur dann ihre Betrugsfall-Statistik füllen, wenn nachweislich ein Gericht festgestellt hat, dass jemand mit betrügerischer Absicht einen Unfall mit einem Unschuldigen provoziert hat. Ein erheblicher Teil der 600.000 Fälle dürfte auf Streitigkeiten um die Schadenhöhe beruhen. Und das ist völlig ungerechtfertigt. Denn die Versicherer sind es ja selbst, die zumeist einen solchen Streit durch Anspruchskürzungen vom Zaun brechen. Beispielhaft kann die Frage nach Vorschäden genannt werden. Da Versicherer über branchenweite Datenbanken zu Vorschäden verfügen, sind sie häufig über Schäden informiert, die bereits repariert wurden. Kann in solchen Fällen der Fahrzeughalter eine ordnungsgemäße Reparatur des Vorschadens jedoch nicht oder nicht mehr belegen, versäumt er, den Vorschaden anzugeben oder kennt er ihn als Gebrauchtfahrzeugkäufer gar nicht, zahlt der Versicherer nichts und wird den Fall wahrscheinlich - völlig aus der Luft gegriffen - als Betrugsversuch ansehen und archivieren. Bis vor kurzem urteilten sogar Oberlandesgerichte,  dass Versicherer dann nicht zahlen müssten, wenn der Anspruchsteller keine Belege für die ordnungsgemäße Reparatur vorgelegt hat. Diese Rechtsprechung ist inzwischen vom BGH deutlich eingebremst. Aber auch bis dahin waren das keine einen Betrug bestätigenden Urteile, sondern Urteile zur Vortrags- und Beweislast hinsichtlich des neuen Schadens.

Aus welchem Grund werden solche Parolen verbreitet?

Wir leben in Zeiten, in denen aufgrund der Struktur der medialen Verbreitung jeder alles behaupten kann. Versicherer sehen sich als Opfer bzw. Zahlmeister der Nation, und mit der Autobumser-Story können sie verschiedene umstrittene Maßnahmen rechtfertigen. So gibt es eine zentrale Datenbank HIS, in der Anfragen, Schadenmeldungen sowie aus Sicht von Versicherern bestehende Auffälligkeiten eingetragen werden, mit negativen Folgen für die Möglichkeiten von unbescholtenen Verbrauchern, Versicherungsverträge zu behalten oder bei anderen Gesellschaften abzuschließen.

Der andere Aspekt ist, dass Versicherer häufig wegen schlechter Zahlungsmoral und unberechtigten Kürzungen von Schadenansprüchen am Pranger stehen. Das Geschäftsmodell der Versicherer beruht auf Anspruchskürzungen und wird dadurch lukrativ. Die DNA des Haftpflichtversicherers ist eben eine tief verwurzelte Kürzungs- und Verweigerungskultur. Zigtausendfach werden sie jedes Jahr von Gerichten zu Nachzahlungen verurteilt, die jedoch nur erhält, wer hartnäckig und teils auf eigenes Kostenrisiko vor Gericht geht. Da kommt es sehr gelegen, wenn man den Ball an diejenigen zurückspielen kann, die Ansprüche anmelden und sie allgemein als "in einem hohen Prozentsatz als Betrüger" agierend darstellen kann. Denn das berechtigt Versicherer vermeintlich zu Verzögerungen, Hinhaltetaktiken und Kürzungen von eigentlich berechtigten Ansprüchen.