Warum die Argumentation des LG Duisburg zur Verwendung der Fraunhoferliste nicht trägt und zu einem Fehlurteil führte.

Das Landgericht Duisburg hat mit Urteil 5 S 74/11 vom 23.2.12 die Mietwagenkosten mittels Fraunhoferliste geschätzt. Dabei ging das Gericht davon aus, dass die vom Kläger vorgetragenen Argumente gegen die Verwendbarkeit der Fraunhoferliste nicht tragen.

Hier soll der Versuch unternommen werden, einen aktuellen Preis eines Internetanbieters aus der Region dagegen zu stellen und die Argumente des Gerichtes für die Verwendbarkeit der Fraunhoferliste zu beleuchten.

Derzeit kann man einen Mercedes Benz B-Klasse (gelistet ab Schwacke-Mietwagenklasse 5) bei der Firma Europcar buchen für 713,33 Euro pro Woche.
(mit 48h Vorbuchungsfrist, im Internet, mit Kreditkartenbedingung, weitere Versicherungen noch buchbar, Zusatzfahrer nicht enthalten, Einschränkungen wegen Alter des Fahrers)

Demgegenüber behauptet die Fraunhoferliste in den vorliegenden Ausgaben sogar für die nächsthöhere Fahrzeuggruppe 6 im PLZ-Gebiet 4, dass
in der Ausgabe 2009 ein Mittelwert aus 174 Nennungen von 323,27 Euro und ein Maximalwert von 523 Euro festzustellen gewesen sei;
in der Ausgabe 2011 ein Mittelwert aus 169 Nennungen von 273,97 Euro und ein Maximalwert von 651 Euro festzustellen gewesen sei.

Das lässt die Schlussfolgerung zu, dass es dem Autor dieses Beitrages auf Anhieb gelungen ist, nicht nur einen im Vergleich zu dem vom LG Duisburg als korrekt empfundenen Fraunhofer-Mittelwert ca. doppelt so hohen Preis eines Fahrzeuges zu finden, sondern dass dieser auch noch oberhalb der Werte liegt, die Fraunhofer in 2009 und 2011 überhaupt JEMALS festgestellt haben will, obwohl ich eine Klasse tiefer recherchiert habe und noch weitere relevante Kosten in meinem Preis nicht inbegriffen sind.

Dass da etwas nicht stimmen kann, scheint offensichtlich. Insofern liegt die Schlussfolgerung nahe, sich noch einmal mit den Argumenten zu befassen, die das Landgericht als absurd zurückgewiesen hat. Das Gericht meinte, Zitat aus dem Urteil: 

