Mietwagenrecht§wi§§en MRW aktuell 9-16

Landgericht Stuttgart 5 S 146/15 vom 17.12.2015

1. Das Berufungsgericht darf eine eigene Bewertung vornehmen - auch wenn es die Entscheidung des Erstgerichtes für vertretbar hält - und den Prozessstoff nach allen Richtungen neu prüfen und bewerten.
2. Der BGH hat wiederholt, dass der Tatrichter den Normaltarif anhand des Schwacke-Automietpreisspiegels schätzen kann.
3. Der Schwacke-Automietpreisspiegel ist wegen geografischer Differenzierung und Berücksichtigung nicht nur des Internetmarktes auch die richtige Schätzgrundlage.
4. Der Beklagten kommt die Beweislast für günstigere Angebote zu, da die Erforderlichkeit im Sinne des 249 BGB nicht zu vermischen ist mit der Frage der Schadenminderungspflicht nach § 254 BGB.
5. Pauschalen Angriffen gegen die Anwendung der Schwackeliste muss deshalb nicht nachgegangen werden.
6. Forderungen aufgrund erforderlicher Nebenleistungen sind - soweit angefallen - zu erstatten.
7
. Da der regionale Markt nur aus einem Anbieter bestand, sind auch die geringfügig über den Schätzbetrag hinausgehenden Mietwagenkosten zu erstatten.

Zusammenfassung: Das Berufungsgericht hält allein die Schwackeliste für anwendbar. Da die Beklagte dagegen nichts Konkretes vorgetragen hat, sind restliche Mietwagenkosten zuzusprechen. 

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Landgericht Stuttgart 5 S 146/15 vom 17.12.2015

Tenor

 

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 13.03.2015, Az. 44 C 3603/14, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.249,93 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.01.2013 zu bezahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 769,98 EUR

 

Gründe

 

(gemäß §§ 540 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)

 

I.

 

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat auch vollumfänglich Erfolg.

Die Klage ist begründet. Der Klägerin steht ein weiterer Schadensersatzanspruch in Höhe von insgesamt 1.249,93 EUR zu.

Die Haftung der Beklagten in Höhe von 100 % steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

Der Geschädigte durfte als Ersatz für die Anmietung des Mietwagens am 13.06.2012 unter Annahme der Mietwagenklasse 3 den Mietwagenrechnungsbetrag in Höhe von 1.322,40 EUR beanspruchen, wie auch die zusätzlichen Kosten der Vollkasko (CDW) in Höhe von 256,01 EUR, sowie die Kosten für die Zustellung in Höhe von 36,50 EUR und die Kosten für junge Fahrer und Zusatzfahrer in Höhe von 400,03 EUR mithin insgesamt 2.014,94 EUR. Unter 

Berücksichtigung des Umstands, dass die Beklagte bereits 765,01 EUR bezahlt hat, sind noch weitere 1.249,93 EUR zur Zahlung offen.

Zwar ist unter Zugrundelegung des Schwacke-Mietpreisspiegels 2012 lediglich ein Betrag in Höhe von 1.927,70 EUR bzw. unter Berücksichtigung der Zahlung der Beklagten noch 1.162,69 EUR zu ersetzen. Allerdings kann der Geschädigte im konkreten Einzelfall ausnahmsweise im Hinblick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falles den von der Klägerin geltend gemachten und abgerechneten Tarif ersetzt verlangen.

Dazu im Einzelnen:

Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Geschädigte vom Schädiger als erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz der Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte. Von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs kann der Geschädigte grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen (BGH NJW 2008, 1519). Zur Beurteilung der Erforderlichkeit von Mietwagenkosten können nach § 287 ZPO Listen oder Tabellen herangezogen werden (BGH NJW-RR 2010, 1251).

Das Berufungsgericht ist nicht an die vom Amtsgericht gem. § 287 ZPO vorgenommene Schätzung gebunden. Das Berufungsgericht kann im Fall einer auf § 287 ZPO gründenden Entscheidung auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.07.2001 den Prozessstoff auf der Grundlage der nach § 529 ZPO berücksichtigungsfähigen Tatsachen ohne Bindung an die Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts selbständig nach allen Richtungen von neuem prüfen und bewerten. Selbst wenn es die erstinstanzliche Entscheidung zwar für vertretbar hält, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, darf es nach seinem Ermessen eine eigene Bewertung vornehmen (vgl. BGH NJW 2011, 1947 ff.)

