Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 7-16

Amtsgericht Hagen 19 C 404/15 vom 18.12.2015

1. Die Schwackeliste erhält den Vorzug vor der Anwendung der Fraunhofer-Liste.
2. Der BGH gibt keiner Liste den Vorzug.
3. Schwacke-Werte sind ortsnaher und damit korrekter, weil sich der Geschädigte auf den allgemeinen regionalen Markt verweisen lassen muss, den 3-stellige PLZ-Gebiete besser abbilden. Weitere Kritikpunkte sind die Vorbuchungsfrist und die Internetlastigkeit,     die kleinere Anbieter diskreditieren.
4. Internetangebote entstammen einem Sondermarkt. Den Beispielen fehlen Details wie einschränkende Bedingungen, erhebliche Teile der konkret für den Geschädigten relevanten Gesamtleistung und damit das maßgebliche Endergebnis der Preisnennung.
5. Geltend gemachte Kosten liegen im Rahmen der Schwacke-Werte und sind somit zu erstatten.

Zusammenfassung: Das Amtsgericht Hagen spricht restliche geforderte Mietwagenkosten in voller Höhe und weitere Kosten der Reparatur und der außergerichtlichen Rechtsverfolgung zu.

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Amtsgericht Hagen 19 C 404/15 vom 18.12.2015


Urteil


Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 523,94 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.05.2015 nebst außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 78,89 € zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).


Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 523,94 Euro aus §§ 7 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 VVG  zu.

1.
Die Beklagte haftet gegenüber dem Kläger hinsichtlich der Folgen des Unfallgeschehens vom 02.04.2015 auf dem F-Platz in der Dortmunder T-Straße in Hagen dem Grunde nach zu 100 %.

2.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auch in Höhe von 523,94 Euro zu.

a.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung der Mietwagenkosten i.H.v. 381,86 €.

aa.

Der Zeitraum der Anmietung des Fahrzeuges vom 02.04.2015, 13.00 Uhr bis zum 16.04.2015, 11.45 Uhr, ist zwischen den Parteien nicht im Streit und steht im Einklang mit der 14-tägigen Reparaturzeit entsprechend dem Reparaturablaufplan (Bl. 24 d.A.).

bb.

Die Angemessenheit der Mietwagenkosten bemisst sich anhand des Schwacke-Mietpreis-Spiegels von 2014 für das maßgebliche Postleitzahlengebiet 580. Insofern ist der Wohnort des Klägers in 58099 Hagen zugrunde zu legen.

cc.

Der Schwacke-Liste ist der Vorzug vor der Anwendung des Marktpreisspiegels "Mietwagen des Fraunhofer-Institutes" zu geben.

Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH, NJW 2010, 1445) kann der Geschädigte von dem Schädiger nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf den örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarife für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann (vgl. BGH, NJW 2013, 1539). Darüber hinausgehende bei gebotener wirtschaftlicher Betrachtungsweise nicht erforderliche Mietwagenkosten kann der Geschädigte aus dem Blickwinkel der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nur dann ersetzt verlangen, wenn er darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer Normal-Tarif zugänglich war (vgl. BGH, a.a.O.).

Der Normal-Tarif am örtlich relevanten Markt muss nicht durch Sachverständige oder in sonstiger Weise konkret bestimmt werden, sondern kann in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO geschätzt werden. Hierbei können Listen oder Tabellen Verwendung finden, so dass der Normal-Tarif grundsätzlich auch auf der Grundlage der Schwacke-Liste im maßgebenden Postleitzahlengebiet ermittelt werden kann. Der BGH gibt insofern weder der Schwacke-Liste noch der Fraunhofer-Liste als Schätzgrundlage den Vorzug (vgl. BGH, VersR 2013, 330 (331); BGH, VersR 2011, 769).

Nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist der Schwacke-Liste der Vorzug zu gewähren. Denn dieser Liste liegen Ermittlungen in dreistelligen Postleitzahlengebieten zugrunde, so dass die Ergebnisse ortsnaher sind als bei der Fraunhofer-Liste. E ist von entscheidender Bedeutung, weil sich der Geschädigte nur auf den allgemein zugänglichen regionalen Markt verweisen lassen muss (vgl. LG Zweibrücken, Urteil vom 27.05.2014, Aktenzeichen: 3 S 26/13, zitiert nach juris, Rdz. 15). Da die Fraunhofer-Liste in erster Linie auf Internet-Recherchen beruht, verstärkt sich eine Reduzierungswirkung dieser Liste, da die weitgehend auf telefonischen und / oder Internetabfragen beruhenden Werte dazu führen, dass viele kleinere, häufig auch durch geringere Auslastung deshalb teurere örtliche Anbieter nicht erfasst werden. Zudem beruhen die durch die Fraunhofer-Liste ermittelten Preise auf Buchungen eine Woche im Voraus, so dass eine weitere Reduzierungswirkung eintritt. Denn die Buchung im Voraus bewirkt regelmäßig einen günstigeren Tarif und damit wiederum eine Preisverzerrung nach unten (vgl. LG Zweibrücken, a.a.O., zitiert nach juris-Rdz. 16, 17). Zudem berücksichtigt die Schwacke-Liste im Rahmen der Nebenkostentabelle alle möglichen Preisbestandteile, die in der Praxis tatsächlich verlangt werden.

dd.

