Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 36-17

 

Landgericht Landshut 15 S 709/17 vom 17.08.2017 (Beschluss)

1. Die Berufung der Beklagten gegen ein Urteil des AG Freising hat keine Aussichten auf Erfolg.
2. Die Berufungskammer ordnet sich der BGH-Rechtsprechung unter, nach der jede Schätzgrundlage grundsätzlich anwendbar sei.
3. Den lediglich allgemeinen Einwendungen gegen die Anwendung der Schätzgrundlage Schwacke durch den Hinweis auf Fraunhofer hat das Gericht nicht nachzugehen.
4. Vorgelegte Internet-Screenshots sind unkonkret und damit nicht vergleichbar, können somit die Anwendung der Schätzgrundlage nicht erschüttern.
5. Darum war dem Beweisangebot der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ebenso nicht nachzugehen.
6. Die Erhöhung des wirtschaftlichen Risikos für den Geschädigten im Umgang mit einem Mietfahrzeug rechtfertigt grundsätzlich den Abschluss einer weitreichenden Haftungsreduzierung, deren Kosten als Schadenersatz zu erstatten sind.

Zusammenfassung: Das Berufungsgericht bestätigt die erstinstanzliche Schätzung und weist den Vortrag der Beklagten zurück, die Werte der SchwackeListe würden nicht dem tatsächlichen Marktgeschehen entsprechen. Da der Beklagtenvortrag unkonkret ist, ist auch kein gerichtlich beauftragtes Sachverständigengutachten einzuholen, denn das Beibringen der Anschluss- oder Anknüpfungstatsachen sei Sache der beweispflichtigen Partei und dortige Defizite könnten nicht durch ein Sachverständigengutachten behoben werden.

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Landgericht Landshut 15 S 709/17 vom 17.08.2017
(Amtsgericht Freising 5 C 1419/16 vom 14.03.2017)


In dem Rechtsstreit

XXX

gegen

XXX

wegen Schadensersatz

erteilt das Landgericht Landshut - 1. Zivilkammer - durch den Richter am Landgericht XXX, die Richterin am Landgericht XXX und die Richterin am Landgericht XXX am 17.08.2017 folgenden

 

Hinweis gemäß § 522 Abs. 2 ZPO

 

I. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Freising vom 14.03.2017, Az. 5 C 1419/16, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

II. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.

III. Nach Sachlage empfiehlt es sich, zur Vermeidung weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung innerhalb der gesetzten Frist zu prüfen. Im Falle einer Berufungsrücknahme ermäßigen sich die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

 

Gründe

 

Die Berufung der Beklagten hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen die erstinstanzlich erfolgte Verurteilung zur Erstattung restlicher Mietwagenkosten durch das Amtsgericht Freising. Die Beklagte rügt die Ermittlung der Höhe der ortsüblichen Mietpreise durch das Amtsgericht auf Grundlage des Schwacke Automietpreisspiegels.

2. Das Amtsgericht durfte seiner Schätzung gem. § 287 ZPO den Schwacke-Mietpreisspiegel zugrunde legen.

a) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Die Art der Schätzungsgrundlage gibt § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden und ferner dürfen wesentliche die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Acht bleiben. Der Bundesgerichtshof hat demgemäß bereits mehrfach ausgesprochen, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den „Normaltarif“ auf der Grundlage des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ im Postleitzahlengebiet des Geschädigten ermitteln kann. Ebenso ist auch eine Schätzung auf der Grundlage des Fraunhofer-Mietpreisspiegels möglich. Die Kammer akzeptiert in ständiger Rechtsprechung beides.

b) Allerdings können die Parteien Einwendungen gegen die Heranziehung des Schwacke-Mietpreisspiegels (oder einer anderen Liste oder Tabelle) erheben. Hierbei ist es jedoch nicht Aufgabe des Tatrichters, lediglich allgemein gehaltenen Angriffen gegen eine Schätzgrundlage nachzugehen. Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bedarf nur dann der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken. Die Anwendung der Listen durch den Tatrichter begegnet also nur dann Bedenken, wenn die Parteien deutlich günstigere bzw. ungünstigere Angebote anderer Anbieter für den konkreten Zeitraum am Ort der Anmietung aufzeigen (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.2012, VI ZR 316/11, Rn. 11). Mit einem solchen konkreten Sachvortrag muss sich der Tatrichter näher auseinandersetzen, um die Grenzen des eingeräumten Ermessens nicht zu überschreiten (vgl. a.a.O., Rn. 12).