Der Bundesgerichtshof hat wiederholt klargestellt, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens gemäß § 287 ZPO den „Normaltarif“ grundsätzlich auf der Grundlage des Schwacke-Mietpreisspiegels im maßgebenden Postleitzahlengebiet ermitteln kann (vgl. BGH NJW-RR 2010, 1251).

Nach Auffassung der Kammer stellt der Schwacke-Mietpreisspiegel die richtige Schätzgrundlage dar. Zum einen ermöglicht die Schwacke-Liste eine genauere geographische Differenzierung durch die dreistelligen Postleitzahlenbereiche und kann somit den ortsüblichen Markt besser abbilden. Der Mietspiegel nach dem Fraunhofer-Institut hingegen hat lediglich zwei - teilweise auch nur einstellige - Postleitzahlengebiete. Zum anderen beschränkt sich die Schwacke-Liste - im Gegensatz zu dem Mietspiegel nach dem Fraunhofer-Institut - nicht hauptsächlich auf Internetportale mit verbindlicher Buchungsmöglichkeit.

Die Klägerin hat im Übrigen nicht darzulegen und ggf. zu beweisen, dass dem Geschädigten unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt zumindest auf Nachfrage kein wesentlich günstigerer Tarif zugänglich war. Denn dann würde die Frage der Erforderlichkeit im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB mit der Frage der Schadensminderungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB vermengt. Die dafür maßgebenden Umstände haben nach allgemeinen Grundsätzen der Schädiger bzw. sein Haftpflichtversicherer darzulegen und ggf. zu beweisen. Es obliegt somit der Beklagten, konkrete Umstände aufzuzeigen, aus denen sich ergibt, dass dem Geschädigten ein günstigerer Tarif ohne Weiteres zugänglich war (vgl. LG Stuttgart, MRW 2014, 66 f.).

Das heißt, die Eignung der herangezogenen Listen oder Tabellen bedarf nur dann der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken (BGH NJW 2011, 1947; BGH NJW-RR 2011, 1109; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.03.2012, 3 U 120/11). Es wäre daher Aufgabe der Beklagten gewesen, konkrete Mängel dieses Mietpreisspiegels aufzuzeigen und entsprechenden Sachvortrag dahingehend zu halten, dass ein vergleichbares Fahrzeug zu einem wesentlich günstigeren Preis von einem anderen, von ihr bezeichneten Mietwagenunternehmen hätte angemietet werden können (BGH NZV 2011, 333; OLG Stuttgart, aaO; vgl. LG Stuttgart, MRW 2014, 66 f.).

Nicht ausreichend sind pauschale Angriffe gegen die Schwacke-Liste. Es fehlt dabei am konkreten Fallbezug.

Im Wege der Vorteilsausgleichung hat sich die Klägerin ausnahmsweise keinen 10 %-igen Abzug für ersparte Aufwendungen für das eigene Fahrzeug des Geschädigten anrechnen zu lassen, weil sie als Vorteilsausgleich bereits eine Mietwagenklasse in der Abrechnung zurückgegangen ist (vgl. LG Stuttgart, MRW 2014, 66 f.).

Die Beklagte hat auch die Kosten für die Haftungsbeschränkung zu ersetzen. Der durch den Unfall Geschädigte ist während der Mietzeit eines Ersatzfahrzeugs grundsätzlich einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt und hat regelmäßig ein schutzwürdiges Interesse an einer entsprechenden Haftungsbeschränkung (vgl. BGH NJW 2005, 1041; 2006, 360; vgl. LG Stuttgart, MRW 2014, 66 f.). Im Schwacke-Mietpreisspiegel 2012 sind die Kosten der Haftungsbeschränkung noch nicht enthalten.

Die Beklagte hat ferner auch die Kosten für den Zweitfahrer und den Zuschlag für den jungen Fahrer zu ersetzen. Aufgrund des Verkehrsunfalls kann der Geschädigte verlangen so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn sich der Unfall nicht ereignet hätte. In diesem Fall hätte sein Enkel mit dem geschädigten Fahrzeug fahren dürfen. Wie sich aus den Zeugenaussagen ergibt, war der Enkel des Geschädigten als Zusatzfahrer notwendig.

Ebenfalls zu ersetzen ist nach den obigen Ausführungen die Zustellgebühr.

