Ergebnisse des 61. Verkehrsgerichtstages in Goslar

Der Verkehrsgerichtstag diskutiert jährlich die aktuellen Rechtsthemen des Straßen-, Schiffs- und neuerdings auch Luftverkehrs. Die Themen in diesem Jahr lauteten:

Arbeitskreis I:     Fahrzeugdaten
Arbeitskreis II:    Halterhaftung bei Verkehrsverstößen: Ein Beitrag der Verkehrssicherheit?
Arbeitskreis III:   KI-Haftung im Straßenverkehr/ Haftung beim autonomen Fahren
Arbeitskreis IV:   Reparaturkostenersatz beim Haftpflichtschaden  
Arbeitskreis V:   Auf der Suche nach geltenden und erforderlichen Grenzen für E-Scooter, Fahrräder & Co.
Arbeitskreis VI:   Meldepflicht für Ärztinnen und Ärzte von fahrungeeigneten Personen?
Arbeitskreis VII:  Fahrtenbuchauflage – Halterhaftung durch die Hintertür?
Arbeitskreis VIII: Der schmale Grat zwischen Fehler und Verstoß im Luftverkehr („Just Culture“)

Besonders interessant sind die Themen Fahrzeugdaten, Halterhaftung, Fahrzeugreparatur und Fahrtenbuchauflage. Daher hier zu den Arbeitskreisen I,II, IV und VII weitere Informationen:

 

AK I:

Zum Thema Fahrzeugdaten des Arbeitskreises I lässt sich sagen, dass die Versicherer seit Jahren darum kämpfen, die Daten der Nutzung und des Betriebes von Fahrzeugen wie erstrangig zur Verfügung gestellt zu bekommen. Sie wollen wie der Hersteller und der Nutzer des Fahrzeuges Zugriff auf die Kommunikationsdaten, Zustandsdaten, Bewegungsdaten insoweit haben, dass sie im Schadenfall ihre Interessen wahrnehmen können. Die HUK-Coburg hat extra ein spezielles Institut "Goslar Diskurs" gegründet, um alljährlich in einer ausgesuchten Expertenrunde ihre Interessen wahrzunehmen.

Die Sicht des Fahrers darf nicht aus den Blick geraten, denn es geht um seine Datenhoheit und um ihn selbst. Bereits heute muss man feststellen, dass der, um den es sich beim Datenschutz dreht, nicht viel darüber weiß und regeln kann, was mit seinen Daten bei der Nutzung des Kfz geschieht. Es ist für ihn auch nicht gerade leicht, denn zur Transparenz ist es ein weiter Weg in Bezug auf Bewegungsprofile, Startorte, Daten zum Nutzungsverhalten usw. Letztlich hat er heute die Zügel nicht selbst in der Hand. Wer ein Auto fährt, muss Einbußen beim Datenschutz wohl hinnehmen. Das wollen sich auch Kfz-Versicherer zu Nutze machen.

Der Arbeitskreis sieht den Verbraucher/Fahrer als Entscheider über den Zugriff durch Dritte. Heute sind es eher die Hersteller, die exklusiv auf Daten zugreifen können. Der Gesetzgeber solle eine Regelung finden zur Freigabe durch den Betroffenen. In der Folge wird es eine Frage des Preises sein, wie zum Beispiel "günstige Versicherung..., wenn Du uns die Daten gibst" (oder gar günstigere Fahrzeugfinanzierung, wenn Du statt dessen nur uns - Hersteller- die Daten gibst?).

Der AK gibt weitere Empfehlungen ab zur Unfallrekonstruktion und Zugriffen von Polizei und Justiz.

Empfehlungen des AK I

Fahrzeugdaten

1. Der Arbeitskreis begrüßt das Ziel des EU Data Acts, die Daten vernetzter Produkte Verbrauchern und Unternehmen zu gleichen Bedingungen zur Verfügung zu stellen und damit die Innovation und den fairen Wettbewerb zu ermöglichen.

2. Der Zugang zu den Fahrzeugdaten bedarf allerdings unverzüglich einer sektorspezifischen Lösung auf EU-Ebene.

3. Die Bundesregierung wird aufgefordert, ein Konzept vorzulegen, das den technischen
Zugang zu den Fahrzeugdaten für die Nutzenden sowie berechtigte Dritte regelt und die
Interessen von Verbrauchern, Wirtschaft, Forschung und Öffentlichkeit angemessen berücksichtigt. Der Arbeitskreis empfiehlt den exklusiven technischen Zugriff der Hersteller
auf die Fahrzeugdaten in ein anderes Modell zu überführen (z. B. Treuhänderlösung,
SOTP), bei dem der Hersteller gleichberechtigt wie andere Dritte behandelt wird.

4. Über die Freigabe der Fahrzeugdaten muss grundsätzlich der Datengenerierende entscheiden können (Datenhoheit). Die Regelung muss den fairen Wettbewerb, Innovation
und die Wahlfreiheit von Fahrzeugnutzenden sicherstellen. Dazu ist u.a. eine Standardisierung der Daten und des Datenzugriffs vorzunehmen, mit der die Datenverwendung
ermöglicht wird. Dabei sind Datenschutz, Datensicherheit und Sicherheit im Straßenverkehr Rechnung zu tragen.

