Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 37-17

Amtsgericht Goslar 4 C 364/16 vom 31.08.2017

1. Ein Verstoß des Geschädigten gegen seine Pflicht zur Geringhaltung des Schadens nach § 254 BGB liegt nicht vor. Das Telefonat mit der Information zu einem konkreten Tagespreis bei einem Anbieter ist kein verbindliches Angebot.
2. Zur Schätzung der erforderlichen Mietwagenkosten kann der Mittelwert der Listen von Schwacke und Fraunhofer herangezogen werden.
3. Ein Abweichen kann gerechtfertigt sein, wenn eine der Streitparteien konkrete Tatsachen aufzeigt, die eine der beiden Methoden als vorzugswürdig kennzeichnen. Das ist hier nicht ersichtlich.
4. Von der Beklagten vorgelegte Internetangebote sind nicht vergleichbar, weil sie aus einem anderen Zeitraum stammen und keine vergleichbare Leistung beinhalten.
5. Zum Ausgleich der ersatzfähigen Forderungen gehören ebenso Kosten für Nebenleistungen wie Haftungsreduzierung, Zusatzfahrer sowie Zustellen und Abholen des Fahrzeuges. 

Zusammenfassung: Das Amtsgericht Goslar wendet zur Schätzung des Grundpreises der erstattungsfähigen Mietwagenkosten den Mittelwert der Listen an. Die Kosten für Nebenleistungen werden mit Schwacke geschätzt und vollständig zugesprochen. Ein Eigenersparnisabzug bei klassengleicher Vermietung wird mit 5 Prozent bemessen. Der Vorwurf des Versicherers, der Geschädigte hätte nach einem Telefonat das empfohlene Fahrzeug annehmen müssen, wird zurückgewiesen.

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Amtsgericht Goslar 4 C 364/16 vom 31.08.2017


Im Namen des Volkes

 

URTEIL

 

In dem Rechtsstreit

XXX

gegen

XXX


hat das Amtsgericht Goslar auf die mündliche Verhandlung vom 27.07.2017 durch die Richterin XXX für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 222,03 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.06.2016 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5. Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf die Stufe bis 500,00 EUR.

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO verzichtet.

Entscheidungsgründe

I.

Der Kläger hat aus abgetretenem Recht einen Anspruch auf Zahlung von 222,03 EUR gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG i. V. m. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, §§ 398 ff. BGB gegen die Beklagte. Die alleinige Haftung der Beklagten hinsichtlich des Verkehrsunfalls vom 14.04.2016 ist unstreitig, so dass sie gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Ersatz der zur Schadensbeseitigung erforderlichen Kosten schuldet.

1.

Zu einem erstattungsfähigen Schaden nach einem Verkehrsunfall gehören nach ständiger Rechtsprechung auch die Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges für die Dauer der erforderlichen Reparatur des geschädigten Kraftfahrzeuges. Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB sind einem Geschädigten Mietwagenkosten jedoch nur insoweit zu ersetzen, als sie zur Schadensbeseitigung erforderlich waren. Nach erfolgter, zulässiger Abtretung des Anspruchs auf Ersatz der Mietwagenkosten (vgl. etwa BGH NJW 2013, 1539) kann der Kläger den diesbezüglich entstandenen Schaden gegenüber der Beklagten geltend machen. Die Beklagte hat insoweit bereits einen Betrag in Höhe von 116,03 EUR auf die außergerichtlich geltend gemachten Mietwagenkosten in Höhe von insgesamt 434,75 EUR gezahlt. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung weiterer 222,03 EUR zu,

Die angemessene und objektiv erforderliche Mietdauer ist dabei unstreitig mit 3 Tagen vom 23.05.2016 bis 25.05.2016 zu bemessen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann ein Geschädigter, der durch einen Verkehrsunfall geschädigt wurde, vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung lediglich die Erstattung derjenigen Aufwendungen zur Schadensbeseitigung verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (vgl. BGH NJW 2006, 1726). Die Klägerin kann daher die Kosten ersetzt verlangen, die nach dem sog. angemessenen „Normaltarif“ erstattungsfähig sind. Die Angemessenheit bestimmt sich danach, zu welchem Preis der Geschädigte zur Zeit des Mietbedarfs in der betreffenden Region ein dem eigenen Fahrzeug entsprechendes Fahrzeug am kostengünstigsten hätte anmieten können. Ein Geschädigter muss mithin das preisgünstigste Fahrzeug mieten, das er im Rahmen seiner individuellen Erkenntnismöglichkeiten auf dem örtlich und zeitlich relevanten Markt in zumutbarer Weise erlangen kann (BGH NJW 2006, 1506). Grundsätzlich sind nur die Kosten einer solchen Fahrzeugmiete erstattungsfähig. Ausnahmen kann es allerdings dann geben, wenn unfallbedingte Mehrleistungen der Vermieterin oder sonstige mit der Unfallsituation verbundene andere Umstände eine Erhöhung rechtfertigen (BGH NJW 2007, 3782). Besondere Umstände, die es der Kundin der Klägerin und Zedentin unmöglich machten, ein preisgünstigeres als das tatsächlich gemietete Fahrzeug anzumieten, lagen jedoch schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin nicht vor. Insbesondere lagen zwischen dem Verkehrsunfall und der tatsächlichen Anmietung 15 Tage, so dass die Kundin der Klägerin sich über alternative Angebote hätte informieren können.