Den allgemein gehaltenen Argumenten der Beklagten bezüglich des Fraunhofer-Mietpreisspiegels und den strukturellen Schwächen des Schwacke-Mietpreisspiegels war und ist daher nicht näher nachzugehen. Beide Mietpreisspiegel sind grundsätzlich als Schätzgrundlage geeignet (vgl. oben zu a).

c) Die vorgelegten Internet-Screenshots (Anlagen zum Schriftsatz vom18.01.2017) beziehen sich nicht auf den streitgegenständlichen Zeitraum, sondern auf andere Zeiträume. Die angefragten Preise beziehen sich außerdem jeweils auf eine im Vorfeld genau bestimmte Mietdauer sowie auf andere Anmietorte. Somit ist aus den Internetangeboten allein nicht ersichtlich, ob zu den vom Kläger konkret benötigten Bedingungen in dem streitgegenständlichen Zeitraum ein Fahrzeug überhaupt zur Verfügung gestanden hätte. Als Beweis hierfür hat die Beklagte Sachverständigenbeweis angeboten. Das Amtsgericht war nicht gehalten, dem Beweisangebot der Beklagten auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nachzugehen, da dieses unbehelflich war. Während ein Zeuge dem Gericht über eine eigene Wahrnehmung von vergangenen Tatsachen und tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen berichtet, ohne diesen Bericht durch Schlussfolgerungen auszuwerten, unterstützt der Sachverständige das Gericht bei der Beurteilung vorgegebener Tatsachen, indem er aufgrund seines Fachwissens subjektive Wertungen, Schlussfolgerungen und Hypothesen bekundet. Das Beibringen der Anschluss- oder Anknüpfungstatsachen ist allerdings Sache der beweispflichtigen Partei. Nicht der Sachverständige hat bei streitigen Behauptungen die Tatsachenfeststellung zu treffen, sondern das Gericht, das die Befund- und Zusatztatsachen zum Beispiel mittels Aussagen angebotener Zeugen zu ermitteln hat. Ausgehend von dem feststehenden Sachverhalt hat sodann der Sachverständige seine Einschätzung vorzunehmen (vgl. BGH, NJW 2013, 3570). Vorliegend ging es nicht um die Vermittlung von Fachwissen und Schlussfolgerungen aufgrund besonderer Sachkunde, sondern schlicht um die Frage, ob der Kläger am 08.09.2016 bei einer Nachfrage bei den Firmen Sixt und Europcar Preise auf dem von der Beklagten behaupteten Niveau genannt bekommen hätte, und ob ein Fahrzeug an dem genannten Tag in der konkreten Situation zu diesen Konditionen hätte angemietet werden können. Die zeitliche und örtliche Realisierbarkeit der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs zu einem bestimmten Preis ist aber keine Frage, für die ein Sachverständiger subjektive Einschätzungen treffen muss, sondern schlicht eine Frage, die dem Zeugenbeweis zugänglich ist (vgl. OLG Celle, MDR 2013, 1340). Einen solchen hat die Beklagte aber nicht als Beweismittel angeboten.

d) Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.12.2012 (NJW 2013, 1539) führt ebenfalls zu keiner anderen Entscheidung. Der BGH hat das dort angefochtene Urteil des Landgerichts Köln nur deshalb aufgehoben, weil sich das LG Köln als Berufungsgericht mit dem konkreten Sachvortrag des beklagten Versicherers zu einer unzureichenden Abbildung des Preisniveaus des maßgebenden Normaltarifs durch den Schwacke-Mietpreisspiegel überhaupt nicht näher auseinandergesetzt hatte (vgl. auch OLG Celle, Urteil vom 09.10.2013, MDR 2013, 1340).

Diese Auseinandersetzung hat das Amtsgericht Freising vorgenommen. Bereits im Hinweis vom 02.02.2017, auf den im angefochtenen Urteil Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass die Vorlage von Screenshots, anders als die Vorlage echter Alternativangebote, dem Gericht nicht ausreicht. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass das Gericht im Rahmen des § 287 Abs. 1 S. 2 ZPO hinsichtlich der Entscheidung, eine Beweisaufnahme durchzuführen, freier gestellt ist.

e) Auch das in der Berufungsbegründung zitierte Urteil des OLG Hamm vom 20.07.2011, Az. 13 U 108/10, rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Es geht aus dem Urteil nicht hervor, wie die eingeholten günstigeren Vergleichsangebote in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Einzelfall konkret ausgestaltet waren. Im Übrigen ist auch hier das tatrichterliche Ermessen im Rahmen des § 287 Abs. 1 S. 2 ZPO zu berücksichtigen. Es ist berufungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Erstrichter die vorgelegten Screenshots nicht für ausreichend erachtet hat und eine weitere Beweiserhebung unterlassen hat.

f) Nicht zu beanstanden ist weiter, dass das Amtsgericht bei seiner Berechnung die Nebenkosten für die Vollkaskoversicherung des Mietfahrzeugs sowie das Navigationsgerät in Ansatz gebracht hat.

Zusätzliche Kosten für Navigationsgeräte sind grundsätzlich erstattungsfähig, soweit das unfallbeschädigte Fahrzeug ebenfalls entsprechend ausgestattet war (OLG Köln, Urt. v. 30.07.2013, 15 U 186/12).