5. Das Konzept hat auch sicherzustellen, dass Polizei und Justiz im Rahmen ihrer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen Zugriff auf Fahrzeugdaten gewährt wird.

6. Der Arbeitskreis empfiehlt, die General Safety Regulation (EU 2019/2144) zeitnah anzupassen, dass der Event-Data-Recorder auch Standort, Datum und Uhrzeit nebst Zeitzone für die Durchführung von Unfallanalysen speichert.

 

AK II:

Zur Frage der Halterhaftung gab es keine diesbezüglich eindeutige Empfehlung. Doch bedeuten die formulierten Empfehlungen trotzdem eine Aufweichung, deren Umsetzung zudem schwierig erscheint. Der Halter soll mit Verfahrenskosten belegt  werden können und es wird laut über eine Halterhaftung mit der Möglichkeit sich zu entlasten nachgedacht.

Davor ist aus Sicht der Vermieter von Fahrzeugen zu warnen, denn sie sind häufig nicht in der Lage, den konkreten Fahrer zu benennen.

Empfehlungen des AK II

Halterhaftung bei Verkehrsverstößen: Ein Beitrag der Verkehrssicherheit?

1. Der Arbeitskreis stellt fest, dass der verfassungsrechtliche Rahmen in Deutschland angesichts der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Einführung einer umfassenden Halterverantwortlichkeit für Verkehrsverstöße entgegensteht. Auch durch Europarecht kann eine solche jedenfalls für Deutschland nicht begründet werden.

2. Am Erfordernis der Fahrerermittlung ist festzuhalten, da dies ganz wesentlich der Verkehrssicherheit dient.

3. Um die Ermittlung des verantwortlichen Fahrers besser gewährleisten zu können, empfiehlt der Arbeitskreis eine Verlängerung der Verfolgungsverjährungsfrist bei Verstößen nach § 24 StVG von drei auf sechs Monate.

4. Zugleich anerkennt der Arbeitskreis, dass das derzeitige System der ausschließlichen Fahrerverantwortlichkeit den praktischen Erfordernissen nicht vollumfänglich genügt.

5. Um Defizite für den Fall zu minimieren, dass der Fahrer nicht ermittelt werden kann, fordert der Arbeitskreis den Gesetzgeber auf, die Einführung einer Halterverantwortlichkeit im Verwarnungsbereich mit Exkulpationsmöglichkeit (z. B. Fahrerbenennung) zu prüfen.

6. Darüber hinaus ist die Einführung einer bußgeldbewehrten Fahrerbenennungspflicht
durch den Halter in Betracht zu ziehen, zumindest aber die Verpflichtung des Fahrzeughalters zur Tragung der tatsächlich anfallenden Kosten des Verwaltungsverfahrens auch im fließenden Verkehr (analog § 25a StVG).

 

AK IV:

Das Thema lautete Reparaturkostenersatz beim Haftpflichtschaden. Die Versicherer haben alles gegeben, am Ende waren die Vertreter der Verbraucher / Geschädigten anscheinend doch zahlreicher vertreten. Im Ergebnis bleibt erst einmal alles wie gehabt, jedenfalls was die Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages betrifft. Es ging um nicht weniger als die 130 %-Grenze bei der Fahrzeugreparatur und um das Werkstattrisiko. Das heißt, es ging um die Frage, ob der Geschädigte dafür gerade stehen muss, wenn der von ihm beauftragte Dienstleister (für den Geschädigten selbst nicht erkennbar) Fehler macht oder zu hoch abrechnet. Im Gespräch waren eine Einschränkung auf 100 Prozent der Reparatur oder zumindest auf privat genutzte Fahrzeuge.

Inwiefern der BGH in zukünftigen Entscheidungen Richtungsänderungen im Auge hat, wird man sehen müssen. Die Diskussion wird jedenfalls in Gerichtsverfahren bis zum BGH fortgesetzt werden.

Empfehlungen des AK IV

Reparaturkostenersatz beim Haftpflichtschaden

1. Der Arbeitskreis hält das in der Rechtsprechung zum Reparaturkostenersatz entwickelte 4-Stufen-Modell grundsätzlich für sachgerecht. Dies gilt auch für die sog. 130-%-Rechtsprechung (3. Stufe), wonach der Geschädigte sein Fahrzeug auch dann reparieren lassen darf, wenn die Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs bis zu 30 % übersteigen. Hierdurch wird ein gerechter Ausgleich zwischen den Interessen des Geschädigten und des Schädigers bzw. dahinterstehenden Haftpflichtversicherers erreicht. Insbesondere wird vermieden, dass der Geschädigte mit Schwierigkeiten und Risiken konfrontiert ist, die mit der Ersatzbeschaffung verbunden sind.
Dem Risiko eines Missbrauchs der 130-%-Rechtsprechung ist im Einzelfall Rechnung zu tragen.