Zu welchem (günstigsten) Preis die Kundin der Klägerin auf dem für sie zeitlich und örtlich relevanten Markt ein angemessenes Fahrzeug tatsächlich hätte anmieten können, kann vom Gericht in Anwendung des § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung geschätzt werden. In geeigneten Fällen können Listen oder Tabellen bei der Schadensschätzung Verwendung finden. Es kann dabei sowohl die Schwacke-Liste als auch der Fraunhofer Marktpreisspiegel zu Grunde gelegt werden. Der Umstand, dass beide Markterhebungen im Einzelfall zu deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen führen und zum Teil grundsätzlichen Bedenken hinsichtlich, ihrer Datenerhebung begegnen, reicht nicht aus, um durchgreifende Zweifel an ihrer jeweiligen Eignung als Schätzgrundlage zu begründen (vgl. BGH NJW 2011, 1947). Nur wenn eine Partei konkrete Tatsachen aufzeigt, die sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken, kann eine der beiden Methoden als vorzugswürdig angesehen werden. Es kann daher auch der arithmetische Mittelwert der beiden Listen zugrunde gelegt werden (vgl. etwa OLG Celle NJW RR 2012, 802).

Entsprechend der Berechnung des Klägers ist nach der Schwackeliste 2016 im PLZ-Gebiet 382 für eine 3-tägige Anmietung eines Fahrzeugs der Fahrzeugklasse 2 nach der Bildung des arithmetischen Mittelwerts auf Grundlage einer 3-Tagespauschale ein Betrag von 282,77 EUR angemessen (vgl. Bl. 15 d. A.). Der arithmetische Mittelwert des Fraunhofer­Marktpreisspiegels für eine Anmietung eines Fahrzeugs der Klasse 2 für 3 Tage beträgt dagegen 115,75 EUR (vgl. Bl. 16 d. A.). Der Mittelwert beträgt somit (282,77 EUR + 115,75 EUR / 2) 199,26 EUR.

Hinzu kommen die tatsächlich angefallenen Kosten für die vereinbarte Haftungsbegrenzung für 3 Tage von 54,45 EUR netto (vgl. etwa LG Braunschweig, Urteil vom 30. Dezember 2015 - 7 S 328/14). Entsprechend der Rechnung des Mietwagenunternehmens sind hier 3 x 15,48 EUR anzusetzen.

Zu erstatten sind darüber hinaus auch die gesonderten Kosten für einen Zusatzfahrer. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die angegebenen Zusatzfahrer das Fahrzeug tatsächlich nutzen. Maßgeblich ist allein, ob die angemieteten Fahrzeuge für die Nutzung auch durch Zusatzfahrer angemietet wurden. Bereits damit ist das mit der Nutzung des Fahrzeugs durch eine weitere Person verbundene Risiko eines intensiveren Fahrzeuggebrauchs eröffnet, welches mit den Kosten für den Zusatzfahrer abgedeckt werden soll. Keine Rolle spielt auch, ob der Geschädigte auf den Zusatzfahrer angewiesen war. Es gehört vielmehr grundsätzlich zu den Nutzungsmöglichkeiten eines Fahrzeuges, dieses auch anderen Personen überlassen zu können. Dass sich die Geschädigten insoweit gegebenenfalls hätten anderweitig behelfen können oder auf eine Nutzung durch die weitere Person hätten verzichten können, ändert an der Erstattungsfähigkeit der Kosten auch im Hinblick auf § 254 Abs. 2 BGB nichts (vgl. OLG Köln NJOZ 2014, 889).

Erstattungsfähige Nebenkosten sind schließlich auch die geltend gemachten Bring- und Abholkosten (vgl. OLG Köln 614 [616]).

Konkrete Einwände gegen die Tauglichkeit einer der beiden zur Schadensschätzung geeigneten Quellen sind nicht vorgetragen.

Da das Fahrzeug der Geschädigten unstreitig ebenso wie das angemietete Ersatzfahrzeug der Fahrzeugklasse 2 zuzuordnen ist, ist ein Abschlag für ersparte Aufwendungen von 5 % vorzunehmen.

Die von der Beklagten vorgelegten Alternativangebote dreier Autovermietungen aus dem Internet (Avis, Europcar und SIXT) können schon deshalb nicht überzeugen, da sie für einen anderen Anmietzeitraum gelten. Darüber hinaus ist aus den Angeboten auch nicht ersichtlich, dass die gleichen Konditionen (insbesondere Zusatzfahrer, Haftungsreduzierung, umgehende Verfügbarkeit, etc.) beinhaltet sind.