Dies bedeutet, dass unter Zugrundelegung der Schwacke-Liste 2012 (wobei die Zusatzkosten für den jungen Fahrer nicht von der Schwacke-Liste ausgewiesen wird), PLZ 663, Mietwagenklasse 3 sich folgende Beträge ergeben:

2 x Wochenpauschale à 540,16 EUR                 1.080,32 EUR

2 x Tagespauschale á 96,28 EUR                          192,56 EUR

Vollkaskoversicherung 16 x 17,15 EUR                  274,40 EUR

Zustellgebühr                                                                 26,18 EUR

Zusatzfahrer 16 x 13,74 EUR                                    219,84 EUR

Gebühr für jungen Fahrer 16 x 8,40 EUR               134,40 EUR

Insgesamt                                                                    1.927,70 EUR

abzüglich bezahlt                                                         765,01 EUR

noch zu bezahlen                                                      1.162,69 EUR

Im vorliegenden Fall sind aber die nur unwesentlich darüber hinausgehende geltend gemachten Mietwagenkosten zu ersetzen. Über den Normaltarif hinausgehende, mithin nicht erforderliche Mietwagenkosten kann der Geschädigte aus dem Blickwinkel der subjektbezogenen Schadensbetrachtung nur ersetzt verlangen, wenn er darlegt und erforderlichenfalls beweist, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer (Normal-)Tarif zugänglich war (BGH, Urteil vom 12. April 2011 - VI ZR 300/09 -, Rn. 10, juris). So liegt der Fall hier. Unstreitig handelt es sich bei der Klägerin um die einzige Mietwagenfirma am Wohnort des Geschädigten in St. Ingbert, der, wie sich aus den Bekundungen der Zeugen ergibt, auf ein Fahrzeug angewiesen war, um Arzttermine wahrnehmen zu können. Unstreitig hat er gewöhnlich im Fall der Reparatur Mietwagen vom Autohaus bezogen und wurde von dort an die Klägerin verwiesen, wo er auch schon zweimal einen Mietwagen angemietet hatte. In der konkreten Situation war es dem Geschädigten nicht zumutbar, nach weiteren Mietwagenangeboten zu suchen.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zinsen gemäß §§ 286, 288 BGB ab 25.01.2013. Die Klägerin hat die Beklagte mit Schreiben vom 10.01.2013 (Anlage K 6, Bl. 18 d.A.) unter Fristsetzung zum 24.01.2013 gemäß § 286 Abs.1 BGB gemahnt.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO gibt es nicht.

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Bedeutung für die Praxis: Das Gericht stellt die Beweislastregeln klar. Der Fehler anderer Gerichte wird dabei offenkundig, die dem Geschädigten eine generelle Erkundigungspflicht und die Beweislast dafür auferlegen, dass er kein anderes Angebot erhalten konnte. Anders dieses Gericht, es lässt Schwacke gelten, weil der BGH das mehrfach bestätigt hat und lehnt unkonkreten Sachvortrag der Beklagten mangels greifbarer Substanz ab.

 

Bundesverband der Autovermieter Deutschlands e.V.

Wir stellen uns vor.

Der Bundesverband der Autovermieter Deutschlands e.V. (BAV) wurde am 05. April 1954 gegründet. Er ist eine Interessenvertretung von Unternehmen, die Pkw, Anhänger, Transporter und Lkw vermieten. Der BAV repräsentiert ca. zwei Drittel des Gesamtmarktes der Autovermietung. Er steht den Mitgliedern für alle branchenrelevanten Aufgaben zur Verfügung.

Alles Wissenswerte haben wir für Sie in einer Verbandsbroschüre aufbereitet. Bitte schauen Sie hinein. Sie erfahren wer wir sind und welche Aufgaben der BAV für die Branche der Autovermietung übernommen hat. Sie sehen, wie erfolgreich wir dabei bisher gewesen sind und warum es sich lohnt, unserer Interessengemeinschaft beizutreten und in Zukunft mit uns zusammenzuarbeiten.

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Urteilsdatenbank des BAV

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Meinung der Nutzer (10.08.2022):
„Die Datenbank des BAV ist für die Mitglieder von großem Nutzen. Hier kann sich der Autovermieter oder sein Anwalt jederzeit über den aktuellen Stand der lokalen Rechtsprechung informieren. Von unschätzbarem Wert ist die Datenbank für die überregionale bundesweite Rechtsprechung. Wenn ein Autovermieter nicht lokal Klagen kann, sondern am entfernten Unfallort oder am Sitz der Versicherung klagen muss, bietet die Datenbank wichtige Informationen über die dortige Rechtsprechung und insbesondere die möglichen Erfolgsaussichten einer Klage fern der Heimat.“

In der Datenbank sind - zumeist im Format PDF - enthalten:
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