Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell KW 20-16

Landgericht Dresden 3 S 531/15 vom 09.05.2016, Beschluss

1. Die Berufung der beklagten Haftpflichtversicherung gegen das Urteil des Amtsgerichtes Dresden ist offensichtlich unbegründet.
2. Die Rechtsprechung der Berufungskammer und des Oberlandesgerichtes ist dem Beklagtenvertreter bestens bekannt, die Entscheidung des Erstgerichtes entspricht dieser Rechtsprechungspraxis.
3. Der Geschädigte muss bei der Ersatzwagenanmietung keine Marktforschung betreiben, denn er muss sich nicht verhalten, als hätte er den Schaden selbst zu tragen. Anstatt einer umfangreichen Internetrecherche genügt beispielsweise ein Blick in die Schwackeliste, um sich im Groben ins Bild zu setzen.
4. Von der Beklagten vorgelegte Internet-Screenshots sind kein konkreter Sachvertrag, da diese nicht vergleichbar sind.
5. Wegen fehlenden konkreten Sachvortrages ist kein Sachverständigengutachten einzuholen, sondern eine Schätzgrundlage anzuwenden, dies liegt im Ermessen des Tatrichters.
6. Eine Herabstufung der Mietwagengruppe aufgrund Fahrzeugalter ist nicht vorzunehmen.
7. Der Abzug für Eigenersparnis ist in Höhe von 10 % vorzunehmen.

Zusammenfassung: Das Landgericht Dresden bleibt bei der Anwendung der Schwackewerte zur Schätzung der erforderlichen Mietwagenkosten. Das Gericht begründet ausführlich, warum der Sachvortrag der Beklagten die Schwackeliste als anwendbare Schätzgrundlage nicht erschüttert.

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Landgericht Dresden 3 S 531/15 vom 09.05.2016
(Vorinstanz Amtsgericht Dresden 107 C 4284/15)

Im Namen des Volkes


BESCHLUSS

 
In dem Rechtsstreit  XXX  gegen   XXX wegen Forderung erlässt die 3. Zivilkammer des Landgerichts Dresden durch


Richterin am Landgericht XXX,

Richter am Landgericht XXX,

Richterin am Landgericht XXX

 
am 09.05.2016 nachfolgende Entscheidung:

1.    Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass die Kammer beabsichtigt, die eingelegte Berufung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, da diese offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg ist und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht als geboten erscheint.

2.    Zu diesem Hinweis kann die Berufungsklägerin binnen vier Wochen ab Zustellung des Beschlusses Stellung nehmen. Die Berufungskammer regt an, dass die Berufungsklägerin die Berufung innerhalb der gesetzten Frist zur Vermeidung weiterer Verfahrenskosten zurücknimmt. Eine Rücknahme der Berufung vor Erlass eines Beschlusses nach § 522 ZPO würde zu einer Gebührenermäßigung nach GVG-KV-Nr. 1222 führen.


Gründe


Die Berufung der Beklagten, die sich gegen die Zuerkennung der restlichen Mietwagenkosten in der angefochtenen Entscheidung wendet, ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO soll das Berufungsgericht die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.

Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nach einstimmiger Auffassung der Berufungskammer gegeben, denn die Berufung der Beklagten ist nach vorläufiger Bewertung der Sach- und Rechtslage offensichtlich unbegründet.

Bei der Frage, ob und in welchem Umfange nach einem Verkehrsunfall der Geschädigte gemäß § 249 BGB angefallene Mietwagenkosten als Schadensersatz beanspruchen kann, hat sich das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung die Rechtsprechung des OLG Dresden und der 3. Zivilkammer des Landgerichts Dresden zu eigen gemacht (OLG Dresden, Urteil vom 31.7.2013 -7 U 1952/12; Urteil vom 18.12.2013 -7 U 606/13; Urteil vom 26.3.2014 -7 U 110/13 -Stichwort Autoholding, Urteil vom 6.5.2015 -7 U 192/14; LG Dresden Entscheidungen beispielhaft: 3 S 627/13, 3 S 200/14, 3 O 3153/12, 3 S 206/14, 3 S 145/14, 3 S 252/14; 3 S 480/14, 3 S 458/14; 3 S 597/14, 3 S 114/15).