Vorliegend ergibt sich demnach ein ersatzfähiger Schaden in folgender Höhe:

3-Tagespauschale nach „Fracke“   199,26 EUR
Haftungsreduzierung                        54,45 EUR
Zusatzfahrer                                       42,87 EUR
Zustellen & Abholen                         59,28 EUR
Zwischenwert                                     355,86 EUR
./. Ersparte Aufwendungen 5 %      17,80 EUR
Angemessene Mietwagenkosten      338,06 EUR


Abzüglich der bereits von der Beklagten geleisteten Zahlung in Höhe von 116,03 EUR ergibt sich demnach ein verbleibender Anspruch des Klägers in Höhe von 222,03 EUR. Der darüber hinaus geltend gemachte Betrag ist hingegen nicht erforderlich i. S. d. § 249 Abs. 2 BGB und demnach auch nicht zu erstatten.

2.

Vorliegend liegt auch kein Verstoß des Klägers - bzw. der Geschädigten - gegen die Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB vor.

Unabhängig davon, ob die Beklagte der Geschädigten - bzw. deren Schwiegersohn gegenüber - im Rahmen eines Telefonates die Anmietung eines Fahrzeuges der Firma Enterprise der Gruppe 3 zu einem Tagespreis von 32,50 € netto angeboten hat, liegt darin jedenfalls kein im Rahmen der Schadensminderungspflicht beachtliches Angebot.

Insoweit ist schon zu berücksichtigen, dass sich der Geschädigte nicht auf etwaige zwischen dem Versicherer und dem benannten Autovermieter im Rahmen einer Direktvermittlung vereinbarten Sonderkonditionen verweisen lassen muss. Andernfalls würde das allein im Belieben der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer liegen, generell als Richtwert zur Schadensschätzung einzubeziehende Listen oder Tabellen in Einklang mit großen Autovermietern durch entsprechende Preisgestaltung zu disqualifizieren. Jedenfalls liegt demnach auch kein Verstoß des Geschädigten nach § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB vor, wenn ein derartiges Angebot nicht angenommen wird. Denn für einen Geschädigten ist es unzumutbar, sich mit einer Autovermietung darüber in Verbindung setzen zu müssen, welche Sonderkonditionen diese mit dem Haftpflicht-Versicherer vereinbart hat. Es ist insoweit anerkannt, dass er sich zum Zweck der Wiederherstellung nicht dem Schädiger anvertrauen muss (BGH, NZV 2010, 2725). Dem Geschädigten steht es vielmehr grundsätzlich frei, einen Mietwagen auf Kosten des Schädigers bei dem Autovermieter seiner Wahl anzumieten, anderenfalls würde sein Wahlrecht nach § 249 Abs. 2 BGB in unzulässiger Weise beschränkt. Denn in diesem Fall würde es zu einer wirtschaftlich bedingten massiven Reduzierung möglicher Mietwagenfirmen im Unfallbereich kommen, deren Bestand letztendlich allein vom Verhandlungsgeschick der Haftpflicht­Versicherungen abhängig wäre (vgl. zum Ganzen LG Bonn, Urteil vom 5.12.2016 - 4 O 71/16, BeckRS 2016, 117236; mit Anmerkungen Wenning, NZV 2017, 237).

Darüber hinaus ist das von der Beklagten dargelegte Telefonat jedenfalls schon nicht als konkretes Angebot zu qualifizieren. Denn insoweit wurde schon nicht nach eigenem Vortrag der Beklagten lediglich ein (pauschaler) Tagespreis angegeben. Die weiteren Einzelheiten - insbesondere Verfügbarkeit, etc. – hätten hingegen nach dem Vortrag der Beklagten allein mit der Autovermietung abgesprochen werden müssen. Demnach liegt in der Mitteilung der Beklagten an den Schwiegersohn der Geschädigten auch schon kein beachtliches Angebot.

3.

Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB, § 288 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Kläger unterliegt hier allein mit einem geringfügigen Betrag von 8,31 EUR, so dass eine alleinige Kostentragung der Beklagten billig ist. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11 ZPO, §§ 711, 713 ZPO.

III.

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 3 ZPO.

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Bedeutung für die Praxis: Wichtig erscheint die ausführliche Begründung des Gerichtes dazu, dass der Geschädigte nicht - wie von der Versicherung verlangt - ein günstigeres telefonisches Angebot hätte annehmen müssen. Auf Sonderkonditionen muss sich der Geschädigte nicht verweisen lassen. Dem Geschädigten stehe es grundsätzlich frei, einen Mietwagen auf Kosten des Schädigers bei dem Autovermieter seiner Wahl anzumieten, anderenfalls würde sein Wahlrecht nach § 249 Abs. 2 BGB in unzulässiger Weise beschränkt. Um dessen Konditionen aus Preisvereinbarungen zu realisieren, müsse sich der Geschädigte nicht in die Hände des Schädigers begeben.