BGH: Freie Anwaltswahl verträgt sich mit finanzieller Steuerung zu Vertragsanwälten

Da Anwälte auch Unternehmer sind, wird allgemein unterstellt, dass sie nicht immer und in jedem Fall nur und ausschließlich das Wohl ihres Mandanten im Blick haben. Das dürfte vor allem dann zutreffend sein, wenn ein Anwalt sehr viele Mandanten von einem einzigen Versicherer vermittelt bekommt. Im Fall von Rechtsschutzversicherern liegt das für viele auf der Hand, die sich mit Verkehrsrecht und der Unfallschadenregulierung befassen. Die Frage dahinter lautet: Bekommt der Rechtsuchende einen Anwalt, der sich nur für ihn einsetzt oder statt dessen einen Anwalt, der auch das Wohl des Vermittlers im Blick behalten muss, um die zukünftig noch zu vermittelnden Mandate nicht zu gefährden?

Für Unfallopfer besteht grundsätzlich die freie Anwaltswahl. Doch stehen die späteren Mandanten bei der Wahl ihres Rechtsvertreters mangels eigener Erfahrung in der Regel wie der Ochs vorm Berg und erhalten - das ist die Spezialität der Angelegenheit - in vielen Fällen einen finanziellen Anreiz von dem Versicherer, der das am Ende bezahlen wird. Es möge doch einen bestimmten Anwalt  beauftragen, den dieser Versicherer ausgesucht hat. Dann soll also der HUK-Rechtsschutz-Anwalt gegen die HUK-Versicherung so viel wie möglich an Schadenersatz durchsetzen (andere Beispiele sind ebenso denkbar, z.B. der AdvoCard-vermittelte Anwalt gegen die Generali-Versicherung). 

Der BGH hat nun entschieden, dass den Versicherern diese Anreizsysteme nicht verboten werden könne. Den Mandanten sei das zuzumuten. Die freie Anwaltswahl steht diesem Steuerungsmodell nicht entgegen. Solange die Grenze des "unzulässigen psychischen Drucks" nicht überschritten wird. Psychischer Druck ist erlaubt, unzulässiger psychischer Druck ist eine überschrittene Grenze, aha.

Die Rechtsanwaltskammer, die die freie Anwaltswahl schützen wollte, ist mit ihrer Klage gescheitert.

 

Es liegt nun an den Anwälten selbst - sofern sie bekannt werden - Problemfälle zu sammeln. Das sind Fälle, die belegen können, dass sich die von Steuerungssystemen begünstigten Anwaltskanzleien nicht ausschließlich den Interessen ihrer Mandanten verpflichtet fühlen. Mit diesen Belegen für anwaltliches Fehlverhalten, sofern sie beizubringen sind, kann auf den Gesetzgeber zugegangen werden, geänderte nationale oder europäische Regelungen zu erlassen. Ein langer, aber wohl der einzige Weg, den steigenden Einfluss der Versicherer auf den Prozess und damit auf das Ergebnis der Schadenregulierung zu stoppen.

BGH zur Wirksamkeit eines mit einer Anwaltsempfehlung verbundenen Schadensfreiheitssystems mit variabler Selbstbeteiligung in der Rechtsschutzversicherung, Urteil vom 4.12.2013 – IV ZR 215/12