Diese Rechtsprechung ist der Niederlassung der Kanzlei des Beklagtenvertreter in Dresden, hier insbesondere Rechtsanwalt XXX aus Dresden, bestens bekannt. Der hier zur Entscheidung stehende Fall unterscheidet sich vom Sachverhalt nicht grundsätzlich zu den bisher entschiedenen Fällen. Alle hier in diesem Rechtstreit mit der Berufungsbegründung angesprochenen Rechtsfragen sind in den vorgenannten Entscheidungen wiederholt beantwortet worden. Das Amtsgericht weicht hiervon nicht ab.

Die Kammer sieht daher davon ab, hierzu nochmal alles wiederzugeben (Bsp. Werthaltigkeit von Alternativangeboten, die dem Anmietzeitraum nicht entsprechen; Gültigkeit des Mietvertrages etc.).

Es ist insoweit allerdings nochmals klar zu stellen, dass ein Geschädigter zwar nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten ist, im Rahmen des ihm zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen hat. Das bedeutet jedoch nicht, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt - nicht nur für Unfallgeschädigte - erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis als zur Herstellung objektiv erforderlich ersetzt verlangen kann.

Der Geschädigte verstößt noch nicht allein deshalb gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot, weil er ein Kfz zu einem Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber dem Normaltarif teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunternehmen u. ä.) allgemein einen gegenüber dem Normaltarif höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB erforderlich sind.

Inwieweit dies der Fall ist, hat der bei der Schadensberechnung nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Tatrichter zu schätzen, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Zuschlag auf den “Normaltarif“ in Betracht kommt (BGH vom 19. Januar 2010 - VI ZR 112/09; vom 2. Februar 2010 - VI ZR 7/09; vom 9. März 2010 - VI ZR 6/09, aaO; vom 12. April 2011 - VI ZR 300/09; VersR 2011, 769 Rn. 18; vom 18. Dezember 2012 - VI ZR 316/11).

Bei der Anmietung eines Ersatzwagens ist der Geschädigte nicht dazu verpflichtet, in eine umfängliche Marktanalyse einzusteigen. Es genügt, wenn er sich im Groben ins Bild setzt und kritisch hinterfragt, ob der Mietpreis als angemessen erscheint.

Im konkreten Fall bedeutet dies, dass eine umfangreiche Internetrecherche vor Anmietung des Fahrzeuges durch den Geschädigten nicht gefordert werden kann, so dass es auch als ausreichend anzusehen ist, wenn beispielsweise die jeweils aktuelle Schwacke-Liste, die nach der Rechtsprechung des BGH ein geeignetes Mittel zur Schätzung der Mietwagenkosten darstellt, zur Hand genommen wird und man sich über die gängigen Mietwagenpreise über diesen Weg informiert. Denn wenn die Schwacke-Liste als taugliche Schätzgrundlage für die Gerichte angesehen wird, dann muss dies auch ein taugliches Preisermittlungsinstrument für den Geschädigten bei Anmietung eines Ersatzwagens sein.

Vorliegend wurde mit dem abgerechneten Betrag die Schwacke-Liste bei der Berücksichtigung von zwei Wochentarifen um ca. 33 % überschritten. Nach der Rechtsprechung des OLG Dresden liegt damit kein auffälliges Missverhältnis vor.

Der vom Amtsgericht - bei Abzug von 10 % Eigenersparnis - ausgeurteilte Betrag ist damit nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht daher aus abgetretenem Recht der Betrag zu, den das Amtsgericht nach Abzug der geleisteten Zahlung für berechtigt befunden hat.