Nicht zu beanstanden ist weiter, dass das Amtsgericht bei seiner Berechnung Nebenkosten für die Haftungsreduzierung des Mietfahrzeugs mit einer Selbstbeteiligung von nur 150,00 € in Ansatz gebracht hat. Der Geschädigte eines fremdverschuldeten Unfalls kann bei Inanspruchnahme eines Mietwagens die Aufwendungen für eine Vollkaskoversicherung grundsätzlich insoweit erstattet verlangen, als er während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das eigene Fahrzeug des Geschädigten zum Unfallzeitpunkt vollkaskoversichert war oder nicht (vgl. BGH, Urteil vom 25.10.2005, NJW 2006, 361; BGH, Urteil vom 15.02.2005, NJW 2005, 1041). Im Übrigen erachtete der BGH die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs mit Vollkaskoschutz in der Regel als adäquate Schadensfolge. Die von dem Geschädigten für den Ersatzwagen vereinbarte Selbstbeteiligung in Höhe von 150,00 € ist ihm daher zuzubilligen. Ob im Einzelfall Abzüge unter dem Gesichtspunkt eines Vorteilsausgleichs in Betracht kommen, unterstellt der BGH der tatrichterlichen Beurteilung gemäß § 287 ZPO (BGH, Urteil vom 15.02.2005; NJW 2005, 1041). Anhaltspunkte für einen Vorteilsausgleich sieht die Kammer nicht, zumal sich die geltend gemachten Kosten für die Haftungsbegrenzung in Höhe von 17,85 Euro brutto pro Tag unter den Zuschlägen für die Vollkaskoversicherung nach Schwacke mit 22,00 € brutto pro Tag halten.

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Bedeutung für die Praxis: Das Gericht hat sich mit den Inhalten der Internet-Screenshots genauer befasst und erkannt, dass sich mit ihnen aus inhaltlichen Gründen Schwacke und die klägerische Abrechnung nicht erschüttern lassen. Denn in den Screenshots fehlen notwendige Informationen oder vorhandene Informationen stehen im Widerspruch zu den tatsächlich erforderlichen und für den Geschädigten erbrachten Leistungen.
Jedoch ist dem Berufungsgericht in einem zentralen Punkt seiner Rechtsauffassung zu widersprechen. Anders als das Gericht in seiner Begründung angibt, kann es keine Rolle spielen, ob dem Geschädigten zum Anmietzeitpunkt auch günstigere Angebote offeriert worden wären, wenn er einen anderen Anbieter ausgesucht hätte. Auch in einem solchen Fall des Vortrages der Beklagten könnte nicht die Feststellung getroffen werden, die Anwendung der Schätzgrundlage sei erschüttert. Denn es ist in jedem Fall davon auszugehen, dass der Markt Angebote zu niedrigeren und ebenso zu höheren Preisen bereithält als der Mittelwert einer zur Schätzung nach § 287 ZPO heranzuziehenden Schätzgrundlage, hier Schwacke. Es kann deshalb zur Bestätigung der Anwendung oder zur Ablehnung einer Schätzgrundlage nicht darauf ankommen, ob es tatsächlich zum Anmietzeitpunkt günstigere Angebote als das vom Geschädigten gewählte oder als dem rechnerischen Mittelwert der Liste gab. Es ergibt sich aus der Logik der Zusammenstellung von Einzelpreisen für eine Preissammlung: günstigere und teurere Preise ergeben einen Mittelwert. Gerichte verstehen zunehmend den Inhalt und das Entstehen einer statistischen Preiserhebung nicht (mehr). Es wird nur noch der veröffentlichte und in der Rechtsprechung angewendete Wert - der „Mittelwert“ bzw. das „arithmetische Mittel“ oder der „Modus“ - wahrgenommen. Korrekt wäre es, wenn das Gericht seine Formulierung "ob der Geschädigte ein günstigeres Fahrzeug bekommen hätte" ergänzt hätte mit dem Hinweis "und davon wusste und es trotzdem ausgeschlagen hat". Denn weder war der Geschädigte zur Erkundigung nach günstigeren Tarifen verpflichtet noch hat die Beklagte ihn auf ihr bekannte bzw. ihr zur Verfügung stehende Angebote hingewiesen. Wenn er davon nichts wusste, spielt das spätere Feststellen eines damals vorhandenen günstigeren Preises keine Rolle mehr. Marktforschung muss der Geschädigte nämlich nicht betreiben. Alles andere würde dazu führen, dass der Geschädigte, der nicht den noch viel später feststellbaren niedrigsten aller damaligen Preise gefunden hat, sich trotz Forderungen im Rahmen der erforderlichen Kosten (Marktpreis-Mittelwert) im Prozess Kürzungen gefallen lassen muss, ohne dass der Schädiger nachweisen müsste, ihm ein konkret vergleichbares, zumutbares und annahmefähiges Angebot gemacht zu haben. Das wäre eine Verkehrung der Schadenersatzrechtrechtsprechung aus §§ 249 und 254 BGB.