"Der Heranziehung der Fraunhofer-Liste stehen auch nicht die vom Kläger vorgebrachten vermeintlichen Schwächen oder Nachteile dieser Erhebung entgegen. Wie bereits ausgeführt, legt der Kläger keine konkreten Tatsachen dar, die die Fraunhofer-Liste als konkret ungeeignet erscheinen lassen. Unabhängig davon, lassen diese Argumente die Schwacke-Liste aber auch nicht abstrakt als bessere Ausgangsbasis für die Schätzung erscheinen:
• Die vom Kläger angesprochenen Neutralitätszweifel gegenüber der Fraunhofer-Liste gelten mit anderem Vorzeichen auch für die Schwacke-Liste.
• Die Ausführungen zum Anmietzeitraum vor 2008 liegen für den hier zu entscheidenden Fall neben der Sache.
• Die Beschränkung eines Teils der Erhebung (Interneterhebung) auf sechs große Autovermieter ist kein allgemeines Manko, sondern wäre nur dann im konkreten Fall problematisch, wenn der Kläger darlegen könnte, dass eine Preisermittlung unter Einbeziehung kleinerer Anbieter niedrigere Preise ergäbe oder dass die sechs großen Autovermieter auf dem relevanten örtlichen Markt keine Mietwagen anbieten.
• Internettarife sind für die Schadensschätzung nicht generell untauglich, da die Berücksichtigung dieser Erhebungsmethode noch nicht impliziert, dass der Geschädigte auch über das Internet anmieten muss. Im konkreten Fall mag der Nachweis geführt werden, dass auf dem örtlichen Markt ohne Berücksichtigung von Internettarifen nur höhere Anmietpreise angeboten werden.
• Der langen Vorbuchungszeit von einer Woche ist bei Anwendung der Fraunhofer-Liste im konkreten Einzelfall durch einen vom Anmietzeitpunkt abhängigen Aufschlag angemessen zu begegnen. Einen ersten Anhaltspunkt mag dabei die zu dieser Frage erhobene Statistik der Fraunhofer-Liste geben (Fraunhofer 2009, S. 97), wobei die Kammer jedoch davon ausgeht, dass deutlich größere Zuschläge als dort ausgewiesen zu machen sind.
• Die fehlende Ermittlung von Nebenkosten macht die Preisermittlung zu den Grundpreisen nicht unbrauchbar. Für die Nebenkosten ist gegebenenfalls auf andere Schätzgrundlagen zurückzugreifen. Dass die niedrigeren Grundpreise der in die Fraunhofer-Liste eingeflossenen Angebote auch darauf beruhen könnten, dass eine „Quersubventionierung“ über höhere Nebenkosten erfolgt, wurde bislang nicht nachgewiesen.
• Der örtliche relevante Markt wird jedenfalls im Bezirk des Landgerichts Duisburg hinreichend durch die Fraunhofer-Liste abgebildet. Neben der Erfassung zweistelliger Postleitzahlen-Bereiche werden auch Zahlen für die Stadt Duisburg erhoben. Die Auswertung nur des arithmetischen Mittelwertes durch die Fraunhofer-Studie ist im Rahmen der ohnehin sehr groben Schätzgenauigkeit beider Listen hinnehmbar. Anders als der Kläger meint, steht dem auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29.04.2003 (VI ZR 398/02, „Porsche“) nicht entgegen. Der dort aufgestellte Rechtssatz, dass der im Rahmen der Reparatur eines Unfallwagens anzusetzende Stundenverrechnungssatz nicht mittels statistischer Methoden ermittelt werden darf, ist auf die Frage der Mietwagenkosten nicht übertragbar und würde im Übrigen nicht nur der Anwendung der Fraunhofer-, sondern auch der Anwendung der Schwacke-Liste die Grundlage entziehen.
• Das auf die Einordnung in Fahrzeugklassen zielende Argument des Klägers ist seit der Fraunhofer-Liste 2009 überholt, die gleichermaßen ACRISS- und Schwacke-Klassifikationen ausweist.
Ausgehend von der unstreitigen Fahrzeugklasse 6 steht dem Kläger nach Schätzung der Mietwagenkosten anhand der Fraunhofer-Liste des Jahres 2009 kein über 1.105 Euro hinausgehender Schadensersatz zu."


Was lässt sich dazu sagen (Argumente des Gerichtes und Kommentierungen):


• Die vom Kläger angesprochenen Neutralitätszweifel gegenüber der Fraunhofer-Liste gelten mit anderem Vorzeichen auch für die Schwacke-Liste.

Der von mir im Internet rechechierte Preis spricht eher für die Richtigkeit der Schwackeliste, denn die dortigen Werte stimmen mit diesem Preis nahezu überein. Da Internetpreise tendentiell als günstiger und nur unter Sonderbedingungen gültig erscheinen, untermauert das nochmals die Korrektheit und die von Schwacke behauptete Neutralität der Datenerhebung.

Das Argument des Gerichtes trägt nicht und ist sowieso nur eine Vermutung ohne faktischen Hintergrund. Dass die Fraunhoferliste auf Initiative der Versicherer geboren wurde, ist allgemein bekannt und zugestanden.

• Die Ausführungen zum Anmietzeitraum vor 2008 liegen für den hier zu entscheidenden Fall neben der Sache.

Kein Kommentar.

• Die Beschränkung eines Teils der Erhebung (Interneterhebung) auf sechs große Autovermieter ist kein allgemeines Manko, sondern wäre nur dann im konkreten Fall problematisch, wenn der Kläger darlegen könnte, dass eine Preisermittlung unter Einbeziehung kleinerer Anbieter niedrigere Preise ergäbe oder dass die sechs großen Autovermieter auf dem relevanten örtlichen Markt keine Mietwagen anbieten.

"... niedrigere Preise ergäbe..."? Das verstehe wer will.

Aber das ist auch dann ein Manko, wenn Zweifel dadurch naheliegen, dass Internetpreise weit über den von Fraunhofer behaupteten Preisen vorliegen? Das ist hier der Fall, wie die recherchierten Werte zeigen.

• Internettarife sind für die Schadensschätzung nicht generell untauglich, da die Berücksichtigung dieser Erhebungsmethode noch nicht impliziert, dass der Geschädigte auch über das Internet anmieten muss. Im konkreten Fall mag der Nachweis geführt werden, dass auf dem örtlichen Markt ohne Berücksichtigung von Internettarifen nur höhere Anmietpreise angeboten werden.

Das ist falsch. Dieser Betrag gilt nur (neben weiteren Einschränkungen) sofern die Buchung im Internet verfolgt. Das ist klar in den Bedingungen ersichtlich. Es ist nicht nachvollziehbar, wie sich das Gericht auf eine solche Aussage versteifen kann.