Die Berechnung hat hier nach der Schwacke-Liste auch nicht in einer anderen Gruppe zu erfolgen, weil das verunfallte Fahrzeug bereits 13 Jahre alt war. Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, dass dieses Fahrzeug völlig ungepflegt und minderwertig war.

Anders als bei der Nutzungsausfallentschädigung wird bei der Berechnung der Mietwagenkosten kein Abzug, außer der Eigenersparnis, vorgenommen. Diese beträgt entweder pauschal nach gängiger Rechtsprechung 10 % oder ist konkret nachzuweisen.

Die Beklagte kann sich auch nicht zum Beweis, dass eine Internetanmietung wesentlich günstiger und damit der Geschädigten zumutbar gewesen wäre, auf die vorgelegten Screenshots beziehen.

Nach einem Unfall ist nicht sofort bekannt, wie lange die Anmietung erfolgt. Auf den vorgelegten Screenshots ist als Grundlage für die Preisberechnung jeweils der konkrete Mietzeitraum ersichtlich, was aber gerade in der Unfallsituation nicht gegeben ist. Selbst bei Zahlung erst bei Abholung ist es notwendig, dass eine Kreditkarte vorgelegt wird.

Auch ist dort keine Vereinbarung möglich zur Zustellung bzw. Abholung direkt beim Geschädigten. Generell ist davon auszugehen, dass bei der Buchung in einer Filiale, wie im streitigen Fall gegeben, der Tarif immer höher ist als der im Internet ersichtliche.

Gleichfalls hat der BGH bereits bestätigt, dass sich ein Geschädigter nach einem Verkehrsunfall nicht so verhalten muss, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte. Wenn er insoweit die obligatorischen Anstrengungen bzw. Verzichte macht, kann dies nach einem Verkehrsunfall von ihm gerade nicht verlangt werden.

Des Weiteren hatte das Amtsgericht kein Sachverständigengutachten, wie in der Klageerwiderung beantragt, einzuholen. Aufgrund der benannten obergerichtlichen Rechtsprechung kann sich das erstinstanzliche Gericht auf eine Schätzgrundlage beziehen, die geeignet ist, wie vorliegend die Schwacke-Liste. Es liegt insoweit im Ermessen des erstinstanzlichen Gerichtes, die geeignete Schätzgrundlage auszuwählen. Ein Ermessensfehler kann die Berufungskammer vorliegend nicht erkennen.

Soweit der 1. Senat des OLG Dresden in der jüngsten Entscheidung vom 30.12.2015 - 1 U 304/15 - vom arithmetischen Mittel zwischen der Fraunhofer- und der Schwackeliste ("Fracke") ausgeht, ist hierin nicht die Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des OLG Dresden, die seit 2009 vom spezialzuständigen 7. Zivilsenat geprägt wurde, zu sehen.

Die Entscheidung des 1. Zivilsenats, die sich nicht wirklich mit der Rechtsprechung des 7. Zivilsenats zu diesem Thema auseinandersetzt, ist momentan noch als Einzelfallentscheidung zu bewerten, die keine generelle Abkehr von der bisherigen Linie des OLG Dresden darstellt.

Die Berufung hat daher keine Aussicht auf Erfolg.

Dieser einen Einzelfall betreffende Rechtsstreit hat auch weder eine grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Auch das OLG Dresden hat bisher keine Veranlassung gesehen, die Revision zuzulassen. Eine mündliche Verhandlung im Berufungsrechtszug ist nicht geboten, weil die entscheidungserheblichen Tatsachen unstreitig sind und es in erster Linie um Rechtsfragen geht.

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Bedeutung für die Praxis: Das Gericht spricht die Beklagtenvertreter in der Urteilsbegründung direkt darauf an, dass ihnen die Linie der Berufungskammer und des OLG Dresden bestens bekannt sei. Das könnte übersetzt werden mit "Was soll dieses Berufungsverfahren?". Das Landgericht verweist auch darauf, dass das OLG trotz einer dort kürzlich ergangenen Mittelwertentscheidung seine Schwackelinie wohl grundsätzlich beibehält.