Die Beklagte hat die Tauglichkeit der Schwacke-Liste als Schätzgrundlage auch nicht durch Vorlage des Internetangebotes erschüttert. Denn das Internet ist ein Sondermarkt, der nicht ohne weiteres mit dem allgemeinen regionalen Mietwagenmarkt vergleichbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 02.02.2010, Aktenzeichen: VI ZR 7/09, zitiert nach juris). So ist den Screenshots der Internetangebote oftmals nicht zu entnehmen, ob die Mietbedingungen der Internetangebote mit denen des vorliegenden Falles auf den örtlichen Mietmarkt bezogenen Bedingungen vergleichbar sind. Anders als in der konkreten Anmietsituation des Klägers ist eine Vorbuchung im Internet regelmäßig mit einer Kostenersparnis verbunden, da dadurch der Verwaltungsaufwand für die Anmietung reduziert wird. Zudem können Nebenleistungen wie Vollkaskoversicherung, Zusatzfahrer, Zustellung / Abholung sehr variabel sein, so dass es auf das maßgebliche Endergebnis des Mietpreises ankommt und nicht auf den Grundmietpreis. Schließlich müssen die vorgelegten günstigeren Alternativangebote mit der konkreten Anmietsituation vergleichbar sein. Die konkrete Anmietsituation setzt sich dabei aus dem Ort der Anmietung, der Anmietdauer, der Fahrzeugklasse, dem Erfordernis der Vorfinanzierung oder des Einsatzes einer Kreditkarte, einer Vorbuchungsfrist und etwaigen Nebenkosten zusammen. Der von der Beklagten in der Klageerwiderung vom 16.11.2015 vorgelegte Screenshot ist insofern nicht geeignet, die Umstände der konkreten Anmietsituation aufzuzeigen. Denn er ist  zeitlich und örtlich nicht vergleichbar, unterliegt der Bedingung einer Internetbuchung und geht von einer feststehenden Mietdauer aus. So beträgt allein der zeitliche Abstand des von der Beklagten vorgelegten Angebotes fast 8 Monate. Da die Internetpreise zum Teil erheblichen Schwankungen unterliegen, können die nachrecherchierten Angebote nur für den Zeitpunkt der Recherche Gültigkeit beanspruchen. Weiter lassen sich dem Internetangebot der Beklagten nicht ohne weiteres die Kosten entnehmen, die sich bei Zusatzleistungen für Sonderausstattungen wie Winterreifen, Navigationssystem, Anhängerkupplung, Zusatzfahrer, Zustellung oder Abholung ergeben. Auch ist nicht ersichtlich, ob eine Vorbuchungsfrist einzuhalten ist und ob eine Vorfinanzierung des Mietpreises durch Hinterlegung einer Kreditkarte oder einer Kaution zu erfolgen hat und ob irgendwelche weiteren Kosten und Auflagen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten sind.

ee.

Die von dem Kläger geltend gemachten Mietwagenkosten halten sich im Rahmen der Schwacke-Liste 2014. Das arithmetische Mittel des Normaltarifes für eine Woche bei der Klasse 6 im Postleitzahlengebiet 580 beträgt danach 497,01 €. Bei 2 Wochen ergibt sich abzüglich einer Eigenersparnis von 3% ein Betrag i.H.v. 964,20 €. Hinzuzurechnen ist ein Aufschlag von 20% für unfallspezifische Besonderheiten, so dass sich ein Betrag i.H.v. 1.157,04 € ergibt.

Der von dem Kläger geltend gemachte Betrag i.H.v. 978,32 € brutto liegt darunter. Abzüglich des von der Beklagten gezahlten Betrages i.H.v. 596,46 € verbleibt also noch ein Betrag i.H.v. 381,86 €, der von der Beklagten noch zu erstatten ist.

b) Darüber hinaus hat die Beklagte dem Kläger einen weiteren Betrag i.H.v.142,08 € zu erstatten, weil die Kürzung der Reparaturkosten in dieser Höhe nicht gerechtfertigt ist. Die Kosten für eine Probefahrt i.H.v. 29,85 €, für die Reinigung des Fahrzeugs i.H.v. 9,95 und für die Hilfestellung gegenüber dem Sachverständigen sind erforderlich, zumal die beiden ersten Positionen in dem von dem Kläger eingeholten Gutachten enthalten sind und damit seitens eines Gutachters als unfallbedingt notwendig und erforderlich angesehen wurden und die Beklagte in diesem Rechtsstreit keinerlei Einwendungen gegen die vorgenannten Positionen erhebt.

II.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ferner ein Anspruch auf Zahlung von 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 06.05.2015  aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB zu. Denn der Kläger hat die Beklagte mit Schreiben vom 28.04.2015 zur Zahlung unter Fristsetzung bis zum 05.05.2015 aufgefordert.

III.

Ferner steht dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten i.H.v. 78,89 € zu. Ausgehend von einem berechtigten Gegenstandswert i.H.v. 7.242,20 € errechnen sich bei einer 1,3 Geschäftsgebühr i.H.v. 592,80 € zzgl. der Pauschale gem. Nr. 7002 VV RFG i.H.v. 20,00 € zzgl. 19% MwSt. ein Betrag i.H.v. 729,23 € brutto. Abzüglich der von der Beklagten erbrachten Zahlung i.H.v. 650,34 € verbleibt ein noch zu erstattender Betrag i.H.v. 78,89 €.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Der Streitwert wird auf 523,94 EUR festgesetzt.

 

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Bedeutung für die Praxis: Das Amtsgericht wendet allein die Schwackeliste an und begründet das BGH-konform. Gerade weil die Fraunhoferliste und der Vortrag der Haftpflichtversicherung mittels Internetscreenshots die konkrete Anmietsituation des Geschädigten ausblenden, ist die Anwendbarkeit der Schwackeliste nicht erschüttert.