2. Dem Schädiger/Haftpflichtversicherer steht grundsätzlich ein Überprüfungsrecht hinsichtlich der vom Geschädigten geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu.
Der Schädiger/Haftpflichtversicherer hat jedoch das Werkstatt- und Prognoserisiko zu tragen. Ein eventueller Streit über die Höhe der Reparaturkosten ist im Verhältnis zwischen Schädiger und Werkstatt bzw. Sachverständigem auszutragen. Sofern den Geschädigten kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden trifft, kann sein Schadensersatzanspruch daher nicht wegen einer möglicherweise überhöhten Reparaturrechnung
gekürzt werden. Der Geschädigte hat in der Regel eventuelle Ansprüche gegenüber der
Werkstatt bzw. dem Sachverständigen abzutreten.

 

AK VIII: 

Der Arbeitskreis VII hat zum Thema Fahrtenbuchauflage wohl über ein nachvollziehbares Ziel hinausgeschossen. Nach Auffassung der Experten solle es IMMER dann, wenn der Lenker bzw. Verursacher eines punkte-relevanten Verstoßes nicht ermittelt werden kann (Grund dafür nicht von Bedeutung, unerheblich, ob der Halter kooperierte), eine Fahrtenbuchauflage gegen den Halter geben.

Für Autovermieter würde das bedeuten, dass sie immer wieder in Abhängigkeit vom Verhalten allein des Mieters im Zusammenhang mit der Fahrerermittlung mit Fahrtenbuchauflagen belegt würden, obwohl sie selbst nicht gefahren sind und es nicht in der Hand haben, ob der Fahrer ermittelt wird. Wirtschaftlich würde es bedeuten, dass sie ein Fahrzeug ihres Fuhrparks für die Dauer der Auflage nicht vermieten könnten.

Wortlaut des heutigen § 31a StVZO:

(1) Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Die Verwaltungsbehörde kann ein oder mehrere Ersatzfahrzeuge bestimmen.

(2) Der Fahrzeughalter oder sein Beauftragter hat in dem Fahrtenbuch für ein bestimmtes Fahrzeug und für jede einzelne Fahrt
1.     vor deren Beginn
    a)        Name, Vorname und Anschrift des Fahrzeugführers,
    b)        amtliches Kennzeichen des Fahrzeugs,
    c)        Datum und Uhrzeit des Beginns der Fahrt und
2.    nach deren Beendigung unverzüglich Datum und Uhrzeit mit Unterschrift einzutragen.

(3) Der Fahrzeughalter hat
a)            der das Fahrtenbuch anordnenden oder der von ihr bestimmten Stelle oder
b)            sonst zuständigen Personen
das Fahrtenbuch auf Verlangen jederzeit an dem von der anordnenden Stelle festgelegten Ort zur Prüfung auszuhändigen und es sechs Monate nach Ablauf der Zeit, für die es geführt werden muss, aufzubewahren.

Der Deutsche Anwaltverein hatte im Vorfeld noch gemeint: "Die DAV-Verkehrs­rechts­anwält:innen halten den Sinn und Zweck einer Fahrten­buch­auflage generell schon bereits für fraglich." Nun war man aber einhellig der Meinung, dass es andersherum gehen soll. Anstatt durch die Hintertür, wird hier also eine Halterhaftung durch die Vordertür empfohlen, zumindest für einen Wiederholungsfall und bei Punkterelevanz.

Für den Bundesverband der Autovermieter bedeutet das, der Politik die Folgen für die Unternehmen der Branche zu verdeutlichen, falls der Gesetzgeber das Thema regeln wollte. Empfehlungen des Verkehrsgerichtstages sind kein Gesetz, nur ein Denkanstoß und dem muss nun ggf. gegengesteuert werden. Ein Argument wird die Berufsfreiheit sein, ein zweites die Frage, ob die Fahrtenbuchauflage gegen Autovermieter eine geeignete Regelung im Sinne des Gesetzgebers ist, das Ziel der Erhöhung der Verkehrssicherheit zu erreichen.

Empfehlungen des AK VII

Fahrtenbuchauflage – Halterhaftung durch die Hintertür

Der Arbeitskreis empfiehlt eine Änderung des § 31a Abs. 1 StVZO durch den Verordnungsgeber.

Der Arbeitskreis schlägt einvernehmlich vor, bindend bei erstmaligem punkterelevantem Verstoß dem Fahrzeughalter die Führung eines Fahrtenbuchs anzudrohen, wenn der Verantwortliche trotz der gebotenen Ermittlungen nicht festgestellt werden konnte. Im Wiederholungsfall kann binnen 15 Monaten ab dem Tattag des zur Androhung führenden Verstoßes eine Fahrtenbuchauflage angeordnet werden (Ermessensentscheidung).

Dies soll sicherstellen, dass die derzeit regional höchst unterschiedliche Anwendung der geltenden Norm künftig zu einer einheitlichen Anwendung der Vorschrift führen wird. Ergänzend sollte eine effiziente Durchführbarkeit sowie eine wirksame Kontrolle der Einhaltung
der Fahrtenbuchauflage sichergestellt werden.