Das Gericht macht es sich dann auch in der Folge zu leicht, dem Kläger aufzugeben, den Nachweis zu führen, dass Internetpreise nicht billiger sind.

• Der langen Vorbuchungszeit von einer Woche ist bei Anwendung der Fraunhofer-Liste im konkreten Einzelfall durch einen vom Anmietzeitpunkt abhängigen Aufschlag angemessen zu begegnen. Einen ersten Anhaltspunkt mag dabei die zu dieser Frage erhobene Statistik der Fraunhofer-Liste geben (Fraunhofer 2009, S. 97), wobei die Kammer jedoch davon ausgeht, dass deutlich größere Zuschläge als dort ausgewiesen zu machen sind.

Die lange Vorbuchungsfrist ist eine Frage des Preises UND eine Frage der Verfügbarkeit. Das siehe Aufsatz Niemann/Yusfi/Neidhard. Ein solcher Aufschlag wird den tatsächlichen Gegebenheiten bzgl. Preis und Verfügbarkeit in keinerlei Weise gerecht.
Richtig wäre:
Nur Angebote sind relevant, die für den Mieter allgemein zugänglich (Internet, Kreditkarte, Angebieter im regionalen Markt vorhanden,..) und auch verfügbar (z.B. eine Frage der Vorbuchungsfrist) sind.

• Die fehlende Ermittlung von Nebenkosten macht die Preisermittlung zu den Grundpreisen nicht unbrauchbar. Für die Nebenkosten ist gegebenenfalls auf andere Schätzgrundlagen zurückzugreifen. Dass die niedrigeren Grundpreise der in die Fraunhofer-Liste eingeflossenen Angebote auch darauf beruhen könnten, dass eine „Quersubventionierung“ über höhere Nebenkosten erfolgt, wurde bislang nicht nachgewiesen.

Der Nachweis ist erfolgt, so zum Beispiel zu verfolgen in Urteilsbegründungen des OLG Köln und in Veröffentlichungen auf der BAV-Seite, wie: Nebenkosten und Bedingungen.

• Der örtliche relevante Markt wird jedenfalls im Bezirk des Landgerichts Duisburg hinreichend durch die Fraunhofer-Liste abgebildet. Neben der Erfassung zweistelliger Postleitzahlen-Bereiche werden auch Zahlen für die Stadt Duisburg erhoben. Die Auswertung nur des arithmetischen Mittelwertes durch die Fraunhofer-Studie ist im Rahmen der ohnehin sehr groben Schätzgenauigkeit beider Listen hinnehmbar. Anders als der Kläger meint, steht dem auch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29.04.2003 (VI ZR 398/02, „Porsche“) nicht entgegen. Der dort aufgestellte Rechtssatz, dass der im Rahmen der Reparatur eines Unfallwagens anzusetzende Stundenverrechnungssatz nicht mittels statistischer Methoden ermittelt werden darf, ist auf die Frage der Mietwagenkosten nicht übertragbar und würde im Übrigen nicht nur der Anwendung der Fraunhofer-, sondern auch der Anwendung der Schwacke-Liste die Grundlage entziehen.

Das Gericht interpretiert die BGH-Rechtsprechung nach unserer Auffassung falsch. Aber dieser Teil ist hier eher nebensächlich.

• Das auf die Einordnung in Fahrzeugklassen zielende Argument des Klägers ist seit der Fraunhofer-Liste 2009 überholt, die gleichermaßen ACRISS- und Schwacke-Klassifikationen ausweist.
Ausgehend von der unstreitigen Fahrzeugklasse 6 steht dem Kläger nach Schätzung der Mietwagenkosten anhand der Fraunhofer-Liste des Jahres 2009 kein über 1.105 Euro hinausgehender Schadensersatz zu.

Hier wird das Argument der Klägerseite falsch interpretiert. Es geht um die Einordnung der Fahrzeuge, die im Internet recherchiert wurde. Fraunhofer weist diese in Acriss- und in Schwacke-Klassen aus, doch ist das nicht nachvollziehbar und schon theoretisch nicht möglich. Das Gericht hätte der Frage nachgehen müssen, WIE die Schwacke-Klassifikation entstanden ist, denn diese richtet sich nach Anschaffungspreis, Motorisierung, Einbauten...  Schon aus diesem Grund sind die vom Gericht herangezogenen Werte willkürlich und keine brauchbare Grundlage. Denn das Gericht hat die Schwacke-Klassen für seine Schätzung verwendet.

Für den Fall, den die 5. Kammer des Landgerichtes hier entschieden hat, hätte das bedeutet, dass unter Heranziehung selbst eines Preises unter Internetbdingungen die Forderung der Kläger zuzusprechen gewesen wäre.